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13
03
2014

Netzwerker für Inklusion im Sport: Oliver Klar, Kirsten Ulrich, Guido Kersten (v.l.) ©red.

Bewegungsvielfalt macht gesünder – In Berlin hat sich das Netzwerk „Sport und Inklusion\“ gegründet – Angela Baufeld in SPORT in BERLIN

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Vor fünf Jahren trat in Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft. Seitdem ist auch der organisierte Sport aufgefordert, Menschen mit Behinderungen die Teilnahme am Sport und am Vereinsleben uneingeschränkt zu ermöglichen. Deshalb hat sich im vergangenen Jahr in Berlin in Zusammenarbeit mit dem Landessportbund und dem Behinderten-Sportverband das Netzwerk „Sport und Inklusion" gebildet.

Zu den Initiatoren gehören u. a. Kirsten Ulrich vom Sporttreff Karower Dachse, Guido Kersten von den Berliner Wasserratten 1889 und Oliver Klar vom SV Pfefferwerk.

Wer arbeitet in dem Netzwerk mit und was sind die Ziele?

Kirsten Ulrich: Vertreter von Vereinen, vom Behinderten-Sportverband und vom Landessportbund. Wir wenden uns an alle interessierten Vereine, Verbände und an die Politik auf Bezirks- und Senatsebene. Jeder kann bei uns mitmachen und helfen, den Inklusionssport voranzubringen. Bis diese Angebote nichts Besonderes mehr sind, sondern Normalität, weil sie den Vereinssport bereichern.

Oliver Klar: Wir sind vor allem ein Netzwerk für den Breiten- und Freizeitsport und wir alle haben die Erfahrung gemacht, dass die Nachfrage nach inklusiven Sportangeboten in diesem Bereich groß ist.

Kirsten Ulrich: Zu uns nach Karow kommt ein Mann mit Sehbeeinträchtigung aus Frohnau, weil es dort kein inklusives Laufangebot gibt.

Guido Kersten: Wir wollen vor allem auch Berührungsängste zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen abbauen, ihnen die Scheu voreinander nehmen und Vereine dabei unterstützen, Inklusionssportangebote aufzubauen.

Wie sehen die Berührungsängste aus?

Kirsten Ulrich: Viele Trainer haben Angst, etwas falsch zu machen. Das fängt mit der Wortwahl an. Sie machen sich Vorwürfe, weil sie zu einem Menschen mit Sehbehinderung  „Schau mal" gesagt haben. Umgekehrt gibt es diese Berührungsängste auch bei den Menschen mit Behinderung, wenn sie einen Trainer nicht ansprechen – nur aus Angst, abgewiesen zu werden. Sie müssen lernen selbstbewusst zu sagen: Ich will da mitmachen.

Guido Kersten: Menschen mit und ohne Behinderung haben noch zu wenig Kontakt untereinander, um zu erkennen, dass sie in gemeinsamen Trainingsgruppen auch voneinander profitieren können. In der Gruppe wird die Behinderung irgendwann gar nicht mehr wahrgenommen. Dann heißt es nicht mehr: „Der mit Krücke", sondern dann hat das Kind einen Namen. Dann geht es nur noch darum, wer schwimmt am schnellsten oder wer springt am weitesten. Dabei treiben sich alle gegenseitig zu besseren Leistungen.

Was sind Schwierigkeiten bei der Umsetzung von inklusiven Projekten?

Oliver Klar: Inklusion kostet auch Geld. Der individuelle Unterstützungsbedarf ist größer, deshalb werden mehr Trainer und Übungsleiter gebraucht. Wir Trainer und Übungsleiter müssen bereit sein, uns darauf einzulassen und wir müssen uns weiterbilden.

Kirsten Ulrich: Wobei Übungsleiter im Gesundheitssport jetzt schon gefordert sind. Sie müssen wissen, was zum Beispiel bei Herzinfarkt zu tun ist.

Guido Kersten: Die Sportstätten sind ein Problem, müssen behindertengerecht ausgestattet sein. Auch die Anfahrt zur Sportstätte ist schwierig. Wir organisieren zum Beispiel die Anfahrt für unsere Rolli-Fahrer mit einem Taxiunternehmen. An den Kosten beteiligt sich der Verein, um die Mitgliedsbeiträge für diese Kids in Grenzen zu halten. Das funktioniert nicht auf Dauer.

Sie bieten schon seit vielen Jahren inklusive Projekte in Ihren Vereinen an. Bei den Karower Dachsen finden Lauftreffs für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen und Suchterkrankungen statt, beim SV Pfefferwerk gibt es die basketballspielenden Rolli-Kids und bei den Wasserratten trainieren Menschen mit und ohne Behinderung erfolgreich in einer Schwimmgruppe. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht? Und warum lohnt sich Inklusion?

Guido Kersten: In unseren gemischten Schwimmgruppen beobachten wir die unterschiedliche Art, wie Menschen mit und ohne Behinderung mit Problemen und Hindernissen umgehen. Bei uns gibt es querschnittsgelähmte Kinder, die viel schneller schwimmen als die anderen. Menschen ohne Behinderung erleben, dass Menschen mit Behinderung in der Lage sind Großartiges zu leisten und sie selbst werden dadurch stimuliert.

Kirsten Ulrich: Viele Menschen ohne Behinderung, die auf hohem Niveau klagen, bekommen durch den Kontakt mit Menschen, die eine Behinderung haben, eine neue Sicht auf ihr eigenes Leben, ihre Probleme relativieren sich. Dieser psychische Effekt ist immens.

Oliver Klar: Der persönliche Kontakt ist wichtig. Zu sehen, dass es keine Norm gibt und jeder ein anderes Bewegungsverständnis hat. Eltern bringen ihr Kind zu uns, weil es in anderen Vereinen „rausfällt" oder nicht entsprechend eingebunden wird.

Kirsten Ulrich: Wir kommen weg davon: Ich erfülle die Norm nicht, also bewege ich mich nicht. Es ist doch heute schon so: Kaum eine Trainingsgruppe ist homogen. Die Teilnehmer unterscheiden sich in ihren gesundheitlichen Voraussetzungen voneinander und bewegen sich trotzdem, weil sie zusammen Spaß daran haben. Inklusion bedeutet: Wir akzeptieren die Vielfalt an Bewegungen, bringen mehr Menschen zum Sport. Dadurch wird unsere Gesellschaft gesünder.

 

Das Gespräch führte Angela Baufeld – SPORT in BERLIN – März 2014

Bildunterschrift:

Netzwerker für Inklusion im Sport: Oliver Klar, Kirsten Ulrich, Guido Kersten (v.l.

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