Wie kann nun innerhalb eines Jahres aus einem schlechten Ergebnis ein gutes werden, mit größtenteils denselben Athleten? „Wir müssen so gut wie möglich arbeiten, Fehler vermeiden und jeden Tag ein Kerze stiften, dass wir vom Pech verschont bleiben
Deutsche rennen hinterher – Prämien für professionelles Verhalten In Peking waren die deutschen Leichtathleten bei Olympia so schlecht wie seit 1904 nicht mehr. Ein Jahr vor der WM in Berlin suchen die Verantwortlichen Wege aus der Krise. Friedhard Teuffel im Tagesspiegel
Nur wenige Stunden bis zum Wettkampf, Raul Spank schaut noch einmal im Mannschaftsbüro der deutschen Leichtathleten in Peking vorbei. Am Ende seines Besuchs klatscht er in die Hände und sagt: „So, und jetzt Bestleistung.“ Etwas später hat der 20 Jahre alte Hochspringer im Nationalstadion seine Bestmarke auf 2,32 Meter erhöht und den fünften Platz erkämpft.
Geschichten wie diese erzählen sie sich in der deutschen Leichtathletik derzeit gerne. Sie zeigen, dass es noch Athleten mit hohen Zielen gibt und vor allem Athleten, die diese Ziele dann auch erreichen. Viele solcher Geschichten ergaben sich bei den Olympischen Spielen allerdings nicht. Kaum einer übertraf sich in Peking selbst, so wie der Dresdner Raul Spank. Nur eine Bronzemedaille gewannen die deutschen Leichtathleten, durch Christina Obergföll im Speerwerfen, und nicht nur deswegen sagt der Leitende Bundestrainer Jürgen Mallow: „Es ist ein schlechtes Ergebnis. Irgendjemand hat herausgefunden, dass es das schlechteste deutsche Ergebnis seit 1904 war.“
Die Besorgnis darüber wäre sicher nicht so groß, wenn nicht im nächsten Jahr die Weltmeisterschaften in Berlin stattfinden würden. Es wird nach den vielen Weltmeisterschaften etwa im Fußball, Handball, Reiten, Hockey die vorerst letzte sportliche Größtveranstaltung in Deutschland sein. Und ausgerechnet jetzt erreicht die deutsche Leichtathletik ihren Tiefpunkt?
Enttäuschung und auch Wut darüber bekommen vor allem die Athleten zu spüren. Hochspringerin Ariane Friedrich erhielt Emails, in denen sie als „Versagerin“ beschimpft wurde. Die Frankfurterin war in dieser Saison mehrfach über zwei Meter gesprungen, in Peking schaffte sie es wegen einer verhärteten Gesäßmuskulatur nur über 1,96 Meter. Bei ihren ersten Olympischen Spielen wurde die 24-Jährige Siebte. „Der Respekt vor den Athleten fehlt“, sagt Bundestrainer Mallow zur Kritik an Friedrich.
Wie kann nun innerhalb eines Jahres aus einem schlechten Ergebnis ein gutes werden, mit größtenteils denselben Athleten? „Wir müssen so gut wie möglich arbeiten, Fehler vermeiden und jeden Tag ein Kerze stiften, dass wir vom Pech verschont bleiben“, sagt Mallow. Dass Diskus-Weltmeisterin Franka Dietzsch, Weitspringerin Bianca Kappler und Irina Mikitenko, die Gewinnerin des London-Marathons, wegen Verletzungen nicht nach Peking fahren konnten, sei schließlich Pech gewesen und habe ein besseres Abschneiden verhindert.
Eine grundsätzliche Änderung seines Konzepts will Mallow nicht vornehmen: „Wir haben Fehler gemacht, und wir werden weiter Fehler machen, aber ich möchte daran erinnern, dass wir mit ähnlicher Arbeitsweise 2007 ganz erfolgreich waren.“ Von der WM in Osaka waren die deutschen Leichtathleten mit zweimal Gold, zweimal Silber und dreimal Bronze zurückgekehrt. In Peking schimpfte Mallow über die mangelhafte Förderung durch das Bundesinnenministerium und den Deutschen Olympischen Sportbund. Aber mit mehr Geld von ihnen ist bis zur WM auch nicht mehr viel auszurichten.
Mallow plant etwas anderes: eine umfangreiche Athletenvereinbarung. Wenn sie sich professionell verhalten, bekommen sie Prämien. Mit professionellem Verhalten meint der Bundestrainer, dass sie auch mal auf einen gut bezahlten Wettkampf verzichten und stattdessen lieber mehr trainieren oder sich erholen sollen. Als Ausgleich erhalten sie dafür festgelegte Beträge. Dafür sollen Sponsoren zahlen. Das Problem der deutschen Leichtathletik ist offenbar ein anderes als das der deutschen Schwimmer, die in Peking wohl auch an fehlender Wettkampferfahrung gescheitert waren.
An einem guten Abschneiden bei den Weltmeisterschaften im nächsten Jahr hat der 64 Jahre alte Bundestrainer schon ein persönliches Interesse: Es ist seine letzte große Meisterschaft, danach wird er nach Rumänien umziehen, wo sein Sohn eine Schafzucht betreibt. Noch könne er in der Mannschaft Optimismus erkennen, sagt er. Bei sich selbst auch:
„Ich bin eigentlich nicht abergläubisch, aber 2005 haben wir in Helsinki fünf Medaillen geholt, in Osaka waren es 2007 sieben, deshalb werden es in Berlin neun.“
Friedhard Teuffel im Tagesspiegel, Mittwoch, dem 27. August 2008