Blog
17
07
2008

Die Nation nimmt Anteil am Schicksal einer 40-Jährigen, deren WM-Sieg 2007 viele als Versprechen für Olympia missverstehen.

Deutscher Olympia-Kader – Mosaik im Zerrbild – Es heißt, sie seien alle geprüft und mit einer Art Unbedenklichkeitssiegel versehen. Aber am Ende hinterlassen die Personalien der deutschen Olympiamannschaft einen eher schlechten Eindruck. Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung

By admin 0

Den Charakter einer Olympiamannschaft zu beschreiben, heißt, Mosaike anzulegen. Einzelne Geschichten zusammenzufügen zu einem Bild, das dann vielleicht etwas erzählt über den deutschen Sport in dieser Zeit. Zum Beispiel darüber, dass Popularität und Anerkennung nicht nur eine Frage sportlicher Leistungen sind, sondern auch vom Charisma und vom Äußeren des Siegreichen abhängen.

Hinter dem 20-jährigen Turn-Weltmeister Fabian Hambüchen wirken alle anderen Peking-Reisenden doch ein bisschen blass. Am Ende erscheint der deutsche Sport im Zerrbild der medialen Wirklichkeit. Die Nation nimmt Anteil am Schicksal einer 40-Jährigen, deren WM-Sieg 2007 viele als Versprechen für Olympia missverstehen. Franka Dietzsch hat sich ihre Popularität verdient, aber man hat den Eindruck, ihre Leidenssaison mit Bluthochdruck und Achillessehnenbeschwerden macht mehr Schlagzeilen als die Bemühungen der jüngeren Generation. Wird das der vitalen deutschen Sportlandschaft gerecht?

Eher nicht. Und jetzt schafft es die Schwimmerin Vipa Bernhardt in die Nachrichten. Nicht wegen toller Leistungen, sondern weil sie einen Formfehler einklagt, um an den Olympia-Platz ihrer Rivalin zu kommen. Immerhin sieht das Publikum so, wozu Athleten in der Lage sind, wenn es um ihre Interessen geht.

Eine Art Unbedenklichkeitssiegel

Im Schlechten geht ohnehin einiges unter. Erfolg und Moral will der Deutsche Olympische Sportbund mit seiner Mannschaft vereinen, aber nominiert still den Radprofi Stefan Schumacher als aussichtsreichen Einzelzeitfahrer. Schumacher hat zuletzt die Dopingberichterstattung beschäftigt mit diversen Episoden. Sein ebenfalls nominierter Kollege Jens Voigt steht für die alte Garde des verseuchten Radsports. Und dass Mountainbiker Manuel Fumic das Olympia-Team verstärkt, der geraume Zeit seine Meldepflicht bei den Antidoping-Behörden ignorierte, ist auch kein gutes Zeichen.

Es heißt, sie seien alle geprüft und mit einer Art Unbedenklichkeitssiegel versehen. Aber am Ende hinterlassen diese Personalien im Mosaik der deutschen Olympiamannschaft einen ganz bestimmten Eindruck: Moral ist irgendwie schon okay, aber am Ende sind Medaillen wichtiger.

Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Mittwoch, dem 16. Juli 2008

 

author: admin

Comment
0

Leave a reply