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10
07
2008

Das Melonenfeld der Athleten heißt Doping. Es ist die unerlaubte Abkürzung zum Ziel. Anstatt die Medaille (Melone) auf dem Markt durch eine eigene Leistung zu erwerben (in China muss man den Melonenpreis mühsam herunterhandeln), könnten die Athleten sich auch auf dem Feld des Dopings bedienen.

Chinesische Sportfans – Jubel dich glücklich – Benedikt Voigt, Peking, im Tagesspiegel – WEISE nach Peking

By GRR 0

Gute Stimmung, Anfeuern von Teams und Sportlern sowie laute Sprechgesänge gehören zu sportlichen Großereignissen einfach dazu. Doch auch Anfeuern will gelernt sein: Die chinesischen Sportfans müssen in Kursen lernen, wie man die richtige Stimmung macht.

Eine nicht repräsentative Tagesspiegel-Umfrage in der Pekinger Nebenstraße Yangjingli Zhongjie hat ergeben, dass nur einer von fünf Befragten den neuen offiziellen olympischen Anfeuerungsruf kennt. Dabei haben sich das Parteibüro für geistige und zivilisatorische Entwicklung und Führung sowie das Ministerium für Erziehung große Mühe gemacht, diesen Ruf zu entwickeln. Er soll sicherstellen, dass die Zuschauer bei den Olympischen Spielen „ordnungsgemäß und zivilisiert“ anfeuern. Nämlich so: Zweimal in die Hände klatschen und „Aoyun“ rufen, Daumen hoch und „Jiayou“ rufen, zweimal klatschen und „Zhongguo“ rufen, Fäuste in die Luft und „Jiayou“ rufen. Soll heißen: Auf geht’s Olympia, auf geht’s China.

Wer hofft, dass sich diese Anfeuerung bis zur Eröffnung der Spiele in einem Monat nicht durchsetzen wird, unterschätzt den Organisationsgrad des Olympia-Organisationskomitees Bocog. 800 000 Studenten mit Olympiatickets werden bereits in den Turnhallen der Universitäten angeleitet, 448 Volunteers werden die Zuschauer während der Spiele animieren. Das richtige Benehmen der Zuschauer ist eine große Sorge der Olympia-Verantwortlichen. „Ich denke, es ist noch ein langer Weg, bis chinesische Zuschauer bei einem Wettkampf den Geist des Sportes schätzen lernen“, sagte Deng Yaping, viermalige Tischtennis-Olympiasiegerin und Bocog-Mitglied, der „China Youth Daily“.

Sie hatte sich beim Test-Event „China Athletics Open“ darüber geärgert, dass die meisten Zuschauer das Nationalstadion unmittelbar nach dem Lauf des chinesischen Hürdenstars Liu Xiang verlassen hatten. Die Leistung der anderen Sportler interessierte offenbar nicht. „Manchmal geben wir Chinesen den Goldmedaillengewinnern eine unverhältnismäßig hohe Aufmerksamkeit“, sagte Deng Yaping. Der nach den Ereignissen beim Fackellauf in London und Paris und dem Erdbeben in Sichuan noch gestiegene chinesische Nationalismus in der Bevölkerung dürfte das Interesse an den Leistungen anderer nicht unbedingt gefördert haben. Die Chinesen arbeiten organisatorisch dagegen. Bei den China Athletics Open harrten immerhin einige Hunderte einheitlich in Gelb gekleidete Zuschauer bis zuletzt aus und riefen die Slogans ihres Animateurs nach. Die Atmosphäre erinnerte an die Spontanität von DDR-Turnfesten.

Trotzdem glaubt Greg Bowman, Bocogs Produzent von Sportpräsentationen, an positive Stimmung in den Stadien. „Abwarten“, sagt er, „Testevents sind nicht dasselbe wie Olympische Spiele, die Zuschauer werden auf das reagieren, was gerade passiert.“ Der Australier steht im ersten Trainingszentrum für olympische Zeremonien und Durchsagen im elften Stock eines Hochhauses in der Nähe des Lama-Tempels.Hier üben Stewardessenschülerinnen vor einem Podest wochenlang Medaillenübergaben, in einem künstlichen Studio werden Durchsagen und Unterhaltungselemente für die Zuschauer erprobt. „Es wird viele Erklärungen geben“, sagt Greg Bowman, „bei Olympischen Spielen gibt es viele Sportarten, welche die Zuschauer noch nie zuvor gesehen haben“. In China seien das zum Beispiel Handball oder Softball.

Für die Zuschauer wird es schwierig, individuelle Anfeuerungsaktionen zu gestalten. So ist das Mitbringen von Musikinstrumenten untersagt, in die olympischen Stadien dürfen keine Fahnen mitgenommen werden, die größer als 1 mal 2 Meter sind oder politische Botschaften zeigen. Auch Flaggen von Ländern oder Regionen, die nicht an den Spielen teilnehmen, sind verboten – also beispielsweise Bayern oder Tibet. Die Sicherheitsbestimmungen sind streng, die Angst der Behörden vor politischen Kundgebungen ist groß. Die Liveübertragungen im chinesischen Fernsehen dürften deshalb erneut, wie in China üblich, mit mehreren Sekunden Verzögerung ausgestrahlt werden.

Auch der Pekinger Fluch dürfte es kaum in die Livesendung schaffen. Diese Beleidigung des Gegners ist eine Spezialität der Pekinger Fußballfans. Im Fußballstadion wird inzwischen Musik über Lautsprecher eingespielt, um ihn zu übertönen. Bei den Olympischen Spielen hingegen könnte ein Animateur anstimmen: „Aoyun jiayou, Zhongguo…“

Benedikt Voigt, Peking, im Tagesspiegel am Dienstag, dem 8. Juli 2008

Mach dich in einem Melonenfeld nicht an deinen Schuhen und
unter einem Pflaumenbaum nicht an deinem Hut zu schaffen!
Liu Xiang

Obwohl diese chinesische Weisheit vor mehr als 2000 Jahren aufgeschrieben worden ist, kann sie allen olympischen Athleten als Warnung dienen. Liu Xiang – der Dichter, nicht der Hürdenläufer – hatte eigentlich mit seinen „Überlieferungen von ausgewählten Frauen“ ein moralisches Erziehungswerk für Frauen entworfen. Doch dieser Auszug aus der Geschichte über Yu Ji, die Frau des Königs Zhao von Chu, kann allen Sportlern helfen, weiblichen wie männlichen.

„Mach dich in einem Melonenfeld nicht an deinen Schuhen und unter einem Pflaumenbaum nicht an deinem Hut zu schaffen.“ Was rätselhaft klingt, bekommt durch eine Ergänzung Sinn: „…man könnte dich sonst des Diebstahls verdächtigen“. Ist es nicht so? Selbst wenn der Betreffende im Melonenfeld unter Beobachtung des Bauern nur seine Schuhe zubindet, bleibt der Makel, er könnte unlautere Absichten gehabt haben. Also: Gebe keinen Anlass für Verdächtigungen.

Das Melonenfeld der Athleten heißt Doping. Es ist die unerlaubte Abkürzung zum Ziel. Anstatt die Medaille (Melone) auf dem Markt durch eine eigene Leistung zu erwerben (in China muss man den Melonenpreis mühsam herunterhandeln), könnten die Athleten sich auch auf dem Feld des Dopings bedienen. Es gibt viele, die sich dort nicht nur die Schuhe zugemacht haben: Kostas Kenteris und Ekaterina Thanou zum Beispiel, die sich vor den Spielen in Athen mit einem fingierten Motorradunfall einer Dopingprobe entzogen haben und gesperrt wurden.

Andere haben sich vielleicht nur leichtsinnigerweise gebückt, etwa der Eishockeyspieler Florian Busch. Er verweigerte eine Dopingprobe, weil er mit seiner Freundin Abendessen gehen wollte und gab erst anschließend eine negative Probe ab. Prompt fand er sich im Mittelpunkt eines sportpolitischen und juristischen Dopingfalls wieder. Womit bewiesen wäre, dass die Worte des Liu Xiang – des Dichters, nicht des Hürdenläufers – für Athleten als Warnung dienen können. Das Beste wäre freilich, sie kämen erst gar nicht in die Nähe des Melonenfelds.

Benedikt Voigt im Tagesspiegel, Dienstag, dem 8. Juli 2008

An dieser Stelle trainieren wir für die Olympischen Spiele in der Disziplin Sprücheklopfen. Die Weisheit stammt aus dem Buch „Chinesische Aphorismen“, erschienen im Sinolingua-Verlag.

 

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