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25
06
2017

DOSB-Präsident Alfons Hörmann. - Foto: ©DOSB

Deutscher Spitzensport – Spatz auf dem Dach, nichts in der Hand – Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0
Was gibt’s Schöneres, als Menschen in den eigenen Reihen zu entwickeln“, freute sich Alfons Hörmann. Gerade hatte er Veronika Rücker als kommende Vorstandsvorsitzende des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) vorgestellt, die 47 Jahre alte Leiterin der Führungsakademie seines Verbandes in Köln.
 
Bei seinem Vorgänger Thomas Bach hatte sich noch Michael Vesper beworben, der sein Rüstzeug für Verwaltung und Machtpolitik bei der Gründung der Grünen, als Geschäftsführer von deren Bundestagsfraktion und schließlich als Minister der nordrhein-westfälischen Landesregierungen von Johannes Rau über Wolfgang Clement bis Peer Steinbrück erworben hatte.
 
DOSB-Präsident Hörmann berichtete nun, dass er sich vor allem innerhalb seiner Organisation umgeschaut habe, um die Nachfolge des nach elf Jahren scheidenden Vesper zu regeln.

Für die an der Sporthochschule Köln ausgebildete Verwaltungs-Expertin und Ökonomin Rücker sprach, neben Stallgeruch, dass sie bei der Potential-Analyse durch eine Personalberatung gut abgeschnitten haben soll. Dieses Verfahren birgt eine gewisse Ironie, hängt doch die Zukunft von Sportlerinnen und Sportlern, von Sportarten und womöglich von ganzen Verbänden von einem Potential-Analyse-System ab, das als PotAS zum Schreckenswort des deutschen Sports werden könnte.

Das jedenfalls befürchteten die Vertreter des Sports bis zu dieser Woche. Dann stellte sich auf der Versammlung der Fachverbände in Berlin Professor Bernd Strauß vor, der die PotAS-Kommission mit Sitz an der Universität Münster leitet.

Nach seinem Vortrag steht fest, dass er zunächst die Kriterien seiner Analysen etablieren wird, dass er dazu am liebsten sein Team um einige Stellen aufstocken würde und dass vor allem seine Auswertungen auf keinen Fall vor den Olympischen Sommerspielen von Tokio 2020 Wirkung entfalten werden.

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Hörmann, der kein Geheimnis daraus macht, dass er gut auf PotAS verzichten könnte, verkniff sich Genugtuung. Die Tage von Berlin seien insofern wertvoll gewesen, sagt er, als der Sport nun wisse, wo er stehe, was gehe und was nicht gehe. Nach derzeitigem Stand soll die Förderung der sieben Wintersport-Verbände nach den Olympischen Spielen von Pyeongchang Anfang nächsten Jahres auf die neue Systematik umgestellt werden.

Die 31 Sommer-Sportarten und ihr Potential könnten, nach einem Testlauf 2019, Anfang 2020 entscheidend analysiert werden. Doch acht Monate vor den Sommerspielen die Förderung auf den Kopf zu stellen, lehnt der Sport ab. Erst die Medaillenhoffnungen für Paris oder Los Angeles 2024 und für die Spiele danach sollen dann mittels computergesteuerter Potential-Analyse identifiziert und optimiert werden.

Beruhigung bringt diese Aussicht nicht. Ganz im Gegenteil: Hatten nicht bei der Hauptversammlung des DOSB im November in Magdeburg 98,6 Prozent der Anwesenden für die unfertige Reform gestimmt, weil sie sich davon deutlich mehr Geld vom Staat versprachen? Hatte nicht aber das Innenministerium Reform immer gleichgesetzt mit PotAS?

Zwar wiederholte Innenminister Thomas de Maizière am Donnerstagabend in Berlin sein Versprechen, dass er „Transaktionsschmerzen finanzieren“ wolle, und erklärte bereitwillig, dass er, wenn er von Aufwuchs des Budgets spreche, mit substantiell „ziemlich hoch“ meine und mit nachhaltig „dauerhaft“. Doch nach der Wahl im September, das pfeifen in Berlin die Spatzen von den Dächern, wird de Maizière nicht mehr Innenminister sein.

Der Spatz auf dem Dach und nichts in der Hand – die Lage im Sport und insbesondere die Beziehung zwischen Sport und Politik ist angespannt. Die Verträge von 170 Trainern, sagte der für Spitzensport zuständige DOSB-Vorstand Dirk Schimmelpfennig, liefen zum Jahresende aus und könnten nicht verlängert werden, weil die Zukunft der Stützpunkte, an denen sie arbeiten, ungewiss sei. Beim Wahlhearing des DOSB, zu dem statt der Fraktionsvorsitzenden aus dem Bundestag die sportpolitischen Sprecher erschienen, kam es gar zum Eklat.

Was hier für ein Mist geredet werde, rief Siegfried Kaidel, Präsident des Deutschen Ruderverbandes und Sprecher der Fachverbände, da könne er nur – und unterbrach sich unter Hinweis darauf, dass das Büfett noch bevorstehe. „Das Jahr 2018 ist für uns vorbei. Ohne Hilfe der Politik können wir in den Sack hauen“, rief Kaidel: „Wir werden ständig ausgebremst, und daran ist nicht nur der Herr Böhm schuld.“

Herr Böhm hat es für einen Abteilungsleiter zu einiger Bekanntheit gebracht, ist er doch zuständig für Sport im Innenministerium und wurde, nachdem Finanzminister Wolfgang Schäuble es ablehnte, den für 2018 projektierten Etat um 39 Millionen Euro für den Sport aufzustocken, zum Adressaten einer Reihe von bitterbösen Briefen. Darin warfen ihm unter anderen Schimmelpfennig und Kaidel vor, das Geld versprochen zu haben und nun den Sport im Regen stehen zu lassen.

Auch Hörmann fürchtet, dass Tokio 2020 für den deutschen Sport verlorene Spiele werden könnten. „Wenn es uns nicht gelingt, den Prozess so zu steuern, dass Ruhe herrscht bis Tokio, müssen wir über mehr Medaillen gar nicht reden.“ 

Doch womöglich steht die Steuerung des Sports gar nicht mehr in seiner Macht. André Hahn, Abgeordneter der Linken im Bundestag, war nicht der Einzige, der den Sport vor dem Verlust der Autonomie durch den Einfluss von Staat und Politik warnte. „Aber wenn im Innenministerium ein Mann sitzt, der Abteilungsleiter Sport, der bei allen Projekten den Daumen hebt oder senkt“, warnte er sarkastisch, dann solle vielleicht doch besser das Parlament über Trainingslager und Mannschaftsaufstellungen entscheiden.

In der Tat warten Sportdirektoren, Bundestrainer und Verbandspräsidenten nicht ab, was im kommenden Jahr für sie in der Wundertüte Sportetat stecken könnte. Wer nicht vollkommen hinterm Mond lebe, sagte ein Verbandsvertreter nonchalant, habe längst einen Draht ins Innenministerium gesponnen. Das liegt nicht an Böhm allein.

Das Verhältnis von Vesper zum Abteilungsleiter im Ministerium wie zur Vorsitzenden des Sportausschusses im Parlament, der SPD-Abgeordneten Dagmar Freitag, ist zerrüttet. Sportdirektoren und Präsidenten vertreten ihre Interessen deshalb trotz aller Schwüre von Schulterschluss und Solidarität selbst.

Potentialanalyse gefällig? Der DOSB mit der Vorstandsvorsitzenden Rücker wird sich anstrengen müssen, wieder eine zentrale Rolle zu spielen im Sport.

Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 24. Juni 2017

Michael Reinsch

author: GRR

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