Das ist der DOSB unter Thomas Bach: Bei Themen, die sein eigenes Fortkommen betreffen, sind ihm am Ende sogar ausgewiesene Interessen-Vertreter untertan ©DOSB
Den Rücken frei – Das Nein zu einer Bewerbung für Olympia 2022 passt gut zu den internationalen Karriere-Möglichkeiten von Thomas Bach – Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung
Berlin – Ein Wintertraum hat sich erledigt, zumindest nach Stand der Dinge, und das muss dem Präsidenten des Deutschen Skiverbandes (DSV) jetzt eigentlich in der Seele weh tun. Aber Alfons Hörmann scheint gar nichts weh zu tun. Bei der siebten Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes ( DOSB) in Berlin haben die Delegierten gerade die „Erklärung zur Olympiabewerbung“ verabschiedet, in der es heißt, das Sportparlament spreche sich dafür aus, „zum jetzigen Zeitpunkt von einer Bewerbung um die XXIV. Olympischen Winterspiele und XIII. Paralympischen Winterspiele 2022 abzusehen“.
Im Klartext bedeutet das, die gescheiterte Bewerbung Münchens für 2018, für die sich auch Hörmann heftig ins Zeug gelegt hatte, wird nicht neu aufgelegt. Schade, findet Hörmann, aber er versteht das total. Er hat ja selbst zum Votum ohne Nein-Stimme beigetragen. Die politischen Unwägbarkeiten seien einfach zu groß. „In ein relativ aussichtsloses Rennen zu gehen, macht keinen Sinn.“
Hörmann lobt die Abwicklung der Münchner Olympia-Vision sogar als Beispiel für die Qualitäten des DOSB-Präsidenten. „Man kann so ein Thema nicht offen lassen. Dazu ist Thomas Bach viel zu klar und stark in seiner Führung.“
Für Thomas Bach selbst ist offiziell der Auftritt des Bundespräsidenten Christian Wulff der Höhepunkt der Mitgliederversammlung gewesen und dessen Rede, die natürlich ganz im Sinne des DOSB-Chefs war: zu oberflächlich, um weh zu tun, aber gehaltvoll genug, um der gesellschaftlichen Bedeutung des Sports Nachdruck zu verleihen.
Im Ganzen lieferte Wulff ein solides Stück vorwiegend gefälliger Gewohnheitsrhetorik, das in einem präsidialen Bekenntnis mündete, wie es ein DOSB immer gut gebrauchen kann („Sie haben mich auf Ihrer Seite“). Wulff bekam die Ehrenmedaille des Dachverbandes verliehen, und Bach schwärmte später: „Wie er das Ehrenamt hervorgehoben hat. Wie er die Autonomie des Sports hervorgehoben hat.“
Inoffiziell dürfte Thomas Bach aber auch ziemlich zufrieden mit sich selbst gewesen sein, denn als Sportpolit-Stratege im Sinne seiner eigenen Karriere-Aussichten als mutmaßlicher Präsidenten-Kandidat im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) hatte er mit seiner fast widerstandslos durchgebrachten Contra-München-Kampagne wieder mal eine ziemlich überzeugende Leistung geboten. Am Freitag sah es noch kurz nach einem Eklat aus.
Da beschwerte sich Bob-Präsident Andreas Trautvetter darüber, dass Online-Medien schon über die als vertraulich ausgeschriebene Tischvorlage mit dem Nein zu München berichteten, als die Spitzenverbände noch gar nicht abschließend darüber diskutiert hatten. Aber es gab keinen Eklat, im Gegenteil, am Ende stand Trautvetter sogar innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Wintersport ziemlich alleine da. Trautvetter durfte am Freitagabend einen kleinen Erfolg verzeichnen: Er brachte einen Satzdreher in der Erklärung durch, der die Position gegen Olympia 2022 aus seiner Sicht ein wenig entschärft hatte.
Nicht einmal Trautvetters Ski-Kollege Hörmann war sehr beeindruckt: „Das ist Schattenboxen. Durch die Reihenfolge verändert sich nichts Wesentliches.“ Trautvetters Antrag in der Mitgliederversammlung, den Satz mit dem 2022-Nein zu streichen, bekam dann nur 20 Ja-Stimmen. Hörmann, der mächtigste deutsche Wintersportpräsident, stimmte mit Nein. Die Erklärung ging schließlich ohne Gegenstimme bei vier Enthaltungen durch. Trautvetter grummelte noch etwas wegen der Indiskretion am Freitag („Die spinnen ja“) und fügte sich. „Manchmal“, sagte er, „muss man auch Anträge stellen, von denen man weiß, dass sie abgelehnt werden, um ein Thema in die Öffentlichkeit zu bringen.“
Das ist der DOSB unter Thomas Bach: Bei Themen, die sein eigenes Fortkommen betreffen, sind ihm am Ende sogar ausgewiesene Interessen-Vertreter untertan. Seit Samstag hat Bach jedenfalls erst mal den Rücken frei für seine persönlichen Pläne. Das beschlossene Olympia-Papier bekennt sich auf Sicht zu einer erneuten Bewerbung. Der Bundespräsident ist dafür, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich auch. Erste Symptome für eine mögliche Sommer-Kampagne gibt es auch schon. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit rief ins Plenum: „Berlin ist bereit.“ Aber einen Winter-Olympia-Bewerber muss Bach im IOC nicht mehr vertreten, wenn er tatsächlich in den Wahlkampf um die Nachfolge des IOC-Chefs Jacques Rogge für 2013 eintreten wollte; Bach hat sich dazu noch nicht konkret geäußert.
München ist durch, auch wenn Bach und sein treuer Generaldirektor Michael Vesper darauf beharrten, dass der Beschluss von Berlin noch nicht das letzte Wort sei. Sie verwiesen auf die Formulierung „zum jetzigen Zeitpunkt von einer Bewerbung (…) abzusehen“, die allerdings ein Widerspruch zum offiziellen Beweggrund für diese zeitige Erklärung vor dem Meldeschluss in knapp zwei Jahren gegen die 2022-Bewerbung. Wie echte Planungssicherheit entsteht, wenn ein Nein nur für aktuelle Rahmenbedingungen gelten soll, hat Thomas Bach nicht schlüssig erklären können.
Man muss nur Alfons Hörmann zuhören, um das Ende des Münchner Olympia-Traumes greifen zu können. Hörmann sagt zwar, dass sich die Rahmenbedingungen noch einmal zugunsten Münchens ändern könnten. Dass 2018-Mitbewerber Garmisch-Partenkirchen zum Beispiel seine örtlichen Protestbewegungen beilegt. Aber: „Nachdem ich an diese Szenarien bedingt glaube, würde ich die Chancen skeptisch einschätzen.“
Bach sagt: Wenn Winter-Olympia, dann in München. Hörmann wiederum hat Signale vernommen, wonach bei einer neuen Winter-Bewerbung andere Orte wieder auf ihr Recht pochen würden: „Die Forderung würde hundertprozentig kommen.“ Auch das würde aus seiner Sicht einen Neustart erschweren.
Außerdem: „Man muss sich insgesamt die Frage stellen – Stichwort Stuttgart 21 –, inwieweit unsere Gesellschaft für ein solches Projekt reif ist.“ Alfons Hörmann ist ein Macher mit viel Energie, jetzt klingt er irgendwie resignativ. Den Skiverbands-Chef hat beim Thema Winter-Olympia auf seltsame Weise der Kampfgeist verlassen.
Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Montag, dem 5. Dezember 2011