Johannes Funken ©Deutsche Sporthochschule Köln
Deutsche Sporthochschule Köln – „Der Fall des Blade Runners hat mich total angefixt“
Vier Wochen nach dem Ende der Olympischen Spiele erlosch nun auch das Paralympische Feuer in Rio de Janeiro. Für faszinierende Bilder und beeindruckende Ergebnisse sorgten in diesem Jahr wieder die Athletinnen und Athleten mit Prothesen.
Johannes Funken ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Biomechanik und Orthopädie der Deutschen Sporthochschule Köln und forscht zum Thema Sportprothetik. Seit einigen Jahren und auch in seiner kürzlich begonnenen Promotion beschäftigt sich der 30-Jährige mit der Biomechanik beinamputierter Athleten.
Über das, was ihn an diesem Thema fasziniert und wie seine weiteren Pläne aussehen, sprachen wir mit ihm im Interview.
Sie wurden in diesem Jahr mit zwei Preisen ausgezeichnet: dem Nachwuchspreis der Deutschen Sporthochschule Köln für die beste lebenswissenschaftliche Masterarbeit und einem Preis der International Society of Biomechanics in Sports für eine Posterpräsentation. Was bedeuten Ihnen diese Auszeichnungen?
Natürlich bin ich sehr stolz darauf, vor allem weil damit zwei Arbeiten mit völlig unterschiedlichen Themen gewürdigt wurden. Somit kann ich fast ausschließen, dass ich nur zufällig einmal Glück gehabt habe (lacht). Den Nachwuchspreis der Sporthochschule habe ich für meine Masterarbeit bekommen, in der ich mich mit der Hohen Tibialen Osteotomie (HTO) beschäftigt habe. Darunter versteht man eine Beinachsenkorrektur bei Menschen mit einer Varusfehlstellung (O-Bein). Aktuell basiert das Operationsplanungsverfahren, also die Ermittlung des Korrekturwinkels, auf Röntgenaufnahmen in einer statischen Position. Meine Ergebnisse zeigen jedoch, dass dies für sportlich aktive Menschen unzureichend ist und stattdessen ein dynamisches Planungsverfahren sinnvoll wäre. Den Posterpreis der ISBS gab es für meine Untersuchungen zum Kurvensprint amputierter Athleten.
Seit einigen Jahren beschäftigen Sie sich mit dem Thema Sportprothetik und promovieren hierzu nun auch. Wie sind sie zu diesem Themenschwerpunkt gekommen und was fasziniert Sie so daran?
Es schlagen irgendwie zwei Herzen in mir: das Herz eines Ingenieurs und das eines Sportwissenschaftlers. Bevor ich mein Studium an der Deutschen Sporthochschule aufnahm, habe ich an der RWTH Aachen Maschinenbau studiert. Die mathematischen, physikalischen und chemischen Themen gefielen mir immer gut, aber im Laufe des Studiums merkte ich, dass mir die menschbezogene Anwendung fehlte. Und genau das ist das Spannende an der Sportprothetik: die Interaktion zwischen Mensch und Technologie. Daher entschied ich mich letztlich für den Masterstudiengang Sports Technology der Sporthochschule. Dem Thema Sportprothesen begegnete ich zum ersten Mal in einer Vorlesung von Professor Brüggemann, Leiter des Instituts für Biomechanik und Orthopädie; damals sprach er über den Fall Oscar Pistorius – auch bekannt geworden als ‚Blade Runner‘. Das hat mich total fasziniert. Mittlerweile arbeite ich seit sechseinhalb Jahren in seinem Institut und bin dem Forschungsfeld treu geblieben. Nicht zuletzt auch deshalb, weil ich von Professor Potthast, der meine Masterarbeit und Promotion betreut, die nötige inhaltliche Unterstützung und persönliche Motivation erhielt, eigene Forschungsfragen zu verfolgen.
Im Rahmen Ihrer Forschungen haben sie u.a. herausgefunden, dass linksseitig amputierte Prothesenläufer im Kurvenlauf Nachteile gegenüber rechtsseitig amputierten Athleten haben. Was steckt dahinter und was bedeuten diese Ergebnisse für die Praxis?
Hintergrund ist, dass im Leichtathletikstadion alle Athleten gegen den Uhrzeigersinn, also linksherum, laufen, egal ob sie ihre Prothese am rechten oder linken Bein tragen. Bei unseren Messungen ließen wir rechtsseitig und linksseitig amputierte Sprinter sowohl rechts herum als auch links herum laufen. Trugen sie eine Prothese am kurveninneren Bein, liefen sie langsamer. Ein Grund hierfür liegt in der verminderten Fähigkeit, die nötigen einwärts gerichteten Bodenreaktionskräfte aufbringen zu können. Diese Ergebnisse deuten also auf eine Benachteiligung von linksseitig amputierten Athleten hin und werfen die Frage auf, ob Athleten mit einer Amputation auf der rechten Seite gegen Athleten mit einer Amputation auf der linken Seite antreten sollten.
Eine Aufhebung der vorgeschriebenen Laufrichtung im Stadion ist natürlich unrealistisch. Alleine das Fernsehbild würde dann komisch aussehen. Man könnte allerdings die Athleten mit einer linksseitigen Amputation auf den Außenbahnen laufen lassen, wo der Kurvenradius größer ist und dadurch der negative Effekt, den man bei engen Kurven hat, abgemildert würde. Auch für die Prothesenhersteller sind meine Forschungsergebnisse interessant. Vielleicht macht es Sinn, individuelle Blades (Karbon-Prothesen) für die Athleten herzustellen, je nachdem ob sie mehr Kurven oder Geraden laufen beziehungsweise rechtsseitig oder linksseitig amputiert sind.
Wie sehen Ihre aktuellen Projekte aus?
Neben den am Institut laufenden Projekten, die ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter bearbeite, versuche ich mich auf meine Promotion zu konzentrieren. Gegenstand meiner Arbeit ist unter anderem eine Untersuchung mit dem unterschenkelamputierten Weitspringer Markus Rehm, mit dem wir im Vorfeld der Olympischen und Paralympischen Spiele Messungen durchgeführt haben. Diese Daten haben wir dann mit den Werten nicht amputierter Weitspringer verglichen. Wir haben zwar erste Ergebnisse veröffentlicht, aber die Datenanalyse ist noch längst nicht abgeschlossen. Ich werde mir insbesondere die Details des Absprungs anschauen. Zum Sprung aus vollem Anlauf mit guten Athleten gibt es erstaunlicherweise noch sehr wenige Untersuchungen, speziell Daten zu Drehmomenten, zu anderen muskuloskelettalen Belastungsparametern oder zum Energieaustausch fehlen. Diese Lücke zu schließen, finde ich sehr spannend. Und das Schöne daran ist, dass wir an unserem Institut mit vielen sehr guten Athleten zusammenarbeiten, amputiert und nicht amputiert. Auf diese Weise können wir Leistungen auf einem sehr hohen Niveau vergleichen, denn Markus Rehm springt ja schon sehr weit.
In Rio hat Markus Rehm zweimal Gold gewonnen. Wie ist der Umgang mit solch „sportlicher Prominenz“?
Die Athleten, mit denen wir zusammenarbeiten, sind grundsätzlich sehr offen und interessiert und zeigen sich auch sehr technikaffin, vor allem die Athleten mit Prothesen, denn die setzen sich ja tagtäglich mit dieser technischen Komponente auseinander. Häufig kommen wir vor oder nach den Untersuchungen noch sehr ausführlich mit den Athleten ins Gespräch und das ist auch gut so, denn logischerweise kann ich mir selbst gar nicht vorstellen, wie es ist, mit einer Prothese zu laufen. Meistens ist die Stimmung während den Messungen auch sehr gelöst und man macht den einen oder anderen Spaß zusammen. Einmal habe ich einem Athleten unsere Feinmechanik-Werkstatt gezeigt. Das habe ich damals vor der Untersuchung getan – in Zukunft werde ich das nur noch danach tun, denn ich habe diesen Athleten da gar nicht mehr rausbekommen. Er war einfach so interessiert, er wollte gar nicht mehr weg.
Welche Entwicklungen gibt es aktuell im Paralympischen Sport und auf dem Prothesenmarkt?
In den vergangenen Jahren ist mir besonders das große mediale Interesse aufgefallen. Neben meinem beruflichen Bezug fällt mir dies auch verstärkt in meinem privaten Alltag auf. Als eine tolle Entwicklung empfinde ich, dass die Medaillenprämien der paralympischen Athleten an die der nicht-behinderten Sportler angepasst wurden. Das ist ein ziemlich gutes Zeichen und geht in die richtige Richtung, denn die meisten sind schließlich auch Profis oder trainieren wie solche. In den letzten 20 Jahren hat sich natürlich sehr viel in Sachen Materialien getan, zum Beispiel durch die Karbon-Blades. Auch die Form und die Anbringung am Schaft haben sich immer wieder verändert.
Welche Pläne haben Sie für Ihre weitere wissenschaftliche Karriere? Wo sehen Sie eventuell noch weiteren Forschungsbedarf zu dem Thema?
Mit meiner Promotion befinde ich mich nun in einer Phase, in er es darum geht, sich auf ein bestimmtes Projekt zu konzentriert und auf einem spezifischen Forschungsgebiet Expertise aufzubauen und diese auch bei anderen Forschern bekannt zu machen. Später könnte ich mir durchaus vorstellen mit Industriepartnern zusammen zu arbeiten und sich zum Beispiel die Materialien der Prothesenfeder genauer anzuschauen. Wichtig ist mir, anwendungsorientiert zu forschen, klasse wäre zum Beispiel, irgendwann mal eine kleine Arbeitsgruppe aufzubauen. Außerdem wäre es natürlich super, der Sporthochschule weiterhin treu bleiben zu können.
Quelle: Deutsche Sporthochschule Köln