
2015 Frankfurt Marathon Frankfurt, Germany October 25, 2015 Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-291-3409 www.photorun.NET
Bleiben die deutschen Läufer und Läuferinnen bei der Marathon-Olympia-Nominierung auf der Strecke?
Die Zwischenbilanz ist auf den ersten Blick ernüchternd, zugleich aber hoffnungsvoll. Ein einziger deutscher Läufer hat bei den Herbst-Marathonrennen die Olympia-Norm für die Spiele in Rio im August unterboten.
Dass mit Arne Gabius erstmals seit Olympia 2000 wieder ein deutscher Läufer beim Männer-Marathon an den Start gehen kann, ist erfreulich. Nach seinem famosen deutschen Rekordrennen in Frankfurt (2:08:33 Stunden) hat der 34-Jährige, der für LT Haspa Marathon Hamburg startet, sogar durchaus Chancen auf eine gute Platzierung in Rio.
Doch Arne Gabius ist bisher der einzige Marathonläufer, der die Norm unterboten hat. Ernüchternd war vor allem, dass dies keiner Frau gelang.
Zwei von denen man es nicht unbedingt erwartet hatte – Philipp Pflieger und Lisa Hahner -, scheiterten dagegen knapp an den Richtwerten. Sie gehören zu einer neuen, hoffnungsvollen Generation der deutschen Marathonläufer. Doch ob sie die Chance erhalten werden, bei den Olympischen Spielen zu starten, steht in den Sternen. Und gemessen an den entsprechenden Erfahrungen deutscher Marathonläufer in der Vergangenheit sieht es nicht gut aus.
Wie schon bei (Nicht)-Nominierungen in der Vergangenheit, zum Beispiel Stephan Freigang vor Olympia 2004, wird einmal mehr offensichtlich, dass es zwischen Veranstaltern und Athleten einerseits sowie dem Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) auf der anderen Seite erhebliche Meinungsverschiedenheiten gibt.
Die größten deutschen Marathonveranstalter aus Berlin, Hamburg, Frankfurt, Köln und München fordern ebenso wie die Vereinigung der deutschen Straßenläufe, German Road Races (GRR) e.V., vehement, dass die besten drei Männer und Frauen für die Olympischen Spiele nominiert werden.
Der DLV hält an den vom Verband selbst ausgewählten Normen fest, die mit dem Deutschen Olympischen Sport-Bund (DOSB) abgesprochen wurden. Ein nachvollziehbares System bei der Festsetzung der Qualifikationszeiten lässt sich nicht erkennen, wenn man die Normen für die Spiele seit 2004 vergleicht: 2:11:00 und 2:30:00 wurden für Athen 2004 gefordert, 2:13:00 und 2:31:00 waren es für Peking 2008, 2:12:00 und 2:30:00 für London 2012 und nun 2:12:15 und 2:28:30 für Rio.
Lisa Hahner: Erinnerungen an das Nominierungs-Desaster bei Anna Hahner
Lächerliche 14 Sekunden fehlten Anna Hahner (Run2Sky), der Zwillingsschwester von Lisa, vor vier Jahren bei ihrem Marathondebüt zur Olympianorm für die Spiele in London. Nach der Nominierung durch den DOSB kam damals heraus, dass der DLV die Athletin trotz gegenteiliger Zusage nicht einmal als sogenannter ,Härtefall’ vorgeschlagen hatte – und die Läuferin darüber auch nicht informiert hatte. „Ich habe Annas Fall natürlich noch im Kopf. Daher kann ich nicht viel auf das geben, was ich bisher vom DLV mündlich gehört habe“, sagt Lisa Hahner, die in Frankfurt im Oktober mit 2:28:39 Stunden die Norm um nur neun Sekunden verpasste.
Zweimal habe es in der Folge einen telefonischen Kontakt zum DLV gegeben. „Dabei hat mir der Sportdirektor Thomas Kurschilgen gesagt, dass mich der Verband unterstützen wird – konkret aber ist nichts“, sagt Lisa Hahner und fügt hinzu: „Mir wurde allerdings gesagt, dass ich mit einer knapp verpassten Norm erst am 12. Juli Bescheid bekäme.“
Der 12. Juli, das wäre genau 33 Tage vor dem Marathonrennen in Rio – ein so kurzer Zeitabstand ist in jeglicher Hinsicht kontraproduktiv. Diese Aussage zeigt, dass man beim DLV die Besonderheiten der Marathonläufer weiterhin entweder nicht berücksichtigen will oder nicht verstanden hat.
Während Anna Hahner die Norm beim Berlin-Marathon mit einer Zeit von 2:30:19 Stunden klar verpasste und nun einen Frühjahrs-Marathon anstrebt, liegt auch für Lisa Hahner ein Rennen im Frühjahr nahe. Bei Sabrina Mockenhaupt (LG Sieg) ist ebenfalls davon auszugehen, dass sie im Frühjahr noch einen Marathon laufen wird. Endgültig entschieden hat sie sich dafür aber noch nicht. In Valencia reichte es nach langen Verletzungsproblemen im November mit einer Zeit von 2:30:44 noch nicht zur Norm.
Auf ihrer Webseite spricht Sabrina Mockenhaupt ein weiteres Problem an, das jene Marathonläufer haben, die im Herbst die Norm noch nicht erreichten: „Im Marathon hätte ich jetzt nur noch eine Chance, die Norm von 2:28:30 zu unterbieten. Das Wetter muss stimmen, der Tag muss stimmen und eine 2:28:30 läuft man halt auch nicht mal so nebenbei! Eigentlich wollte ich auch auf keinen Fall einen Frühjahrs-Marathon laufen, deshalb der Versuch das fast Unmögliche in Valencia zu schaffen. Zu dicht ist der Marathon dann schon wieder am Olympia-Marathon.“
Auch diese Problematik wird seit langem diskutiert. Doch weder begann der Marathon-Qualifikationszeitraum schon im Frühjahr 2015, wie zum Beispiel bei den Schweizern, noch bietet der DLV knapp gescheiterten Athleten an, im Frühjahr 2016 einen entsprechenden Leistungsnachweis für eine Nominierung über eine kürzere Distanz zu bringen, zum Beispiel über 25 oder 30 km.
DLV unterstützt Einbürgerungsverfahren von Fate Tola
Ein anderer Fall ist Fate Tola (Eintracht Braunschweig). Die Äthiopierin, die seit Jahren in Deutschland lebt, hier eine Familie gründete und von der deutschen Marathon-Rekordlerin Irina Mikitenko betreut wird, blieb in Berlin mit einer Zeit von 2:28:24 unter der Norm. Seit längerer Zeit läuft das Einbürgerungsverfahren, wobei der DLV in dieser Sache die Läuferin unterstützt. „Wir hoffen, dass Fate noch rechtzeitig vor Rio die deutsche Staatsbürgerschaft erhält. Sicher bin ich aber leider nicht“, sagte Irina Mikitenko und fügte hinzu: „Momentan läuft das Einbürgerungsverfahren, wobei der DLV durch ein entsprechendes Schreiben dazu beiträgt, dass dieses beschleunigt wird.“ Fate Tola will im Frühjahr noch einen Marathon laufen.
,Härtefall’ Philipp Pflieger, André Pollmächer und Steffen Uliczka planen Winter-Marathon
Bei den Männern, die in den letzten Jahren einen deutlichen Aufwärtstrend hatten, verpasste Philipp Pflieger (LG Telis Finanz Regensburg) die Norm beim Berlin-Marathon mit einer Zeit von 2:12:50 um nur 35 Sekunden. Entgegen ersten Plänen wird er in der ersten Jahreshälfte 2016 keinen Marathon mehr laufen und sich stattdessen zunächst auf die Halbmarathondistanz konzentrieren. Pflieger wäre sicherlich auch ein Athlet, den der DLV als ,Härtefall’ dem DOSB zur Nominierung vorschlagen könnte – doch eine Entscheidung am 12. Juli wird auch ihn in zeitliche Schwierigkeiten bringen. Julian Flügel (TSG 08 Roth), der sich in Berlin auf 2:13:57 gesteigert hatte, hatte schon frühzeitig signalisiert, dass er im Frühjahr 2016 keinen Marathon plant. Er ist in diesem Jahr die Nummer drei in der deutschen Jahresbestenliste hinter Arne Gabius und Philipp Pflieger.
Voraussichtlich noch im Winter werden Steffen Uliczka (SG Kronshagen/Kieler TB) und André Pollmächer (Rhein-Marathon Düsseldorf) einen Anlauf auf die Olympia-Norm versuchen. Der EM-Achte Pollmächer hatte immer wieder Verletzungsprobleme und beendete den Düsseldorf-Marathon im Frühjahr vorzeitig, Uliczka kam bei seiner Marathon-Premiere in Hamburg nicht über 2:20:19 hinaus. Dass sie in den Bereich der Norm laufen, erscheint eher nicht wahrscheinlich.
Veranstalter appellieren an den DLV, Fronten verhärten sich
Die Diskussionen um die Nominierungen werden weitergehen, und die Fronten dürften sich in den kommenden Monaten weiter verhärten.
Einen interessanten Ansatz brachte die Berliner Zeitung ,Der Tagesspiegel’ ins Spiel:
„… vielleicht sollte der Sport endlich einmal unterscheiden lernen zwischen gesellschaftlich relevanten und weniger relevanten Disziplinen. Kaum eine Disziplin hat so eine hohe gesellschaftliche Bedeutung wie der Marathon: Ausdauer zeigen, im Alltag laufend gesund bleiben, sich selbst organisieren, für all das ist der Marathon ein ausgezeichnetes Symbol. Dafür lohnt es sich, auch drei deutsche Botschafter zu den Olympischen Spielen zu schicken“, heißt es in einem Kommentar der Zeitung von Friedhard Teuffel.
Diesem Argument könnte man noch einen anderen Aspekt hinzufügen: Durch die Straßenlauf-Veranstaltungen nehmen der DLV und seine Landesverbände erhebliche Geldsummen ein, die keine andere Disziplin generieren kann. Dies basiert auf den erfolgreichen Tätigkeiten der deutschen Laufveranstalter.
Aufgrund einer drastisch erhöhten Verbandsabgabe – ab 2016 müssen die Organisatoren für jeden Läufer im Ziel eines offiziellen Volkslaufes 50 Cent abführen – erhalten die Verbände 2016 nach Schätzungen der German Road Races rund 800.000 Euro.
Dass die Veranstalter zahlen sollen, aber keine echte Stimme haben, geht vielen der teilweise auch international äußerst erfolgreichen Straßenlauf-Organisatoren gegen den Strich.
Stellvertretend für die großen deutschen Marathonrennen sagte Frankfurt-Chef Jo Schindler:
„Wir appellieren an den DLV, in Rio drei Männer und drei Frauen im Marathon an den Start zu bringen. Das hat der deutsche Laufsport verdient, wenn die Zeiten einigermaßen stimmen – und das ist der Fall. Dies hätte eine positive Wirkung für den Nachwuchsbereich. Ansonsten entwickelt sich die Szene wieder zurück.“
race-news-service.com
German Road Races (GRR) e.V.: Statement zur Praxis der DLV Marathon-Olympia-Nominierung.
Milde: „Als Läufer müssen wir uns fragen, ob der DLV noch unser Verband ist“
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