Der Wintersport wirkt eigentlich so natürlich, wenn sich Biathleten durch verschneite Wälder kämpfen und auch mal ein Wettbewerb verschoben wird, weil es stürmt oder nebelt
Der Kommentar von Friedhard Teuffel im Tagesspiegel – Die Spiele als Spektakel – Ein Rodler ist tödlich verunglückt. Unglücksursache soll ein Fahrfehler gewesen sein. Das klingt zynisch, als ob ein Mensch seinen Sport und sein Sportgerät nicht beherrscht habe. Aber geht es, wenn ein Fehler tödliche Folgen hat, noch um Sport oder schon um einen Stunt?
Ein Rodler ist tödlich verunglückt. Unglücksursache soll ein Fahrfehler gewesen sein. Das klingt zynisch, als ob ein Mensch seinen Sport und sein Sportgerät nicht beherrscht habe. Aber geht es, wenn ein Fehler tödliche Folgen hat, noch um Sport oder schon um einen Stunt?
Vom olympischen Ehrgeiz, dem Streben nach dem Höher, Schneller und Weiter, sind die Organisatoren längst ebenso erfasst wie die Sportler. Sie kühlen die Hallen herunter, damit die Eisschnellläufer auf dem harten Eis noch rasanter ihre Runden drehen, auch wenn die Luft dadurch immer dünner wird. Sie stecken Skipisten ab, auf denen sich die Fahrer Hals über Kopf in die Tiefe stürzen. Und sie haben in Whistler eine Bobbahn konzipiert, die alle anderen Eiskanäle auf der Welt übertreffen sollte.
Wenn es Weltrekorde für Sportler gibt, dann muss es auch Weltrekorde für Sportstätten geben, denken die Organisatoren wohl, und so wie von Ausnahmeathleten könnte doch auch von Ausnahmesportstätten geschwärmt werden. Pisten, Schanzen und Bahnen, die sportliche Mythen begründen, weil eben nicht jeder sie bewältigen kann. Unverletzt ankommen ist erst einmal alles.
In Whistler sollten die Fahrer einen Temporausch erleben und die Fernsehzuschauer dabei mitnehmen auf ihrem Schuss ins Tal. So wie das Publikum bei Radfahrern mitleiden kann, die sich die Berge hinaufquälen, so kann es bei den Rodlern mitbangen, ob sie auch die nächste Kurve unfallfrei überstehen. Nahezu ungeschützt rasen sie mit mehr als 150 Stundenkilometern durch die Rinne.
Ins Zentrum des allgemeinen Interesses rückt eine Sportart wie Rodeln meist nur alle vier Jahre bei den Olympischen Spielen. Die sportliche Leistung der Fahrer ist mit dem bloßen Auge kaum erkennbar. Für einen Nervenkitzel scheint ihre Sportart aber noch gut genug zu sein. Wenn dann einer aus der Bahn kippt, kann das Fernsehen in Superzeitlupe den Schreckensmoment so oft es will wiederholen. Da fehlt eigentlich nur noch eine Rangliste der spektakulärsten Stürze.
Der Wintersport wirkt eigentlich so natürlich, wenn sich Biathleten durch verschneite Wälder kämpfen und auch mal ein Wettbewerb verschoben wird, weil es stürmt oder nebelt. Vieles ist jedoch längst Ingenieurswerk, damit die Kufen schneller laufen oder eben eine Bahn die andere übertrifft. Die Grenzen zwischen natürlich und künstlich sind im modernen Wintersport aufgehoben.
Hinter all dem steckt der Wettbewerb – der zwischen einzelnen Austragungsorten, der zwischen einzelnen Sportarten. Wer das größere Spektakel bietet, gewinnt. Als Lohn warten Marktanteile und Eintragungen in die Statistiken der Sportgeschichte. Den Wettbewerb der Sportler untereinander hat das stark verändert. Es siegt nicht allein derjenige mit dem besten Fahrgefühl und der besten Athletik. Für den Sieg muss der Sportler auch noch ein Risiko eingehen, das er kaum noch berechnen kann. Hinterher darf er sich dann für seinen Todesmut feiern lassen.
Auf einer Bobbahn spielte eine der schönsten Geschichten des Wintersports. Die von vier Jamaikanern, die erst auf dem Parkplatz eines Supermarkts für Olympia trainierten und dann tatsächlich 1988 in Calgary starteten. Kann sich solcher olympische Pioniergeist wiederholen, wenn die Teilnahme an den Spielen auch das Leben kosten kann?
Friedhard Teuffel im Tagesspiegel, Sonntag, dem 14. Februar 2010