Das Spitzentrio der Frauen nach 4 km ©Jung
Der Kenianer Den(n)is Koech siegt auch in Berlin und läuft einen „kleinen“ Weltrekord – Helmut Winter bilanziert
Völlig untypisch für einen 1. April zeigte der sich von der besten Seite und bescherte den etwa 30.000 Läuferinnen und Läufern beim 32. Berliner Halbmarathon ein traumhaftes Sonnenwetter, das in dieser Form nach dem Vortag mit Regen und stürmischen Böen kaum zu erwarten war.
Und der Wind am Samstag war sogar so stark, dass die Tests mit einem Relais-Flugzeug für die TV-Liveübertragung abgebrochen worden mussten. Zwar hatte sich der Wind bei Temperaturen um die 8°C etwas abgeschwächt, aber er war immer noch stark genug, um am Ende bessere Zeiten der Topläufer zu verhindern.
Für das dichte Feld der Breitensportler war der scharfe Westwind auf den ersten 9 km weniger problematisch, es hagelte Bestzeiten. So liefen am Sonntag z.B. etwa 1.150 Aktive unter 1:30 h (davon 57 Frauen), während das im letzten Jahr mit 634 Teilnehmern nur gut die Hälfte schaffte.
Für die Topathleten spielte der Wind eine größere Rolle, da sich die Spitzen der Männer und Frauen schnell auf sehr überschaubare Größen dezimierten, und man im Gegensatz zum vollen Marathon auf eine Schar von Tempomachern verzichtete. Der erste km mit dem Start auf der Karl-Marx-Allee ging noch schnell über die Bühne, mit 2:46 war man auf Weltrekordtempo. Aber schon auf dem kommenden km lief die Spitze gegen einen scharfen Wind. Und das zeigte Wirkung.
Bereits nach weiteren 2:56 mit 5:42 für die 2km befand man sich auf Kurs zu einer Zeit über einer Stunde; im Vorfeld hatte man eine Zeit um die 59 Minuten anvisiert. Bis zur 5 km Marke an der Siegessäule in 14:09 machte man zwar etwas Boden gut, lag dort auf Kurs von 59:41, aber auf den kommenden km durch Charlottenburg forderte der Wind seinen Tribut. Ferner liegt auch die einzige merkliche Steigung der gesamten Strecke in diesem Bereich.
Bis zum Schloss Charlottenburg war man mit km-Abschnitten um die 2:53 deutlich hinter dem Fahrplan zurück. Das zeigte sich auch auf den Matten für die Zeitnahme bei 10 km, die eine neunköpfige Gruppe in 28:25 zurücklegte. Das lag hinter der Vorgabe von 28 Minuten und ließ eine Zeit im Bereich des Streckenrekords von 58:56 durch Marathon-Weltrekordler Patrick Makau im Jahr 2007 kaum noch zu. Makau und die Spitzengruppe waren damals in fast aberwitzigen 27:27 über die 10 km unterwegs, d.h. eine Minute schneller.
Die Spitze hatte damit den westlichsten Teil der Strecke erreicht, es ging nun mit dem Wind zurück nach Berlin Mitte über Kurfürstendamm und Potsdamer Platz. Welche Rolle der Wind gespielt haben mag, zeigt die Tatsache, dass nun kein km-Abschnitt mehr über 2:50 zurückgelegt wurde. Das Tempo zog merklich an und als man die Urania nach 15 km in 42:18 passierte lag man nach guten 13:53 für die letzten 5 km bereits auf Kurs zu einer Endzeit von 59:29, einer Zeit von internationaler Klasse.
Die Entscheidung um die vorderen Plätze fiel dann kurz danach, als die stimulierende Stimmung um den Potsdamer Platz den jungen Mitfavoriten Dennis Koech zu einem Zwischenspurt anspornte, den nur Weltmeister Wilson Kiprop kontern konnte. Mit dem schnellsten km-Abschnitt des Laufs von 2:42,7 lagen die beiden nun deutlich vor ihren Landsleuten Chebii, Kirop und Kipchumba. Mitfavorit Leonard Langat lag da schon weiter zurück und sollte am Ende der erste Läufer der Verfolger sein, der im Ziel mit 60:05 die Stunde nicht mehr schaffte.
Ein kurzes Taktieren der beiden Führenden zur 20 km-Marke (Split 56:15, letzten 5 km in 13:57) kostete noch einmal etwas Zeit, die aber in einem fulminanten Endspurt wieder kompensiert wurde. Koech hatte am Ende die Nase vorne und siegte in sehr guten 59:14 mit einer Sekunde vor Wilson Kiprop. Knapp dahinter Ezekiel Chebii in gleichfalls hochklassigen 59:22 und Pius Kirop in 59:25, und auch Paul Kipchumba schaffte in 59:53 die magische Stundengrenze. Eine Siegerzeit von 59:14 hatte in der Geschichte des Halbmarathons noch nie ein Läufer erzielt und bedeutet die 29-schnellste jemals gelaufene Zeit.
Aber viel wichtiger: Noch nie war ein U20-Läufer schneller. Dennis Koech lag nämlich 2 Sekunden unter der Zeit des großen Sammy Wanjiru bei seinem Debut in Rotterdam 2005, der hiermit einen seiner letzten Rekorde verlor.
In Berlin lief Koech nach Makau (58:56) und Paul Kosgei (59:07) die drittschnellste Zeit, und im globalen Jahresvergleich war dies Platz 5, wobei Berlin allerdings das Fernduell gegen Prag (am Samstag) deutlich verlor. Dort schien neben Koech ein weiterer Stern am Läuferhimmel aufzugehen. Der Äthiopier Atsedu Tsegay legte bei stürmischen Boen mit 58:47 ein Finale aufs Pflaster, dass es seinen kenianischen Mitkonkurrenten die Sprache verschlug.
Dennis steigerte seine ebenfalls durch (allerdings weniger starken) Wind beeinträchtigte Bestmarke um 1:20 und deutete sein Potential insbesondere im zweiten Teil des Laufs an. Nach 29:57 für die erste Hälfte brauchte er nur noch 29:17 für den zweiten Part, das ist schon nicht mehr weit vom Weltrekordtempo entfernt.
Inwieweit sein „kleiner" Weltrekord als U20-Bestmarke Anerkennung finden kann, hängt auch davon ab, wie alt Dennis in Wirklichkeit ist. Race Director Mark Milde meldete nämlich während der Vorstellung der Sieger gewisse Zweifel an seinem Alter an. Auf der Homepage seines Managements wird er als Dennis Kipruto mit einem Geburtsdatum vom 22. Januar 1994 geführt. Aber eine verbindliche Klärung des Sachverhalts steht noch aus, wobei die Schreibweise seines Vornamens (Denis oder Dennis) weniger wichtig scheint.
Wie dem auch sei, der Mann ist ein Riesentalent, das nach seinem Debut in der internationalen Szene und Sieg in Ras Al Khaimah einen weiteren Coup landete und eine glänzende Karriere vor sich haben dürfte. Die wird aber, wie er auf der Pressekonferenz erklären ließ, erstmal durch die 10000 m auf der Bahn in Eugene/Oregon unterbrochen, wo die Kenianer ihre Olympiaqualifikation auf dieser Bahnlangstrecke austragen. Somit könnte es mit dem jungen Mann, wie alt der auch immer wirklich ist, ein Wiedersehen bei Olympia in London geben.
Aber neben dem Sieger kann sich Berlin auf 5 weitere Zeiten unter einer Stunde freuen, die nun mittlerweile weltweit 182-mal unterboten wurde. In Berlin war dies mittlerweile 15 mal, womit man international in der Spitzengruppe hinter Rotterdam (26) und Ras Al Khaimah (19) liegt (Lissabons 29 Zeiten sind weitgehend auf der alten Strecke mit zu großem Gefälle erzielt). Und auch im Mittel der 10 schnellsten erzielten Zeiten hat Berlin aufgeholt, mit dem Zehnermittel von 59:20,4 liegt man dicht hinter Rotterdam (59:12,6), RAK (59:18,4) und den Haag (59:19,5).
Bei den Frauen bildete sich kurz nach dem Start eine Dreiergruppe, die bis kurz vor dem Ziel zusammenblieb. Auch die Frauen lagen mit 32:31 für die ersten 10 km leicht hinter den Vorgaben zurück, konnten aber ebenfalls auf dem zweiten Part Zeit gutmachen. Am Ende spurteten zwei Kenianerinnen um den Sieg, wobei Philes Ongori mit 68:25 eine Sekunde vor Helah Kiprop einlief, die maßgeblich für das Tempo nach 10 km sorgte. Dritte wurde Caroline Chepkwony in 68:36. International reihen sich diese Zeiten sehr vergleichbar zu denen der Männer ein, in der aktuellen Jahresweltbestenliste liegt Philes auf Platz 4. Weitere Details kann man dem Interview der Siegerin mit Andy Edwards entnehmen (Podcast auf dieser Webseite). Groß war die Freude bei Andrea Mayr aus Österreich, weniger über Platz 6 in 71:49 als vielmehr über die Tatsache, dass sie damit den Landesrekord vom letzten Monat nochmals steigerte.
Über die deutschen Teilnehmer bleibt wenig zu berichten, Silke Optekamp vom PSV Grün-Weiß Kassel belegte in 66:45 Platz 9, bei den Herren war Markus Weiß-Latzko aus Tübingen in 65:50 nach dem Marathon im September 2011 auch hier der beste Deutsche. International sind solche Zeiten aber indiskutabel. Und auch der Lokalmatador Robert Krebs war mental vermutlich schon beim Rotterdam-Marathon, wo allerdings seine 66:45 eine ganz brauchbare Zwischenzeit wären.
Das gute Wetter und die späte Startzeit lockten eine Zuschauermenge an, die sich zwar noch nicht mit dem großen Marathon-Bruder im Herbst messen kann, aber der Zuspruch und die Steigerungsraten an Zuschauern waren in allen Belangen beachtlich. Beachtlich auch die Dichte des einlaufenden Läuferfeldes und die Stimmung am Ziel auf der Karl-Marx-Allee, organisatorisch lief alles wieder problemlos über die Bühne.
Das Interesse der Medien hielt sich allerdings in Grenzen, die Pressekonferenzen waren schwach besucht und die lokale öffentliche Rundfunkanstalt beschäftigte sich sportlich an diesem Tag vornehmlich mit den Befindlichkeiten eines Bundesliga-Abstiegskandidaten und vor allem damit, dass es wegen einer Informationssperre eigentlich nichts zu berichten gab.
Somit war die Öffentlichkeit auf die Aktivitäten des Privatsender n-tv angewiesen, der mit Engagement und guter Konzeption bewegte Bilder in die Welt schickte, die in der Tat beeindruckend waren. Mit faszinierenden Bildern, Konzentration auf den sportlichen Ablauf und kompetenten Kommentaren gelang dem Team um Kommentator René Hiepen eine Übertragung, die eindrucksvoll demonstrierte, wie spannend man auch einen Lauf über eine volle Stunde präsentieren kann.
Und als fachkundiger Mitkommentator war Martin Grüning wieder großartig. Defizite, wie die Konzentration auf die vierte Frau im ersten Teil, sind den Randbedingungen einer Liveübertragung geschuldet und werden bis zum Berlin-Marathon sicher noch abzustellen sein. Schon jetzt kann man sich auf die Übertragung aus Berlin am 30. September freuen.
Bleibt zu hoffen, dass auch das „Experiment" der Übertragung des Halbmarathons eine Fortsetzung erfährt. Für die Akzeptanz des Laufsports in den Medien wäre das sehr wichtig.
Berliner Halbmarathon am 1. April 2012
Männer
1. Koech, Dennis Kipruto (KEN) 59:14
5 km (2:46, 2:56, 2:52, 2:47, 2:49) 14:09
10km (2:54, 2:53, 2:51, 2:50, 2:49) 28:25 – 14:16
15 km (2:48, 2:47, 2:46, 2:45, 2:47) 42:18 – 13:53
20 km (2:46, 2:49, 2:43, 2:50, 2:50).58:54 – 13:57
2. Kiprop, Wilson (KEN) 59:15
3. Chebii, Ezekiel (KEN) 59:22
4 Kirop, Pius (KEN) 59:25
5 Kipchumba, Paul (KEN) 59:53
6 Langat, Leonard (KEN) 1:00:05
7 Kipkemboi, Nicholas (KEN) 1:00:15
8 Kiptum, Joseph (KEN) 1:00:26
9 Kipketer, Gideon (KEN) 1:00:34
10 Kamzee, Josphat (KEN) 1:02:56
11 Korir, Edwin (KEN) 1:03:50
12 Kimeli, Charles (KEN) 1:04:41
13 Hohenwarter, Markus (AUT) 1:04:41
14 Weiß-Latzko, Markus (GER) 1:05:50
15 Kreienbühl, Christian (SUI) 1:05:55
16 Pflügl, Christian (AUT) 1:05:56
17 Ott, Michael (SUI) 1:05:58
18 von Wartburg, Geronimo (GER) 1:06:36
19 Krebs, Robert (GER) 1:06:45
20 Meingast, Maximilian (GER) 1:06:52
Frauen
1 Ongori, Philes (KEN) 1:08:25
2 Kiprop, Helah (KEN) 1:08:26
3 Chepkwony, Caroline (KEN) 1:08:36
4 Jarzynska, Karolina (POL) 1:10:56
5 Chepkemoi, Vicoty (KEN) 1:11:12
6 Mayr, Andrea (AUT) 1:11:49 NR
7 Naigambo, Beata (NAM) 1:12:40
8 Papp, Krisztina (HUN) 1:12:53
9 Optekamp, Silke (GER) 1:16:45
10 Degafa, Debele Worknesh (ETH) 1:16:48
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