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22
04
2017

Kejeta Melat Yisak, PSV Grün-Weiß Kassel

Ausgrenzung statt Integration (2) – Melat Yisak Kejeta wird Deutsche 10 km-Meisterin und wird nach aktueller DLV-Lesart seit diesem Jahr ausgegrenzt

By GRR 0

Mit dem Aufsehen erregenden Beitrag „Neue DLV-Regelung erschwert Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern in Deutschland“, erschienen am 5. April 2017 bei www.germanroadraces.de, hat die Interessenvereinigung der großen Läufe (GRR) eine Diskussion entfacht.

In mehreren Beispielen aus der Praxis soll versucht werden, die in dieser Form vom DLV verabschiedete Regelung in Frage zu stellen.

GRR fordert vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) eine Abkehr von dieser starren und restriktiven Haltung. Am Beispiel PSV Grün-Weiß Kassel werden Beispiele einer wohlverstandenen Integration und Inklusion verdeutlicht.

German Road Races (GRR) e.V.

Seit diesem Jahr sind laut der neuen DLV-Regelung nur noch deutsche Staatsbürger bei Deutschen Meisterschaften startberechtigt. So können in den offiziellen Deutschen Bestenlisten nur Startberechtigte bei nationalen Meisterschaften aufgenommen werden.

Für ausländische Läufer, Asylsuchende oder gar anerkannte Asylbewerber gilt:  Sie dürfen im jeweiligen Landesverband zwar für einen deutschen Verein starten, aber nicht bei nationalen Meisterschaften.

Ein deutscher Startpass reicht also nicht mehr (bisher hatte Startrecht, wer mindestens ein Jahr den ständigen Wohnsitz im DLV-Gebiet und einen deutschen Startpass hatte). Ihre Leistungen in den Deutschen Bestenlisten werden nun mit einem Stern extra aufgeführt.

Beispiel Melat Yisak Kejeta.

Die 24-Jährige ist anerkannte Asylbewerberin aus Äthiopien, lebt seit einigen Jahren in Deutschland und ist Deutsche 10 km-Meisterin 2016. Die Athletin des PSV Grün-Weiß Kassel lief jüngst in Den Haag und zuletzt in Berlin mit 1:11:00 Stunden als Vierte die schnellste Zeit einer Läuferin für einen deutschen Verein.

Mit dieser Leistung war sie deutlich schneller als ihre deutschen Mitkonkurrentinnen. Dennoch bedeutete dies für die DLV-Statistiker nicht zugleich Rang eins in der aktuellen DLV-Bestenliste.

„Über die neue Regelung bin ich sehr traurig“, sagt Melat Yisak Kejeta, „ich würde so gerne meinen Titel verteidigen, doch ich darf nicht. Aber ich werde weiter jeden Tag trainieren und mein Bestes geben.“

Statt Deutscher Meisterschaft muss sie ihren Rennkalender nun auf andere Straßenläufe ausrichten.

„Das kann so wirklich nicht sein“, kritisiert Trainer Winfried Aufenanger und spricht dabei auch als Vorsitzender des Vereins zur Förderung des Deutschen Straßenlaufs, „der DLV hat eine Regelung geschaffen, die klar der Ausgrenzung statt der Eingliederung dient.“

Dass dabei auch noch unterschiedliche Kriterien für Bundesverband und Landesverbände gelten, macht die Sache noch schlimmer. „Wie“, fragt Aufenanger, „soll ich das meinen Athleten vermitteln?“.

So steht beim gerade in den Mannschaftswertungen deutschlandweit sehr erfolgreichen PSV Grün-Weiß Kassel zum Beispiel das Team immer an erster Stelle. Aufenanger: „Wir haben immer Wert gelegt, gute Teams zu stellen. Jetzt ist es fast unmöglich, Mannschaften zusammenzustellen, die in den Bestenlisten einheitlich auftauchen. Das ist ein einziges Durcheinander und ein komplett falsches Signal.“

Sportpolitisch ebenfalls. Denn vor allem in den Mannschaftssportarten sind Ausländer nicht wegzudenken, sie sind die Garantie für den Erfolg. Warum, fragen sich Leichtathletik-Trainer und Veranstalter von Laufveranstaltungen wie Wilfried Aufenanger und  Karsten Schölermann (Hamburg), sowie die meisten Mitglieder der Veranstalter-Vereinigung German Road Races (GRR) e.V., soll das in der Leichtathletik anders sein? Schließlich fördern sogar Landesregierungen inzwischen so genannte Integration-Coaches in Sportvereinen ideell und finanziell.

„Wir engagieren uns jeden Tag für diese Athleten und werden jetzt dafür bestraft“, fordert Aufenanger eine Abkehr von der neuen Regelung, „ein Verband wie der DLV kann sich nicht einfach hinstellen und sagen, Ihr seid jetzt raus. Damit isoliert er sich.“

Schließlich gab es auch noch in jüngster Vergangenheit Situationen, da war der DLV sehr an einer schnellen Einbürgerung von Athleten interessiert, damit sie ihn international erfolgreich vertreten können.   

PSV-Athlet Jens Nerkamp hat sich in den letzten Jahren zu einem der besten deutschen Läufer von 5.000 m bis Halbmarathon entwickelt und es ins EM-Nationalteam 2016 geschafft. „Wäre die neue Regel schon letztes Jahr in Kraft gewesen, hätte ich bei der Deutschen Halbmarathon-Meisterschaft Bronze gewonnen“, sagt er.

Doch er kann damit leben. „Die Flüchtlinge kommen ja nicht hierher, weil sie hier laufen wollen, sondern aufgrund der Umstände in ihren Ländern. Ich profitiere im gemeinsamen Training von ihnen, so hat mir Ybekal Daniel Berye im Trainingslager sehr geholfen, weil ich immer bis über meine Leistungsgrenze gehen musste“, berichtet der 27-Jährige.

„Sie bringen eine sehr gute Qualität mit und steigern auch die der anderen. Dieses Training hat mir dazu verholfen, dass ich in den letzten Jahren viel schneller geworden bin.“ Jens Nerkamp hat kein Problem damit, wenn sie bei Meisterschaften dabei sind. „Jeder von uns deutschen Topläufern will einmal international starten. Da dürfen wir doch keine Angst haben vor den Flüchtlingen, die hierher kommen. Wir müssen uns mit ihnen messen, denn sie sind ja auch nicht die erste Garde. Es sollte unser Ehrgeiz sein, vor ihnen zu landen. Wir können uns Erfolg nicht nur leichtmachen.“

Kritisch sieht Nerkamp es lediglich im Jugendbereich. Hier, sagt er, müsse das Alter klar sein, damit es ein fairer Wettkampf bleibt.

Aber dafür ist kein Sportverband, sondern sind Behörden zuständig.

Von Michael Küppers, bearbeitet für GRR von Wilfried Raatz

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author: GRR

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