Dr. Dr. med. Lutz Aderhold - Bedeutung der Zielgeschwindigkeit ©privat
Bedeutung der Zielgeschwindigkeit – Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
1996 lernte ich nach dem Berlin-Marathon den Sieger Abel Anton (Marathon Weltmeister 1997 und 1999) kennen, der das Rennen in 2:09:15 h gewonnen hatte. Da wir gemeinsam auf den Abflug nach Frankfurt warteten, kamen wir ins Gespräch und er berichtete mir über sein Training.
Das Vorbereitungsprogramm auf einen Marathon dauert bei ihm drei Monate. In der 1. Phase läuft er 200 bis 220 Kilometer in der Woche. Es folgt eine Phase mit 190 bis 200 km, aber mit einer höheren Intensität. In den letzten vier Wochen reduziert er den Umfang von 160 km über 140 und 120 km auf zuletzt 100 km in der Woche. Dabei trainiert er dann immer im Wettkampftempo oder sogar etwas schneller.
Die einzelne Trainingseinheit dauert maximal 2 h. Einen früheren Beginn der speziellen Marathonvorbereitung hält er für psychisch zu belastend. Stattdessen trainiert er drei Monate vor dem Marathontraining wie für ein 5000- oder 10.000-m-Rennen.
Das Trainingskonzept von Abel Anton besteht zunächst aus einem Training der Grundlagenausdauer und der anschließenden Hinführung zur Zielgeschwindigkeit, dem Marathonrenntempo. Die Erfolge Abel Antons mit den Weltmeistertiteln im Marathon 1997 in Athen und 1999 in Sevilla zeigen die Richtigkeit dieses Prinzips.
Auch Waldemar Cierpinski, zweifacher Olympiasieger im Marathon (1976 in Montreal und 1980 in Moskau) machte die Zielgeschwindigkeit zum wichtigsten Kriterium für seine Trainingsplanung (Cierpinski u. Kluge 1989; Pöhlitz 2012). Die kürzeren Tempoläufe (Intervalltraining) lagen im Tempo zunächst deutlich über der Zielgeschwindigkeit und pegelten sich dann zum Wettkampf hin knapp darüber ein.
Die Dauerläufe begannen hinsichtlich der Geschwindigkeit weit unter der Plangröße, um sich dann im Laufe der Vorbereitung immer mehr der Zielgeschwindigkeits-Vorgabe zu nähern. Der maximale Trainingsumfang betrug rund 200 km in der Woche.
Ich lernte Waldemar Cierpinski kurz nach der Wende 1990 beim Marathon in Hamburg kennen und kam schnell mit ihm ins „fachsimpeln".
Haile Gebrselassie (Marathon-Weltrekorde in Berlin 2007 und 2008 mit 2:03:59 Stunden, 2-facher Olympiasieger und 4-facher Weltmeister über 10.000 m) sagt über sein Training, dass er speziell das Renntempo trainiert, erst nur über kurze Strecken und dann über immer längere Distanzen (Steffens 2010).
Besonderheit Ultralauf
Auffällig ist, dass Leistungen auf „Unterdistanzen" häufig nicht auf die längere Strecke (100 km) umgesetzt werden können. Die grundsätzlichen Prinzipien, nach denen ein sinnvolles und erfolgreiches Training durchgeführt wird, haben sich in den letzten 50 Jahren nicht verändert. Der Erfolgsinhalt heißt im Grunde genommen die richtige Mischung von Dauerlauf und Intervalltraining. Trotzdem kann man auf unterschiedlichen Wegen zum Ziel kommen.
Einige Spitzenläufer haben in der Vergangenheit im Training weitgehend auf anaerobe Belastungen verzichtet und dies durch viele Wettkämpfe kompensiert, was eben die Wettkampfhärte besonders gut fördert. Aber auch hier muss das rechte Maß gefunden werden.
Ein Lauftraining ist nur dann erfolgreich, wenn man nicht stur die Trainingpläne anderer kopiert, sondern sich auf deren grundlegende Prinzipien besinnt und sie auf die individuellen Voraussetzungen ausrichtet. Deutlich wird an den Trainingsplänen früherer Spitzenläufer im Ultrabereich vor allem der große Trainingsfleiß, der sich insbesondere in den hohen Umfängen zeigt. Typisch ist auch für das Training, dass ein großer Umfang im Wettkampftempo gelaufen wird (Heinrich 2010).
Einen Dauerlauf so lange wie möglich in der geforderten Geschwindigkeit durchzustehen, das war und ist das spezifische Anforderungsmerkmal für einen guten Ultraläufer. Trotzdem sollte auch das schnellere Training (Tempodauerlauf im Bereich der aneroben Schwelle) nicht vernachlässigt werden, denn es fördert am effektivsten die Leistung. Wer schneller werden will, kommt um diese Trainingsform nicht herum. Ein weiteres sehr wirkungsvolles Training ist die Temposteigerung. Der Lauf beginnt gemütlich, wird dann allmählich schneller und steigert sich am Ende bis zum Renntempo („Crescendo"). Bei jedem Tempo werden Muskelteile aktiviert, die im ausgeruhten Zustand nur durch ein deutlich höheres Tempo angesprochen werden würden. Dies führt zu einem tiefen Trainingsreiz.
Bedeutung der Zielgeschwindigkeit
Die Zielgeschwindigkeit ist das Tempo, das Sie in der Wettkampfsaison beim Hauptwettkampf (Zielwettkampf) laufen wollen.
Die Zeiten im Training sollten sich an dieser Geschwindigkeit orientieren, denn das Training in diesem Tempo hat die höchste Trainingswirksamkeit (Aderhold und Weigelt 2012). Natürlich sind Sie bei den kürzeren Langstrecken bis Marathon zu Beginn des Trainingszyklus noch nicht in der Lage, über längere Strecken in diesem Tempo zu laufen.
Die Tempoläufe als Intervalltraining werden über der Zielgeschwindigkeit gelaufen. Die Dauerläufe – auch als Tempodauerlauf – beginnen unter der Zielgeschwindigkeit und steigern sich allmählich zum Wettkampftempo hin. Der Ultraläufer hat den Vorteil, dass er deutlich größere Anteile des Trainings im Zieltempo laufen kann als der Marathonläufer (Heinrich 2010). In der Vorbereitung auf einen 24-h-Lauf muss auch dass „langsame" Wettkampftempo trainiert werden, weil dies die Strukturen in anderer Weise belastet als das sonst übliche Dauerlauftempo (Prinzip der spezifischen Belastung). Die Erarbeitung der Zielgeschwindigkeit ist das zentrale Kriterium des Trainings vieler erfolgreicher Langstreckenläufer.
Das Tempo, das Sie im Wettkampf laufen möchten, sollte auch im Training im Mittelpunkt stehen (Zielleistungsprinzip). Die Marathonelite läuft bis zu 30% des Trainingsumfangs im Marathonzieltempo.
Dieses Trainingsmittel ist sehr effektiv und hilft auch dem Ultraläufer, die Ausdauerfähigkeit zu verbessern und die Tempohärte zu entwickeln. Tempodauerläufe im geplanten Wettkampftempo sowie die Steigerung des langen Laufs zum Ende in die Nähe des geplanten Wettkampftempos hat einen intensiven Trainingseffekt und schult außerdem die mentalen Fähigkeiten. In der Entwicklung werden dann immer längere Strecken im Zielgeschwindigkeitsbereich gelaufen.
Diese Endbeschleunigungen setzt man erst sieben Wochen vor dem geplanten Zielwettkampf ein, da diese Art des langen Dauerlaufs stark formgebend ist.
Dr. Dr. med. Lutz Aderhold
Literatur:
Aderhold L, Weigelt S. Laufen! … durchstarten und dabeibleiben – vom Einsteiger bis zum Ultraläufer. Stuttgart: Schattauer 2012.
Cierpinski W, Kluge V. Meilenweit bis Marathon. Berlin: Sportverlag 1989.
Heinrich B. Laufen. Geschichte einer Leidenschaft. Berlin: List 2010.
Pöhlitz L. Trainingskonzepte erfolgreicher Läufer & Geher mit Konsequenzen für das Training heute: Mittelstrecke – Langstrecke – Marathon – Gehen. Hemau: Scheck 2012.
Steffens T. Laufen. Lernen von den Stars. Aachen: Meyer & Meyer 2010.
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