Duplitzer: "Wenn ich nicht zu den Olympischen Spielen reisen dürfte, wäre ich beruflich erledigt"
China-Kritikerin Imke Duplitzer „Das IOC kommt nicht ohne Gesichtsverlust raus“ – Michael Reinsch von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Die Degenfechterin im Dilemma: Als Athletin ist Imke Duplitzer von den Spielen in Peking existentiell abhängig. Wer Rückgrat zeigt, geht unter, sagt die 32-Jährige im F.A.Z.-Interview.
Sie sind qualifiziert für das Degenfechten in Peking. Können Sie zu den Olympischen Spielen fahren, wenn Ihre Gastgeber in Tibet einen Aufstand blutig niederschlagen?
Ich hatte schon ein ungutes Gefühl, als das Internationale Olympische Komitee die Spiele nach China vergab vor sieben Jahren. Die gesellschaftliche Situation dort ist ja nicht erst seit heute so, dass man, wenn man ein bisschen ein Bewusstsein hat, dort nur mit gemischten Gefühlen hinfahren kann. Wir dürfen uns nicht politisch äußern und sollen im Rahmen von Brot und Spielen sportlich tätig sein.
Darüber hinaus sind wir darauf hingewiesen worden, dass wir schon vorher massiven Sicherheitsüberprüfungen unterzogen werden: ob wir Mitglied von Amnesty International sind, von Free Tibet oder ob wir Falun Gong anhängen. Wenn man die Spiele nicht politisch aufladen will, sollte vielleicht auch der Gastgeber seine Gäste nicht vorab politisch qualifizieren.
Woher kam solch ein Hinweis?
Per E-Mail, von irgendeinem Absender.
Was soll passieren, wenn Sie etwa Mitglied von Amnesty sind?
Das weiß ich nicht. Ich habe kurz überlegt, ob ich nicht deshalb Mitglied von Free Tibet werde, um herauszufinden, ob ich dann einen kleinen chinesischen Schatten bekomme, der bei mir im Wandschrank schläft.
Würden Sie Fragen zu Ihrer politischen Überzeugung beantworten?
Das muss ich gar nicht. Die werden sich wohl im world wide web schlau machen. Alle, die sich für Peking akkreditieren wollen, werden angeblich solchen Überprüfungen unterzogen.
Wollen Sie wirklich Mitglied von Free Tibet werden?
Ich kann das nicht riskieren. Wenn ich deshalb nicht zu den Olympischen Spielen reisen dürfte, wäre ich beruflich erledigt. Ich könnte natürlich als Privatperson Imke Duplitzer den Staat China verklagen, wenn er mich nicht einreisen lässt. Aber bis zu einer Entscheidung ist Olympia vorbei. Wir Athleten haben keinerlei Rechte, keinerlei Handhabe. Wenn wir boykottieren wollten, würden wir uns ins eigene Fleisch schneiden. Damals in Moskau hatte der Boykott auch keinerlei Effekt auf das System. Wir können nur hinfahren und die Faust in der Tasche ballen. Wer in Peking nicht dabei ist oder keine Medaille holt, hat sich vier Jahre lang umsonst vorbereitet.
Was passiert, wenn Sie dort nicht mitmachen?
Olympia ist ein Riesenereignis. Wenn Sie dort Ihren Hintern nicht durchs Deutsche Haus schwingen, wenn Sie nicht in der Presse und im Fernsehen vorkommen, sieht es schlecht aus für Sie. Ich bin bei der Bundeswehr, und das gerne. Der Staat hat eine Menge Geld investiert, damit ich dort antrete. Da muss man als Athlet mit harten Bandagen um den Erfolg kämpfen und um die Förderung für die nächsten Jahre. Wenn ich da die Moral betone und mich weit aus dem Fenster lehne, stehe ich als Gelackmeierte da, sobald die Scheinwerfer ausgehen.
Ist man gelackmeiert, wenn man eine Medaille gewinnt und, wie Tommie Smith und John Carlos in Mexiko 1968, sie Siegerehrung zu einer politischen Demonstration nutzt?
Was hatten die beiden davon? Da sind wir bei dem schönen postmodernen Thema: Ernährt mich Moral? An meinem Rückgrat kann ich nicht mal einen Kleiderbügel aufhängen.
Verstehe ich Sie recht: Wenn Sie Olympiasiegerin im Degenfechten werden, werden Sie auf dem Podest nicht für Menschenrechte demonstrieren?
Ich werde tun, was in meinem Rahmen möglich ist. Sollte ich schlecht abschneiden und sollten die Chinesen mir richtig auf die Nerven gehen, stelle ich mich im T-Shirt für ein freies Tibet auf den Platz des Himmlischen Friedens. Schneller kann ich keinen Heimflug buchen. Im Ernst: Wie sollen wir Athleten demonstrieren? Und wen würde das interessieren?
War es ein Fehler, die Spiele nach Peking zu vergeben?
Das IOC hätte das nicht tun sollen. Wenn man friedliche Spiele in einem freiheitlichen Geist will, dann kann man nicht China wählen. Das ist so, als würde man einen notorischen Kinderschänder, wenn er aus dem Gefängnis kommt, zum Kindergärtner machen mit der Begründung, er müsse eine zweite Chance bekommen. Zugutehalten kann man jedoch, dass, als die Vergabe erfolgte, die jetzt Verantwortlichen noch nicht in so einflussreichen Positionen waren, um im Vorfeld der Vergabe eine Änderung der Situation zu erreichen.
Die Autorin Ines Geipel hat in Berlin gesagt: Wer zu den Olympischen Spielen nach Peking fährt, weiß, dass er mit Mördern feiert . . .
Damit kann ich mich identifizieren. Meine Mannschaftskameradin Britta Heidemann, die Chinesisch studiert und dort auch lebt, erzählt andererseits immer, wie die Menschen in China sich auf die Spiele freuen, wie viel sich dort verändert durch die Spiele.
Wandel durch Annäherung?
Das hat mit der DDR und dem Ostblock ja auch geklappt. Man kann nicht das Volk bestrafen für das, was seine Herrscher tun. Vielleicht hören wir ja auch in der Zukunft irgendwann aus China: „Wir sind das Volk!“
Was müssen die Funktionäre des IOC jetzt unternehmen?
Die haben sich so in die Sackgasse manövriert, dass jedes Wort von ihnen unglaubwürdig wirkt.
Wäre es nicht ein Fortschritt, wenn Jacques Rogge oder Thomas Bach dieses Dilemma öffentlich eingestehen würden?
Wenn sie das tun würden, müssten sie eingestehen, dass Peking die Olympischen Spiele deshalb gekriegt hat, weil 1,3 Milliarden Chinesen Hamburger von Hauptsponsor McDonald’s essen sollen. 1,3 Milliarden Chinesen sollen Flachbildschirme von Hauptsponsor Samsung kaufen. 1,3 Milliarden Chinesen sind ein gigantischer Kaufkraftfaktor der Zukunft. Das wäre die moralische Bankrotterklärung des IOC. Aber ihr Schweigen ist auch eine moralische Bankrotterklärung. Da kommen sie nicht raus, ohne das Gesicht zu verlieren.
Was halten Sie von Forderungen, das IOC solle zum Beispiel die olympische Flagge auf halbmast setzen bei Menschenrechtsverletzungen oder sein Präsident solle einen persönlichen Boykott der Spiele erwägen?
Das wäre mal eine gute Idee. Es waren ja nicht die Athleten, die dafür gestimmt haben, die Spiele in Peking zu veranstalten. Der mündige Athlet existiert nicht.
Wie werden Sie persönlich mit den Spielen umgehen?
Ich habe in diesem Jahr das große Los gezogen: Ich muss zur Mannschafts-Weltmeisterschaft nach Peking, danach zum Weltcup nach Nanjing und dann zu den Olympischen Spielen nach Peking. Ich fahre ja nicht mal nach Amerika, weil der Präsident der Vereinigten Staaten und das, was er verbricht, mir nicht gefallen. Aus Peking reise ich so schnell ab, wie ich kann.
Gibt es eine Schmerzgrenze?
Die ist längst überschritten. Aber ich muss dort starten, um weiter meinen Sport ausüben zu können. Ich bin von den Spielen existentiell abhängig. Für das IOC war die Entscheidung, die Spiele nach China zu vergeben, nicht existentiell. Wenn mir ein Sponsor sagen würde: Deine moralische Haltung gefällt uns, Schätzchen. Wenn du nicht nach Peking willst, sichern wir dich für die nächsten vier Jahre ab. Dann würde ich zugreifen und hierbleiben. Das Thema ist so komplex, dass man die Frage Boykott oder nicht gar nicht beantworten kann.
Das Gespräch führte Michael Reinsch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Donnerstag, dem 20. März 2008