Cover der Ausschreibung zum 1. Berliner Volksmarathon 1974 - © Foto: Horst Milde
Der BERLIN-MARATHON – und seine Kurz-Geschichte – Horst Milde* zieht Bilanz seiner vielen Veranstaltungen von 1964 bis heute
In drei Wochen ist der 49. BMW BERLIN-MARATHON 2023 schon wieder vorbei.
Das Thema heute ist die Vor- und Entstehungsgeschichte des BERLIN-MARATHON, die der Öffentlichkeit und den Medien wahrscheinlich eher unbekannt ist, da lange her.
Es ist wichtig ist, weil sie aufzeigt welche „dicken Bretter“ von den „Altvorderen“ gebohrt werden mussten, damit sich der Laufsport in der Gesellschaft, in den Verwaltungen und den Medien überhaupt entfalten konnte.
„Es ist nichts allein vom Himmel“ gefallen, alles musste im wahrsten Sinne des Wortes erkämpft werden, damit es ein Erfolg werden konnte.
Horst Milde
Der 49. BMW BERLIN-MARATHON findet am 24. September 2023 statt. Der BERLIN-MARATHON, ist nicht nur das sportliche Aushängeschild des Vereins, sondern gleichzeitig eines von Berlin und auch das der Bundesrepublik Deutschland.
Dieser Lauf hat in den 48 Jahren seines Bestehens weltweit Sportgeschichte geschrieben. Mit zwölf Weltrekorden bei den Läufer/innen und seinen ständig steigenden Teilnehmerzahlen hat dieser Lauf seine eigene Erfolgs- und Ruhmesgeschichte.
Der Berliner Cross-Countrylauf ist die Großmutter …
Der Ursprung für den überwältigenden Erfolg des BERLIN-MARATHON liegt knapp 60 Jahre zurück. Im Februar 1964 nahmen die Studenten der Freien Universität Berlin (FU Berlin) an einem Crosslauf der Universitäten in Le Mans teil. Sie alle waren gleichzeitig Mittel- und Langstreckler beim SCC, BSC und OSC. Sieger wurde der FU-Sportreferent Hartmut Lehmann (BSC).
Von der anderen und besonderen Art des Laufens in Frankreich waren die Studenten so angetan, dass schon im April 1964 ein Schreiben an die Berliner Leichtathletikvereine von Horst Milde formuliert wurde, mit dem Hinweis, dass man am 8. November 1964 einen Querfeldeinlauf auf schwerem Gelände im Grunewald veranstalten wolle.
Es sollten beispielweise neben den Leichtathleten auch die Ruderer, Kanuten, die Garnisonen der westlichen Schutzmächte und die verschiedenen Abteilungen der Berliner Polizei eingeladen werden. Neben einen Hauptlauf über 8 km war auch ein „Jedermann-Lauf“ über die halbe Distanz vorgesehen, damit man den weniger routinierten Läufern Mut machen könne – alles neue Ideen zur damaligen Zeit.
Die Umsetzung dieser Ideen war gleichzeitig die Geburtsstunde für den Volkslauf in Berlin (und in Deutschland) und so sensationell, dass der Berliner Leichtathletikverband (Sportwart Hans Rieke) die Genehmigung für diesen Lauf nur dem Sportreferat der FU zubilligte („die Studenten haben eh’ einen Jagdschein“!) – die LA-Vereine hatten die Visionen bisher nicht erkannt.
Waren sonst 50 – 60 Teilnehmer bei den traditionellen Läufen der LA-Vereine auf geharkten und flachen Park- und Waldwegen üblich, so explodierte jetzt die Teilnehmerzahl auf über 700 Teilnehmer.
Dieser Lauf fand in den Medien eine große Öffentlichkeit. Insbesondere „trommelten“ die Radio-Wellen von SFB und RIAS, sowie Zeitungen wie TAGESSPIEGEL, Berliner Morgenpost, Der Abend, Telegraf und Kurier u.a.m.
1964 (8. November) gewann die Premiere des 1. Berliner Cross-Country-Laufes am Teufelsberg Bodo Tümmler (FU Berlin/SCC) den „Cross der Asse“ über 9.900 m, der am Anfang seiner grossen Läufer Karriere stand, vor Bernd-Dieter Hecht (PSV/Polizei SV). Ekkehard zur Megede schrieb danach im Berliner TAGESSPIEGEL die „geflügelten Worte“: „Da flog der Tümmler an dem Hecht vorbei“. Den Volkslauf über 4.900m gewann Rainer Podlesch (Zehlendorfer Eichhörnchen), der amtierende Steher-Weltmeister. Zusätzlich gab es noch einen Jugendwettbewerb über 2.450 m. Ein spezieller Frauenwettbewerb war noch nicht ausgeschrieben, aber Frauen liefen trotzdem im Cross der Asse, als auch im Volkslauf mit.
Nach zwei Jahren übernahm der SCC formell die Organisation des Crosslaufes. Der Volkslauf und der „Cross der Asse“ beim Berliner Cross-Country-Lauf wurden für Jahre der „Renner“ und das Flaggschiff des SCC, übrigens dann auch in ganz Deutschland (West).
Der Crosslauf am Teufelsberg lässt sich durchaus als „die Grossmutter“ aller Volksläufe in Berlin bezeichnen. Die Idee, die dahintersteckt, hat bis heute ihren Wert nicht verloren:
Allen Bevölkerungskreisen und – schichten, von ganz jung bis alt, Vereinsmitglied oder nicht, soll ermöglicht werden, den gesundheitlichen Wert des Laufens zu erkennen und zu leben.
Die Läufer/innen im Verein
Der SCC war seit seiner Gründung 1902 ein Läuferverein. Begnügte man sich zunächst mit dem Crosslauf als Hauptlaufveranstaltung des Jahres im Herbst, so wurde am 26. März 1966 der „1. Berliner Volksmarsch quer durch den Grunewald“ über 15 km mit 520 Marschierern ins Leben gerufen.
Das Laufprogramm wurde schon am 10. Juni 1967 ergänzt mit dem 1. Berliner Volks-Langlauf im Grunewald über 10 km. Mit dem Motto „Bleib fit – lauf mit“ wurden die Berliner in den Wald zum Start am Forsthaus Eichkamp, nahe des S-Bahnhofes Grunewald, gelockt.
Ein Grundpfeiler des langfristigen Erfolgs der Läufe des SCC wurde auch schon ab 1967 gelegt, denn den Berliner Jedermannläufern wurde neben der Haupt-Veranstaltung auch jeweils ein Vorbereitungstraining jeden Sonnabend um 14.30 Uhr auf der Wettkampfstrecke unter Anleitung von erfahrenen Läufern des Vereins angeboten.
Letztlich war dieses kostenlose Trainingsangebot des Vereins der Vorläufer der viel später vom DSB gegründeten Lauftreffs in ganz Deutschland. Und schlußendlich wurde die Bevölkerung durch diese vielfältigen Aktivitäten rund um das Laufen – gerade auch außerhalb des Vereinsgeschehens – immer wieder auf die gesunden Aspekte des Laufsports aufmerksam gemacht. Ein langer, aber erfolgreicher „Erziehungsprozeß“ von unten her.
Der BERLIN-MARATHON
Das Jahr 1974 war auch das Geburtsjahr des BERLIN-MARATHON. Zunächst hieß die Veranstaltung offiziell in der Ausschreibung „1. Berliner Volksmarathon“. Die Zeit schien reif für eine weitere öffentliche Laufveranstaltung zu sein, so entschied Horst Milde neben Cross, Volksgehen, Volkslauf und Volkswandern sich auch des Marathons anzunehmen. Und das war wohl die wichtigste Entscheidung seines sportlichen und organisatorischen Lebens. Die Volksläufe, hauptsächlich über 10 km, waren in Berlin bei den anderen Vereinen üblich, aus dem Ausland hörte man aber über Marathonläufe mit hohen Teilnehmerzahlen.
Der Berliner Leichtathletik-Verband (BLV) veranstaltete traditionell einen Langstreckentag im Herbst, entweder über 25 km oder Marathon. In seinem Informationsblatt von 1973 erwähnte der BLV euphorisch den Erfolg seines Marathons mit der Überschrift: “Internationaler Marathonlauf in Berlin“: „Dieser Internationale Berliner Langstreckentag am 14. Oktober 1973 mit Start und Ziel am Mommsenstadion war ein Erfolg … „voll des Lobes waren alle 92 angetretenen Aktiven …“.
Start und Ziel dieses BLV-Marathons waren direkt unterhalb der Fenster der Geschäftsstelle der SCC-Leichtathletikabteilung, in der Stichstraße vor dem Mommsenstadion.
DM 25,- kostete die Genehmigung der Polizei, die am 11. September 1974 eintraf. Die Laufstrecke entsprach der normalen Trainingsstrecke der SCC Langstreckler, vom Mommsenstadion, parallel zur Avus über den Kronprinzessinnenweg bis zum Strandbad Wannsee, zurück und vorbei am Stadion bis zur Kiesgrube über die Teufelsseechaussee – und das dann noch einmal. Die Strecke wurde vermessen von Helge Ibert, Dipl.Ing. und gestandener Marathonläufer im SCC. Die Vermessungsprotokolle sind noch original in meinen Akten. Ab Kilometer 15 standen alle 5 km Verpflegungspunkte mit Obst, Tee, Bananen, heißer Brühe und Salztabletten! zur Verfügung.
In der Pressemitteilung vom 8.10.1974 stand als Motto:
„Mal sehen, wie weit die Füße tragen“! und weiter: „Der „1. Berliner Volksmarathon“ des SCC sollte ein erster Test sein, inwieweit die Berliner Jedermannsportler auf die längsten Laufstrecken ansprechen. Man rechnete mit etwa 75 Teilnehmern, allenfalls 100 Langbolzern. Aber die langjährige Vorarbeit in puncto Volkslauf und speziell Vorbereitungstraining scheint jetzt Früchte zu tagen. Am Meldeschluß lagen Einzahlungen von 286 Marathonläuferinnen und -läufern vor. Das war ein sensationelles Ergebnis. Alle Teilnehmer mussten vorher ein ärztliches Attest vorlegen, dass sie in der Lage sind einen Marathon durchzuhalten.
„8 Läuferinnen und 278 Läufer nahmen das Rennen auf.“ „Wenn am Wochenende der Wettergott ein Einsehen hat, wird es einen neuen Höhepunkt der Volkssportler in Berlin geben.“
Dieser Hinweis auf den „Höhepunkt der Volkssportler in Berlin“ war wohl ein bisschen seherisch, aber erst weit in der Zukunft. Am 13.10.1974 erreichten 244 Läufer/-innen das Ziel.
Die ersten Sieger waren Jutta von Haase (LG Süd) in 3:22:01 und Günter Hallas (LG Nord) in 2:44:53.
Die dritte Durchführung des Laufes am 26. September 1976 hatte dann schon den Namen BERLIN-MARATHON, jetzt noch verbunden mit einem 25 km Lauf. Diese Verquickung der Distanzen wurde bis 1980 beibehalten. In den erstem 7 Jahren des BERLIN-MARATHON war Ingo Sensburg (NSF/Neuköllner Sportfreunde) der ungekrönte König dieses Laufes, er gewann dreimal 1976, 1979 und 1980. Jutta von Haase gewann nach ihrem Premierensieg 1974 noch in den Jahren 1976 und 1979.
Die Teilnehmerzahlen erreichten auf der Grunewaldstrecke zwischen 1974 und 1980 maximal 397 Läufer. Aber 1977 waren beim 4. BERLIN-MARATHON auf dieser Strecke die Deutschen Marathonmeisterschaften integriert.
Christa Vahlensieck (Wuppertal) siegte in der neuen Weltrekordzeit von 2:34:47,5. Das sollte der erste, aber nicht der letzte Weltrekord dieses Laufes sein.
Den großen Durchbruch schaffte der Lauf im Jahr 1981, als er zum ersten durch die Innenstadt Berlins führen konnte.
Vorangegangen waren die Initiativen der französischen Alliierten, die einen Lauf nach dem Muster von Versailles-Paris in Berlin etablierten wollten („25 km de BERLIN“) und bei der Berliner Polizei keine Widerstände zu erwarten hatten, denn „alliiertes Recht bricht deutsches Recht“. Und so war es einfach für die Franzosen, eine Genehmigung für die „25 km de Berlin“ und die Benutzung der Straßen Berlins bei der Polizei zu erwirken. Horst Milde, damals Volkslaufwart des Berliner Leichtathletik-Verbandes (BLV), war in die Verhandlungen der Berliner Gremien eingebunden – und hatte dadurch die wichtigsten Informationen.
Mit der Berufung auf Gleichbehandlung klopfte er dann bei den Behörden Berlins an. Nach vielen Widerständen sorgte der damalige Chef der Politischen Abteilung der US-Mission in Berlin und nachmalige Botschafter der U.S.A. in Deutschland, John Kornblum, für den Durchbruch, als er die Genehmigung für die Nutzung der Kochstraße am berühmten Checkpoint Charlie bei der Polizei erzwang. Denn die Querung der Kochstraße musste für Diplomaten und Ausländer ständig möglich sein.
Am 27. September 1981 standen dann 3.486 Läufer aus 30 Nationen auf der großen Wiese vor dem Reichstag und liefen, begeistert gefeiert von einer Zuschauerkulisse von schätzungsweise 250.000 Zuschauern zum Ziel auf den Kurfürstendamm, 2.583 Teilnehmer erreichten das Ziel. Ian Ray (GBR) lief 2:15:42, Angelika Stephan (LG Kassel) sorgte mit 2:47:24 für einen deutschen Sieg.
Eine Novität war die Beteiligung von Rollstuhlfahrern bei einem großen Marathon, Georg Freund (AUT) sorgte mit 2:08:44 für einen aufsehenerregenden Sieg.
Die Popularisierung des Laufsports durch den überwältigenden Erfolg des BERLIN-MARATHON und die positive Resonanz bei der Bevölkerung änderte die Denkweise und die Haltung der Behörden gegenüber dem Sport und seinen Anliegen.
Auch in der Leichtathletikhierarchie des Verbandes und der Vereine veränderten sich die Perspektiven. Die Leichtathletik drängte mit dem Laufsport weg vom Stadion und dem Wald auf die Straßen.
Der BERLIN-MARATHON hat seit seinem „Umzug“ 1981 vom Grunewald in die City den Crosslauf am Teufelsberg von der damaligen Spitzenposition der Teilnehmerzahlen abgelöst und ist damit das Aushängeschild für die Laufbewegung in Berlin und in Deutschland geworden.
Im Laufe der Jahre wurden sogar die Rahmenwettbewerbe zu eigenständigen Veranstaltungen. So hat der Frühstückslauf vom Schloß Charlottenburg zum Olympiastadion am Vortag des Laufes riesige Dimensionen angenommen. 10.000 Teilnehmer sind dabei keine Seltenheit.
Großen Aufmerksamkeitswert und damit eine wichtige Werbewirkung für den Laufsport hat die Einführung des MINI-MARATHON über 4,2 km für Schüler/innen der Berliner Schulen im Jahre 1989 gefunden. Begann man 1989 mit 758 Jugendlichen, so waren 2001 6.326 Schüler mit großer Begeisterung dabei, auch Kinder im Rollstuhl und auf Inlineskates hatten ihren Wettbewerb auf der Originalstrecke zum Ziel auf der Tauentzienstraße, in der Nähe der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Hinzu kam etwas später noch der Bambini-Lauf für Kinder, hier konnten auch Eltern ihre Knirpse begleiten oder sogar tragen.
Der Berliner Läuferforum
Die Organisation der Läufe für die aktive Teilnahme der Läufer sind die eine Seite der Medaille, aber die Vorbereitung auf derartige körperliche Anstrengungen bedingen auch eine systematische Hinführung und Information für die potentiellen Teilnehmer.
Seit 1981 existiert das „Läuferforum des SCC“. Federführend bei dieser Informationsreihe war von Beginn an Dr. Willi Heepe, gleichzeitig Läufer und Arzt. Alle Facetten des Laufsports vom Training, Bekleidung, Ernährung, Physiologie, Orthopädie, Laufschuhe – alles rund um das Laufen wurden bei Informationsabenden – zumeist in den Hörsälen der Freien Universität Berlin – zuletzt aber auch im Hörsaal des DRK-Westend-Krankenhauses am Spandauer Damm behandelt.
Der Aufstieg in die Eliteliga
Beim BERLIN-MARATHON war der 30. September 1990 der Beginn des Aufstiegs in die Eliteliga der großen Marathonläufe der Welt. Drei Tage vor der deutschen Wiedervereinigung fand die sportliche Vereinigung von Ost und West in atemberaubender Weise auf den Straßen der künftigen Hauptstadt Deutschlands statt.
Der Traum aller, einmal durch das Brandenburger Tor zu laufen – und nicht nur von einem hölzernen Podest auf das Tor zu schauen – von West nach Ost zu laufen, erfüllte sich für 25.000 Teilnehmer (limitiert) aus 61 Nationen. Schon Mitte des Jahres 1990 wurden keine Anmeldungen mehr angenommen, der Lauf war „ausgebucht“.
„Yanase“, ein japanischer Autoimporteur, war Hauptsponsor dieses Laufes, die ARD/SFB setzte mit viel Aufwand zum ersten Mal eine Live-Berichterstattung in voller Länge mit hohen Einschaltquoten in Deutschland in Szene, auch mit Live-Berichterstattung nach Japan.
Der Traum des Veranstalters, eine Zeit unter 2.10:00 zu erreichen, erfüllte der Australier Steve Moneghetti mit 2:08:16, gleichzeitig auch neue Weltjahresbestzeit. Ebenso blieben die nächsten drei Läufer Gidamis Shahanga (TAN) mit 2:08:32, Jörg Peter (Dresden) 2:09:23 und Stephan Freigang (Cottbus) 2:09:45 blieben unter der magischen Schallmauer.
Umjubelte Siegerin wurde die Berlinerin, aber für Stuttgart startende, Uta Pippig in 2:28:37 vor Renata Kokowska (POL) in 2:28:50 und Carla Beurskens ((HOL) in 2:30:00. Sowohl Uta Pippig (später SCC), als auch Renata Kokowska siegten beim BERLIN-MARATHON jeweils dreimal.
Der Neujahrslauf 1990 und der Lauf durch das Tor
Vor diesem spektakulären 17. BERLIN-MARATHON am 30. September 1990 fand der Mauerfall am 9. November 1989 statt.
Schon am 10. November 1989 gab es aus England (Michael Coleman, Redakteur der Londoner TIMES) Telefonate mit dem Hinweis, der SCC solle doch einen spektakulären Neujahrslauf vom Olympia Stadion durch das Brandenburger Tor bis zum Alexander Platz und zurück machen. Aber schon drei Tage später am 12.11.1989 beim 26. Berliner Cross-Country-Lauf standen die ersten DDR-Läufer am Start an der Rodelbahn des Teufelsberges.
Am gleichen Tag abends trafen sich dann Dr. Detlef Dalk (Frankfurt/O.), Gerd Engel (Stendal) und Roland Winkler (Berlin-Ost) bei Horst Milde in der guten Stube und gründeten die „Initiativgruppe BERLIN-MARATHON der DDR“ und schrieben einen Brief an den Oberbürgermeister Erhard Krack – Hauptstadt der DDR, um am 30. September 1990 durch das Brandenburger Tor zu laufen und am 1. Januar 1990 einen Neujahrslauf durch beide Teile der Stadt zu organisieren. Einen ähnlichen Brief erhielt der Regierende Bürgermeister von Berlin Walter Momper von Horst Milde.
Der Neujahrslauf am 1. Januar 1990 auf der Strasse des 17. Juni von West nach Ost bis zum Alexanderplatz (Rotes Rathaus) durch die aufgebrochene Mauer rechts und links des Brandenburger Tors und dann durch das Brandenburger Tor war praktisch ein läuferisches Weltereignis mit weit über 20.000 Teilnehmern aus aller Welt, das über alle Fernsehkanäle der Welt lief. Der Lauf wurde vom SCC in Kooperation mit dem Ostberliner Verband für Leichtathletik, hier federführend Stefan Senkel, gemeinsam organisiert. Über die hektischen Tage zur Organisation zu diesem Lauf und den Verhandlungen mit der Volkspolizei (Grenztruppen der DDR) und den entsprechenden Ämtern ließe sich eine eigene Geschichte schreiben.
Der amtierende Präsident der IAAF Primo Nebiolo (IAAF) und DLV-Präsident Helmut Meyer waren am 1. Januar 1990 um 14.00 Uhr am Start auf der Straße des 17. Juni mit dabei, als die beiden Bürgermeister Walter Momper und Erhard Krack den Startschuss gaben. Bei einer anschließenden Pressekonferenz im Haus der Kulturen der Welt nahmen sie zu diesem Ereignis öffentlich Stellung und auch zu einer möglichen WM in Berlin.
Das Jahr 1990 war für den BERLIN-MARATHON ein Ausnahmejahr, was die Beteiligung anging. Jedoch die Qualitäten der Sieger und Siegerinnen und ihre Zeiten setzten neue Zeichen. Die Siegerzeiten unter 2.10:00 bei den Männern und damit Weltjahresbestzeiten waren jetzt an der Tagesordnung, Christoph Kopp und Kim McDonald als Top-Athleten Verpflichter hatten damit ein glückliches Händchen.
1995 lief Sammy Lelei mit 2:07:02 die zweitschnellste Zeit der Welt, diesen Triumph vervollständigten in seinem Windschatten Vincent Rosseau (BEL) 2:07:20 und Antonio Pinto POR) 2:08:57. Die Frauen liefen Jahr für Jahr kontinuierlich neue Streckenrekorde. 1997 lief Catherina McKiernan (IRL) mit 2:23:44 Debut-Weltrekord und verbesserte den Streckenrekord um fast 2 Minuten.
Inline-Skater und 25-jähriges Jubiläum
Das Jahr 1997 setzte mit der erstmaligen Teilnahme von 474 Inline-Skatern am Marathon weltweit neue Zeichen, nachdem man schon im Frühjahr des Jahres beim 17. BERLINER HALBMARATHON die ersten positiven Erfahrungen mit der Teilnahme von 70 Inline-Skatern machte. Damit hatte der SCC erneut die Nase vorn und sorgte als Trendsetter für eine Einbindung der Rollenjäger in etablierte Straßenlaufveranstaltungen.
Das 25-jährige Jubiläum des BERLIN-MARATHON 1998 stellte alles bisher Dagewesene in den Schatten. Nicht nur auf gesellschaftlichem Gebiet, wo der Marathon einen Festakt im Roten Rathaus mit vielen Ehrengästen gestaltete, sondern auch in der Würdigung der Leistungen durch Grussworte des Bundespräsidenten Roman Herzog, dem Präsidenten der IAAF Primo Nebiolo, des DSB Präsidenten Manfred von Richthofen, des Botschafters der U.S.A. in Deutschland John Kornblum und des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Eberhard Diepgen.
Mit „Alberto“ hatte der Marathon in diesem Jahr auch einen Titelsponsor. Insgesamt beteiligten sich an der „Marathon-Party“ 27.621 Läufer/innen aus 71 Nationen. Gekrönt wurde das Marathon-Festival mit einem neuen sensationellen Weltrekord von Ronaldo da Costa (BRA) in 2:06.05. Er durchbrach eine Schallmauer, denn er war der erste Marathonläufer mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 20 und mehr Stundenkilometer. Er legte jeden einzelnen Kilometer im Schnitt unter 3 Minuten zurück – der alte Weltrekord datierte aus dem Jahr 1988 von Belayneh Dinsamo (ETH) mit 2:06:50 in Rotterdam.
Mit den Leistungen des Jahres 1998 hatte sich Berlin an die Spitze der schnellsten Marathonläufe der Welt gesetzt (Durchschnitt der jeweils zehn schnellsten Läufer) mit 2:07:37,2 vor Rotterdam, Chicago, Boston, London und Tokio.
Die Weltrekordjagd in Berlin hatte damit noch kein Ende. Im Jahr darauf waren die Frauen an der Reihe. Während der Rekord bei den Männern völlig überraschend für alle kam, wurde die Rekordjagd mit Tegla Loroupe (KEN) penibel geplant. Einen Weltrekord beim Marathon zu planen ist eigentlich schon vermessen. Was alles schief gehen kann auf 42 Kilometern haben Generationen von Läufern und Organisatoren in der Leichtathletik erleben müssen. Berlin hat den großen Vorteil einer fast flachen und damit ganz schnellen Strecke, diese Vorteile suchen die Athleten für Bestzeiten zu nutzen.
Die Bestzeit von Tegla Loroupe 2:20:47 (1998 in Rotterdam von ihr erzielt), wurde knapp, aber glücklich in Berlin unterboten. Die Siegerzeit von Josephat Kiprono (KEN) war 2:06:44 und des Zweiten Takayuki Inubushi (JAP) 2:06:57. Zum ersten Mal waren in einem Rennen zwei Männer unter 2:07:00 geblieben. Auch im Zehnerschnitt mit 2:07:18,6 liegt Berlin wieder an erster Stelle der Welt. Die 2:06:57 des Japaners waren neuer japanischer und auch gleichzeitig neuer Asienrekord.
Die Anziehungskraft des BERLIN-MARATHON erreichte im Jahr 2000 neue Dimensionen mit 34.090 Meldungen aus 85 Nationen, darunter auch die Rekordzahl von 6.741 Inline-Skatern. Der Sieger Simon Biwott (KEN) sollte eigentlich nur „Hase“ spielen, nämlich Tempo für die gedachten Favoriten machen. Es lief aber bei ihm selber so gut, dass er einfach weiterlief und mit 2:07:42 eine Klassezeit erzielte. Bei den Frauen siegte mit Kazumi Matsuo in 2:26:15 eine Japanerin.
Für die Japaner hat der Marathonlauf fast mythische Züge und das ganze Land ist „marathonverrückt“. So waren die Fernsehdirektübertragungen von 1990 – 1992 nach Japan, die Klassezeiten, die japanische Läufer/innen in Berlin ablieferten ein Indiz dafür, dass man in Japan Großes mit Berlin vorhatte. Fast 2 Jahre dauerten Vorgespräche mit Verantwortlichen aus Japan, um in einer langwierigen und generalstabsmäßigen Aktion den Start ihrer Olympiasiegerin und Nationalheroin Naoko Takahashi in Berlin vorzubereiten
Das große Ziel war: Weltrekord für ihre Olympiasiegerin im Marathon Naoko Takahashi beim 28. real,- BERLIN-MARATHON am 30. September 2001.
Das Vorhaben glückte. Wieder wurde in Berlin Leichtathletik-Geschichte geschrieben. Mit 2:19:46 unterbot die 29-jährige Olympiasiegerin als erste Frau die klassische Distanz von 42.195 km in unter 2:20 Stunden.
Der Sieg bei den Männern von Joseph Ngolepus in 2:08:47, im neuen Ziel in der Tauentzienstraße, Ecke Passauer Straße (am KaDeWe) ging völlig unter in der Euphorie über den neuen Weltrekord bei den Frauen.
Mit 37.795 Meldungen (davon 6.105 Inline-Skatern) aus 85 Nationen (31.113 Athleten im Ziel) gab es einen erneuten Teilnahmerekord. Beim MINI-MARATHON der Schulen beteiligten sich 6.326 Jugendliche.
Erfreulich aus Vereinssicht war der hervorragende 3. Platz von Kathrin Wessel in persönlicher Bestzeit von 2:28:27 hinter Tegla Loroupe (KEN) in 2:28:03.
Heinz Frei, der Schweizer Rollstuhlfahrer – in Berlin schon zu Hause –gewinnt zum 14. Mal in 1:30:24, seine Bestzeit von 1:21:39 von 1997 war in weiter Ferne. Bei den Skatern siegte der Franzose Arnaus Gicquel in 1:04:46, bei den Frauen triumphierte Sheila Herrero (ESP) in 1:12:57.
„UNITED WE RUN“
Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 in New York und Washington hing die Durchführung des Laufes am seidenen Faden. Die Organisatoren von SCC-RUNNING entschieden sich sehr schnell, nach Abstimmung mit den Verantwortlichen des New York City Marathon, sich nicht von Terroristen in die Knie zwingen zu lassen. Mit dem Motto des New York City Marathon „UNITED WE RUN“, dem Aufruf zu einer Spendensammlung für die Angehörigen und Kinder der Opfer der Feuerwehrleute von New York und der Bitte beim Lauf ein schwarzes Trauerband zu tragen, fand der Lauf unter den schärfsten Sicherheitsvorkehrungen statt.
Die Bewag, Hauptsponsor des Laufes, hatte ein Großbanner (25 x 40 m) mit den Worten „UNITED WE RUN“ und den Logos der Läufe von New York City und Berlin anfertigen lassen, das die Läufer vor dem Start über ihren Köpfen trugen.
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und der Race Director des New York City Marathon Allan Steinfeld hielten kurze Ansprachen und gaben gemeinsam den Startschuss ab.
Auch im Ziel wartete Prominenz auf die Sieger. Innenminister Otto Schily und der Präsident der Association of International Marathon and Road Races (AIMS) und IAAF-Mitglied, der Japaner Hiroaki Chosa, hielten das Zielband.
„Japan ist in Aufruhr“ schrieben am nächsten Tag die japanischen Zeitungen. Fast jeder zweite Japaner sah den Weltrekord im Fernsehen und auch in Deutschland gab es nie erreichte Quoten. Nach 18.00 Uhr japanischer Zeit betrug die Einschaltquote 53.5 Prozent bei Fuji TV. In der Spitze sahen 53 Millionen Japaner die Live-Übertragung aus Berlin.
Auch die deutsche Live-Übertragung, die der Sender Freies Berlin (SFB) für die ARD und das Regionalprogramm B 1 produzierte, erreichte nie zuvor gesehene Werte.
Die Schirmherrschaft des Bundeskanzlers
Einen hohen politischen Stellenwert erfährt der BERLIN-MARATHON durch die Übernahme der Schirmherrschaft des Bundeskanzlers Gerhard Schröder.
Diese Wertschätzung des Staatschefs ist eine Ausnahme, denn diese Auszeichnung erhalten nur Europa- oder Weltmeisterschaften. Damit soll die überragende Bedeutung des Marathon in seiner gesamten Breite und Außenwirkung für die Bevölkerung in Berlin und in Deutschland förmlich dokumentiert werden.
Dieser kurze Überblick der ersten Jahre des BERLIN-MARATHON zeigt die Entwicklung eines „Nobody“ von 1974 zu einer Weltklasseveranstaltung der „World Marathon Majors“ von heute – die wohl auch noch nicht abgeschlossen ist.
Zwölf Weltrekorde in Berlin:
1977 Christa Vahlensieck (Wuppertal) 2:45:48
1998 Ronaldo da Costa (BRA) 2:06:05
1999 Tegla Loroupe (KEN) 2:20:43
2001 Naoko Takahashi (JPN) 2:19:46
2003 Paul Tergat (KEN) 2:04:55
2007 Haile Gebrselassie (ETH) 2:04:26
2008 Haile Gebrselassie (ETH) 2:03:59
2011 Patrick Makau (KEN) 2:03:38
2013 Wilson Kipsang (KEN) 2:03:23
2014 Dennis Kimetto (KEN) 2:02:57
2018 Eliud Kipchoge (KEN) 2:01:39
2022 Eliud Kipchoge (KEN) 2:01:09
Statistik des 48. BMW Berlin-Marathon 2022:
157 teilnehmende Nationen
45.527 Läufer und Läuferinnen
4.153 Skater und Skaterinneninnen
92 Handbiker und Handbikerinneninnen
50 Rollstuhlfahrer und Rollstuhlfaherinnen
810 Kinder (2 – 8 J) beim „Bambini-Rennen“ (200m – 600m)
7.100 Jugendliche beim Mini-Marathon (4,295 km) auf der Originalstrecke
7.000 beim „Frühstückslauf“
Beteiligung von Frauen:
1981: 3 % – 2022: 33%
Die Sieger und Siegerinnen beim 48. BMW Berlin-Marathon 2022:
Eliud Kipchoge (KEN) 2:01:09 (neuer Weltrekord)
Tigist Assefa (ETH) 2:15:37
Es war erst ihr zweiter Marathon und sie rückte dabei auf Rang drei der ewigen Bestenliste vor. Schneller als Tigist Assefa waren lediglich die aktuelle Weltrekordlerin Brigid Kosgei (Kenia/2:14:04) und die Britin Paula Radcliffe (2:15:25).
Der BERLIN-MARATHON findet weltweit durch seine Organisation und die engagierte Arbeit seiner unzähligen Helfer Anerkennung in der Stadt und dem Land.
Diese nur kurze Zusammenfassung und Betrachtung der ersten Jahre des BERLIN-MARATHON kann nur vorsichtig andeuten, welche Visionen, Ideen und Basisarbeit hinter dieser Erfolgsstory des BERLIN-MARATHON stecken
Im Laufe der Jahre ab 1964 (Crosslauf) überlebte die Laufbewegung in Berlin viele Regierende Bürgermeister, Polizeipräsidenten, Oberförster, Präsidenten, Intendanten und oft wechselnde Vorsitzende der Abteilung, die Vergangenheit war allemal sehr erfolgreich und oft auch glanzvoll – die Zukunft im Laufsport hat eben erst begonnen.
Horst Milde
Zeitzeugen in Laufsport und Leichtathletik: Horst Milde – Berlin – youtube Video von Helmut Winter
https://www.youtube.com/watch?v=sEGve18Drf8
* Horst Milde – Gründer und Initiator dieser Veranstaltungen und vieler Aktivitäten: Berliner Cross-Country Lauf (1964) – Berliner Volksmarsch (1966) – Vorbereitungs-Training für Jedermann (1967) – Berliner Volkslauf (1967) – Berliner Volksgehen (1968) – Berliner Volkswandern (1971) – BERLIN-MARATHON (1974) – 25 km Lauf (Arthur Lemcke-Gedächtnis) – (1976) – Berliner Silvesterlauf (1977) – Teilnahme von Rollstuhlfahrern am BERLIN-MARATHON (1981) – Berliner Läuferforum (1981) – Berliner Halbmarathon (1984) – AVON Frauenlauf (1984) – 10 km im Tiergarten (1985) – Inlineskating (1987) – Biathlon (run and bike) (1988) – MINI-MARATHON der Schulen 4.2 km (1989) – City-Nacht auf dem Kurfürstendamm (1992) – Die Marathonstaffel (1994) – Gesamtberliner Neujahrslauf (1990) – 7 Deutsche Meisterschaften (3x DM MARATHON ab 1977 ff., DM Cross (1975 und 1981), DM 10.000m M. Bahn 400m Hürden, 3000 m F. (1978) – 1x Jugend) – 6. „Int.“ und „Nationale“ Sportfest2 1967, 1975, 1976, 1977, 1978, 1979 – 2x Sportärzte Symposien – 2 Vermessungs-Seminare (AIMS/DLV) – AIMS Congress 1983 – AIMS Ost/West Europa Meeting 1993 – AIMS Marathon Symposium 2007 – ATHEN Marathon 2007 – 10 km Lauf für Gefangene in der JVA (2014) – AIMS Marathon-Museum of Running (1995) u.v.a.m. …