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31
10
2012

Der DOSB-KOMMENTAR I Sie nennen es Sport - Prof. Dr. Helmut Digel zum Sprung aus 39 Kilometer Höhe ©Universität Tübingen

Der DOSB-KOMMENTAR I Sie nennen es Sport – Prof. Dr. Helmut Digel zum Sprung aus 39 Kilometer Höhe

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Ein Mensch lässt sich von einem Ballon in eine Höhe von 39 Kilometern tragen und springt im freien Fall zurück auf die Erde. Bei seinem Fall durchbricht er die Schallmauer, und nicht zuletzt deshalb wird seine Handlung als etwas Einmaliges gedeutet. Nahezu die gesamte Welt ist bei diesem Spektakel dabei.

Mit einer Zahl, die sich durch viele Nullen ausweist, könnte die genaue Zahl der Menschen benannt werden, die im Internet, in einem Spezialkanal des Sponsors oder vor nahezu allen sonstigen Bildschirmen dieser Welt das spektakuläre Ereignis verfolgt haben. Es gibt wohl keine Tageszeitung, in der nicht darüber berichtet worden wäre. Interessant ist dabei allerdings, dass über dieses Ereignis meist an mehreren Stellen gleichzeitig in den Zeitungen berichtet wurde.

Auf der Titelseite hatte das Spektakel Platz, weil es ein Spektakel war. Im Feuilleton setzten sich Philosophen, Soziologen und andere Wissenschaftler mit dem Phänomen des risikoreichen Sprunges auseinander.

Im Wirtschaftsteil wurde die Marketingbedeutung des Ereignisses herausgestellt und die Marke erläutert, um die es bei diesem Ereignis im Grunde genommen gegangen ist. Schließlich wurde im Sportteil über das Event berichtet. In Tabellen und Grafiken wurde die besondere Leistung herausgestellt und erläutert. Der Verband der Fallschirmspringer gratulierte seinem angeblichen oder tatsächlichen Mitglied, wenngleich darauf hinzuweisen ist, dass der Springer von Beruf Hubschrauberpilot ist.

Die als außergewöhnliche sportliche Leistung bezeichnete Handlung wurde dabei in der Sprache des Sports beschrieben. Jahrelanges Training, Überwindung von Rekorden, das Erreichen von neuen Weltrekorden, die körperliche und physische Leistung des Athleten, sie alle wurden in einer Bewunderung dargestellt, wie sie so typisch ist für die Sprache des Sports.

Auffällig allerdings war dabei, dass weder im Feuilleton noch im Sportteil, weder im Hörfunk noch im Fernsehen die Frage nach dem Sinn dieser Handlung gestellt wurde, wobei doch diese Frage auf vielfältige Weise gestellt werden kann. Sind für den Menschen solche Handlungen überhaupt erlaubt? Was wird durch solche Handlungen zu Darstellung gebracht? Kann ein derartiger Sprung wirklich als Sport gedeutet werden? Hat diese Handlung einen Vorbildcharakter?

Bei dem Sprung aus 39 Kilometern Höhe hat ein Mensch ohne Zweifel sein Leben zur Disposition gestellt. Es bestand ein tödliches Risiko, das von dem Betroffenen freiwillig eingegangen wurde, wobei sich Freiwilligkeit oft auch dadurch auszeichnet, dass man selbst ein Getriebener ist und materielle und ideelle Motive bei solchen Handlungen wohl nur schwer auseinander zu halten sind.

Die hier aufgeworfenen Fragen hätten ihre theoretische und spekulative Qualität dann sofort verloren, wenn der Absprung tödlich ausgegangen wäre. Dieselben Autoren, die in ihrer Berichterstattung die Tat des Einzelmenschen verherrlicht haben, hätten mit dem gleichen Impetus dessen Tat in Frage gestellt.

Theologische Erörterungen, philosophisch-ethische Diskurse bis hin zu Forderungen an die Politik wären die Folge gewesen. Einhellig wäre der Sprung verurteilt worden, wobei es vielsagend ist, dass sich unter ökonomischen Gesichtspunkten und unter dem Aspekt des Marketings bei einem tödlichen Ausgang so gut wie nichts verändert hätte. Das Live-Ereignis hatte seinen besonderen Sinn immer auch darin gehabt, dass es tödlich ausgehen kann. Die tödliche Gefahr, das Risiko macht den eigentlichen Spannungswert dieses Events aus.

Und so ist für den Unternehmer, der der Welt eine Brause verkauft und die auf diese Weise zu einem Verkaufserfolg gelangt, der seinesgleichen sucht, die Frage des Ausgangs nur sekundär. Da die handelnde Person unmittelbar nach dem Sprung das Ende der Karriere bekannt gab, hätte ein tödlicher Ausgang zum gleichen Werbewert geführt, wie das von uns allen erwünschte Überleben des riskanten Springers.

Damit wird allerdings klar, dass es keinen Sinn macht, bei dieser fragwürdigen Handlung von einer Handlung des Sports zu sprechen. Schon gar nicht kann diese Handlung als Wettkampfsport bezeichnet werden, und mit dem olympischen Sport hat sie nichts gemein.

Für den olympischen Sport ist es nicht nur konstitutiv, dass für die olympischen Sportarten die Regeln schriftlich niedergelegt sind, nach denen die Sportarten zu spielen oder zu betreiben sind. Konstitutiv sind auch verbindliche Werte, wobei die Werte der Unversehrtheit und der Würde des Menschen höchste Priorität haben.

Genau diese Werte werden jedoch mit dem spektakulären Sprung in Frage gestellt. Im Sinne eines Spektakels wird mit ihnen gespielt, was sich ethisch und moralisch von selbst verbietet. Dem Menschen sind durchaus Grenzen gesetzt. Diese zu beachten macht für uns nach wie vor sehr viel Sinn.

 

Quelle:  DOSB – Prof. Dr. Helmut Digel

author: GRR

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