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Deutsche Marathonläufer – Die Generation der Gescheiterten – Uwe Martin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
29.04.2012 · Cierpinski, Beckmann, Fitschen: Alle gescheitert. Bei den Olympischen Spielen in London wird kein deutscher Marathonläufer am Start sein. Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis.
Als sich Falk Cierpinski nach einer Stunde und zwanzig Minuten an den Bauch griff, begann das Drama. Zwei Minuten später stieg er aus, kurz darauf wieder ein, wurde langsamer, kämpfte weiter, aber bei Kilometer 28 war beim Hamburg-Marathon endgültig Schluss. Bei dem Frühjahrsklassiker wollte der 33 Jahre alte Sohn des Doppel-Olympiasiegers Waldemar Cierpinski die deutsche Verbandsnorm (2:12 Stunden) für die Spiele in London unterbieten.
Seit Monaten hatte er auf diesen Tag hintrainiert, sich auch in einem mehrwöchigen Höhentrainingslager in Kenia vorbereitet. Cierpinski fühlte sich in Form, seine vier Jahre alte Bestzeit von 2:13:30 Stunden deutlich zu unterbieten. Die nachfolgenden Schwierigkeiten – Atemprobleme und Seitenstechen – glaubte er nach einer Leistenoperation überstanden zu haben. In Hamburg kamen sie wieder. Mit aller Vehemenz. Und sorgten für das große Scheitern. Wie und ob es weitergeht mit seiner Karriere, zur Beantwortung dieser Frage will sich Cierpinski zwei Wochen Zeit lassen.
Nicht nur er fehlt auf Londoner Asphalt. Auch der 34 Jahre alte Martin Beckmann (LG Leinfelden-Echterdingen) verpasste dieses Ziel, beendete das Rennen in Hamburg vorzeitig. Jan Fitschen vom TV Wattenscheid, der dritte Kandidat für einen der drei freien Olympiaplätze, scheiterte zeitgleich beim Düsseldorf-Marathon, er blieb bei Kilometer 24,5 stehen. Bei der ersten Verpflegungsstation war der 10.000-Meter-Europameister von 2006 umgeknickt, seine Leidenszeit dauerte dann noch 20 Kilometer.
In der Summe bedeutet dies: Bei den Olympischen Spielen in London wird kein deutscher Marathonläufer am Start sein, Hamburg und Düsseldorf waren die letzten Qualifikationsmöglichkeiten. „Die Älteren hatten ihre Chance und haben sie nicht genutzt“, sagt Bundestrainer Ronald Weigel. Die Generation der Gescheiterten dürfte beim Neuaufbau nach Olympia keine Rolle mehr spielen.
Nicht eingelöstes Versprechen: André Pollmächer
Internationalen Ambitionen genügen die deutschen Marathonläufer schon lange nicht mehr; und warum dies so ist, darüber gibt es unzählige Abhandlungen in Fachzeitschriften. Nun dürfte Cierpinski, der seit seinem Wechsel vom Triathlon zum Laufen im Jahr 2008 auch dem großen Namen seines Vaters und Trainers hinterherläuft, einsehen müssen, dass es trotz aller Anstrengungen nicht reicht für mehr als nationales Niveau.
Wie bei Beckmann, dessen Bestzeit (2:13:42) auch schon drei Jahre alt ist. Ende Oktober 2011 war Beckmann in Frankfurt nach 2:22:51 Stunden als 46. ins Ziel gelaufen – eine knappe Minute hinter der Frauensiegerin Mamitu Dasku aus Äthiopien. Fitschen gab bei seinem zweiten Marathon in Frankfurt (2:15:40) zwar Anlass zu Hoffnungen; wie es jetzt nach dem kapitalen Rückschlag von Düsseldorf weitergeht, ist offen. Auch er ist schon 34. „Wir müssen mehr Wert legen auf die Nachwuchsentwicklung und hierfür die Rahmenbedingungen schaffen“, sagt Weigel.
Aufwand und Ertrag in krassem Missverhältnis
Was die Beispiele Cierpinski, Beckmann und Fitschen zeigen: Aufwand und Ertrag stehen seit Jahren in einem krassen Missverhältnis, und größere Investitionen in Training, Betreuung und Umfeld sind kaum denkbar. Ob auch André Pollmächer mit seiner Bestzeit von 2:13:09 Stunden ein ewiges Versprechen bleibt? Der Läufer aus Riesa war bei der WM 2009 als 18. fünftbester Europäer, aus der Bahn geworfen wurde er Ende Dezember 2011 von einem leichten Schlaganfall, seine Olympiaträume endeten im Frühjahr nach einer Blockade im Hüftbereich.
Der letzte herausragende Erfolg eines deutschen Läufers liegt mittlerweile zwanzig Jahre zurück. 1992 bei den Olympischen Spielen in Barcelona gewann Stephan Freigang aus Cottbus die Bronzemedaille. Seine Bestzeit: 2:09:45 Stunden.
Ein Quereinsteiger als Hoffnungsläufer
Aktuell bester deutscher Marathonläufer ist der Quereinsteiger Sören Kah vom Provinzklub LG Lahn-Aar-Esterau in Rheinland-Pfalz. Der 30 Jahre alte ehemalige Fußballer entdeckte nach einem Kreuzbandriss erst vor drei Jahren das Laufen als Passion. Hamburg war sein zweiter Marathon, und die 2:14:25 Stunden waren eine halbe Minute besser als seine avisierte Zielzeit.
Bei Kah, der in Frankfurt wohnt und erst seit einem halben Jahr als Profi unterwegs ist, sieht Bundestrainer Weigel noch viel Potential. „Das war ein guter Lichtblick.“
Uwe Martin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 29. April 2012