Die Läufer unterwegs ©Horst Milde
Der vierte 10-Km-Lauf der Berliner Gefangenen 2017 – Die JVA Moabit und das Training
Es ist 15.00 Uhr – die Freistunden sind beendet, kein Gefangener befindet sich mehr auf den Außenflächen der JVA Moabit – bald ist Einschluss.
In einem Haus allerdings ist Bewegung: Zwölf Gefangene aus drei Häusern sammeln sich am Treffpunkt, d.h., sie werden dort hingebracht.
Die JVA Moabit ist eine Untersuchungshaftanstalt. Jeder Kontakt unter den Gefangenen muss geprüft werden: Es könnten Tatgenossen sein, die sich für die Verhandlung absprechen …
Aber bei diesen zwölf Männern gibt es kein Problem. Sie haben ein besonderes Ziel: Sie wollen am 10-km-Lauf der Berliner Gefangenen teilnehmen. Sie wissen, es ist ein Privileg, ein Vertrauensbeweis – dafür strengen sie sich an.
Es geht in die Höfe. Nach und nach werden Zwischentore geöffnet um eine provisorische Laufstrecke, ca. 700 m, zusammenzubringen. Große Sportplätze gibt es hier nicht; alle sind abgegrenzt, um die Trennung der Gefangenen zu gewährleisten.
Die Ansage heißt: Keine Kontaktaufnahme über die Haftraumfenster, nicht einfach stehen bleiben und sich austauschen, keine Vorkommnisse bis zum Wettkampf – sonst können wir euch nicht mitnehmen!
Dann geht’s los. Wir alle sind ein bisschen aufgeregt. Der Trainer erklärt, macht Aufwärmübungen, korrigiert den Laufstil – aufpassen auf dem unebenen Gelände – Vorsicht bei den Ecken, so dass ihr nicht zusammenstoßt – findet eure Geschwindigkeit.
Da hat ein Inhaftierter keine guten Laufschuhe. Schon bei ersten Mal schmerzen die Füße. Wir helfen aus mit einem Paar Sportschuhen der richtigen Größe aus der Kammer aus.
Manche sind noch nie gelaufen, probieren sich das erste Mal – Kraftsport ist das Thema, aber Kondition, Durchhalten?
Es geht erst einmal nur um das Durchhalten.
Wir zählen die Runden, feuern an, motivieren. Nach einer Stunde ist das Training vorüber. Die Männer sind kaputt, sie sprechen von Selbstüberschätzung, einige sind verwundert über die fehlenden Kräfte – aber es macht Spaß. Ob sie beim nächsten Mal wiederkommen? Alle werden in die Hafthäuser zurückgebracht; die Stationen erlauben das Duschen außer der Reihe.
Wir haben neun Trainingstermine – für mehr steht kein Personal zur Verfügung…
Der zweite Trainingslauf: Die Männer sind wieder da – wieder Aufwärmen und dann Laufen. Einige haben sich Gedanken gemacht, sie wollen vernünftig vorgehen – nicht gleich so schnell – das richtige Tempo finden und vielleicht auf diese Weise gewinnen. So geht das an sieben Trainingsläufen – zwei Termine müssten ausfallen – es kann niemand für die Beaufsichtigung der Trainingsstunden abgestellt werden.
Während der Trainingsstunden gibt es kein einziges „besonderes Vorkommnis“ unter den Männern, niemand muss „disqualifiziert“ werden. Trotzdem sind es zum Schluss nur noch acht: Einige wurden verlegt und einige sind krank. Aber alle Teilnehmer sind hochmotiviert.
Schon die Ankunft am Wettkampfort der JVA Plötzensee ist spannend. Unsere Leute sehen alte Bekannte wieder, die schon in die Strafhaft verlegt wurden. Die Stimmung ist gut und unbeschwert.
Dann geht es an den Start. Die Strecke ist unbekannt und eine Riesenherausforderung: Zehn Runden müssen gelaufen werden. Der Jubel der Gäste spornt die Läufer an und man sieht, wie sie sich freuen und kämpfen, die Strecke durchzuhalten. Niemand bricht ab an diesem Tag. Wenn dann die ersten „Sieger“ einlaufen, ist der Applaus groß und die Begeisterung steckt alle an.
Die Siegerehrung ist etwas ganz Besonderes. Vor aller Augen werden die Läufer und Läuferinnen geehrt und sie sind sichtbar stolz!
Auch die Moabiter schaffen es alle. Zum dritten Mal in Folge sind wir unter den ersten Dreien gelandet. Aber im Grunde sind alle Läufer irgendwie Sieger, denn Das Ereignis hat Spuren bei den Gefangenen hinterlassen:
Sie wissen in der U-Haft nicht, was sie erwartet, haben Aggressionen, Illusionen und Ängste. Für einen Moment geht es aber nicht um diese Themen. Jetzt sind sie Sportler und werden für ihre Leistung und den Sportsgeist anerkannt.
Das ist eine seltene Erfahrung in der Zeit der Untersuchungshaft. Anerkennung außerhalb des kriminellen Umfelds ist selten, für manchen vollkommen unbekannt.
Die Gefangenen die dabei sein konnten bedanken sich dafür – es war ein guter Start!
Rosemarie Dorsch-Jäger
Leiterin der Sozialpädagogischen Abteilung der JVA Moabit
Beitrag im rbb am 13. Oktober 2017: rbb – 4. Berliner Gefangenenlauf – "Ich habe kurz vergessen, wo ich bin" – VIDEO:
Gefängnislauf in der JVA Plötzensee
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Der Flyer für den 4. Berliner 10 Kilometer Lauf für Gefangene