2017 World Championships-London London, UK August 4-13, 2017 Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-291-3409 www.photorun.NET
Auf der Suche nach dem Bolt von morgen – Michael Reinsch, Monaco in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Auf einem Video aus Australien grüßte der jamaikanische Frührentner Usain Bolt und dankte für den President’s Award. Es schien, als habe Sebastian Coe, der Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, diese Ehrung für Verdienste um die Leichtathletik zu dem Zweck erfunden, den Sprinter noch einmal ins Rampenlicht zu holen.
Bolt, der bei den Olympischen Spielen von Peking, von London und von Rio je drei Goldmedaillen gewann (und eine wegen Dopings eines Staffelkollegen verlor), der die Weltrekorde über 100 Meter (9,58 Sekunden) und 200 (19,19) nahezu unerreichbar gemacht hat, hat sich bei der WM in London mit einer Niederlage im Sprint und einem Sturz in der Staffel verabschiedet.
Seine Show und sein Charme werden der Leichtathletik fehlen.
Als „Galaxie von Talenten“ stellte Coe die neue Generation vor, die von der 23 Jahre alten Belgierin Nafissatou Thiam und dem 26 Jahre alten Qatari Barshim hervorragend vertreten wird. Die Olympiasiegerin im Mehrkampf verlor, als sie auf die Bühne trat, einen Schuh. Es war wie eine Mahnung: Der traditionsreichen Sportart könnte im Kampf um Aufmerksamkeit ein Schicksal als Aschenputtel drohen.
Barshim, der überragende Hochspringer des Jahres, der zweimal 2,40 Meter überflog, wirkt wie ein Geschenk des Himmels für sein Heimatland. Qatar, das sich als Weltmacht des Sports zu etablieren sucht, indem es Veranstaltungen bis hin zur Fußball-Weltmeisterschaft sowie Athleten für seine Nationalmannschaften akquiriert, hat in ihm einen in Doha geborenen Star.
Von der Anziehungskraft eines Usain Bolt sind all die Sieger und Herausforderer weit entfernt. „Wenn ihr ein Mikrofon seht“, forderte Coe sie deshalb auf, „schnappt es und verkauft unseren Sport!“
„Er war so ein Licht, so eine Macht“, schwärmte die 25 Jahre alte Kori Carter, Weltmeisterin über 400 Meter Hürden. „Es ist spannend: Wer wird nun der schnellste Mann der Welt?“
Von Justin Gatlin, den die Zuschauer in London ausbuhten, kaum dass er Weltmeister geworden war, ist Inspiration nicht zu erwarten, vor allem wegen seiner Vergangenheit, die ihm zwei Doping-Sperren einbrachte, was wiederum – dank der Intervention des Diskus-Olympiasiegers Robert Harting vor Jahren – seine Nominierung als Athlet des Jahres verhinderte.
Christian Coleman, Zweiter des Sprints von London und mit 21 Jahren womöglich ein aufgehender Stern, nahm sich vor: „Usain Bolt hat den Sport auf ein neues Niveau gehoben. Wir müssen dort weitermachen.“ Wie er das vor sich hin murmelte, machte er deutlich, welche Rarität der Bolt-Faktor ist.
Karsten Warholm, der Überraschungs-Weltmeister über 400 Meter Hürden aus Norwegen, ist aus einem anderen Holz geschnitzt. Ebenfalls 21 Jahre alt, fordert er Vertrauen in die neue Generation. „Klar, die Leute werden Bolt vermissen“, sagte er. „Aber es ist unser Job, seine Abwesenheit zu nutzen.“
Bei der Europameisterschaft in Berlin wird er beweisen müssen, dass er keine Eintagsfliege ist. Und Barshim versprach Höhenflüge bei der WM 2019 in Qatar. „Druck schafft Diamanten“, sagte er. „Macht mir Druck!“
Wer sich mit solchen Athleten schmücken will, muss einen angemessenen Rahmen schaffen.
Coe hat eine grundlegende Überarbeitung seiner Sportart angestoßen. Die Diamond League, die seit ihrer Gründung an Deutschland vorbeigeht, steht vor einer Reform. Eine Weltrangliste soll die Athleten zu konstanter Leistung anhalten und könnte, da auf ihr die Qualifikation für Titelkämpfe basieren soll, etwa den Trials in den Vereinigten Staaten ihre Bedeutung rauben.
Die WM soll nicht nur 2019, wenn sie wegen der Hitze am Golf im Oktober statt im August ausgetragen wird, Höhepunkt und Ende der Wettkampf-Saison werden. Veranstaltungen wie die Läufe in der Innenstadt von Birmingham auf mobilen Bahnen, wie Kugelstoßen und Stabhochspringen auf Marktplätzen, wie „Berlin fliegt“ am Brandenburger Tor sollen ihr folgen.
Bevor der Leichtathletik das Publikum davonläuft, macht sie sich auf, neue Freunde zu gewinnen.
Michael Reinsch, Monaco in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 27. November 2017
Michael Reinsch – Korrespondent für Sport in Berlin.