Auf dem Weg zu Olympia 2024 - „Gold ist leider die sichtbarste Währung“ - Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ©Horst Milde
Auf dem Weg zu Olympia 2024 – „Gold ist leider die sichtbarste Währung“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Innenminister Thomas de Maizière, der größte Sponsor des olympischen Spitzensports in Deutschland, sagt, der DOSB müsse sich entscheiden zwischen Weltspitze und Mittelmaß.
Ihre Antwort ist klar: Weltspitze. Wann wollen Sie dort sein?
Schimmelpfennig: Die Trendwende ist ausgerichtet auf Olympische und Paralympische Spiele 2024 in Deutschland. Wir haben in der vergangenen Woche mit der Arbeit begonnen. Die neuen Strukturen sollen 2017 etabliert sein.
Sie geben sich zehn Jahre Zeit?
Bischof: Man muss im Spitzensport langfristig denken und arbeiten. Wir wollen in Rio 2016 und Pyeongchang 2018 gut sein, und wir wollen in Tokio 2020 und bei den Winterspielen 2022 richtig gut sein. Dies sind Zwischenstationen.
Wäre eine Olympia-Bewerbung die Rettung für den deutschen Spitzensport?
Bischof: Es geht um die Vielfalt unserer Sportlandschaft. Der Leistungssport hat dafür die mit Abstand größere Strahlkraft, die wir als Schaufenster nutzen möchten. Uns sind Olympische Spiele so wichtig, weil sich hier die unterschiedlichen Sportarten präsentieren können.
Teilen Sie den Eindruck des Ministers, dass der deutsche Spitzensport unter seinen Möglichkeiten bleibt?
Bischof: Wir sehen den Trend. Die Medaillenanzahl wird weniger. International ist die Konkurrenz schärfer geworden, da ist es begründbar, dass die Anzahl zurückgeht. Aber wir wollen nicht, dass auch unser Anteil zurückfällt. Das ist ein Unterschied. Und wir wollen nicht auf demselben Level bleiben, wir wollen nach vorn.
Die DDR überflügelte in Seoul 1988 – getragen von einem systematischen Staats-Doping – sogar die Sowjetunion und lag mit 102 Medaillen, davon 37 goldenen, im Medaillenspiegel nur noch hinter den Vereinigten Staaten. Vier Jahre später kam das seit zwei Jahren vereinte Deutschland in Barcelona auf 82 Medaillen und 33 Olympiasiege. In London 2012 war die Bundesrepublik mit elf Olympiasiegen und 44 Medaillen wieder dort, wo sie 1988 schon war: bei elf goldenen und insgesamt vierzig Medaillen.
Schimmelpfennig: Ein stetiger Negativtrend lässt sich deutlich erkennen, auch wenn in London drei Medaillen mehr gewonnen wurden als 2008 in Peking. Auch bei den Olympischen Winterspielen verringert sich die Zahl der deutschen Medaillengewinner seit Turin im Trend vergleichbar. In einer ersten Klausurtagung haben wir uns mit dem Innenministerium auch deshalb darauf geeinigt, dass Medaillengewinne bei Olympischen Spielen, WM und EM vorrangiges Ziel des Leistungssports sind.
Es bleibt dabei wichtig, Finalplätze zu erreichen; sie sind oft Zwischenstation zu größeren Erfolgen. Für manche Sportarten muss es zudem Ziel sein, sich für Olympische Spiele zu qualifizieren. Das ist wichtig, in der Perspektive auf Spiele im eigenen Land wie unter der Prämisse der Vielfalt. Der Sport reduziert sich nicht auf Medaillengewinne. Die Erwartungshaltung des Ministers ist eine Trendwende. Diese lässt sich am einfachsten an der Zahl und der Farbe der Medaillen festmachen.
Die deutsche Olympia-Mannschaft von Barcelona war geprägt von Sportlern und Trainern aus der DDR. Wollen Sie zurück zum DDR-Sport?
Schimmelpfennig: Nein. Aber wir müssen uns schon fragen, welche Erfolgspotentiale wir erschließen können. Dabei gibt es Aspekte, die man aus dieser Zeit in die zukünftige Leistungssportstruktur einfließen lassen kann.
Welche?
Schimmelpfennig: Etwa den stringenten Aufbau vom Nachwuchs-Leistungssport zum Spitzensport. Der Kern unserer Analyse ist: Wir haben gute Konzepte, aber ein Problem in der Umsetzung. Entweder nutzen wir die Rahmenbedingungen nicht ausreichend, oder wir müssen sie verändern. Die Rahmenbedingungen von Athleten und Trainern müssen viel stärker in den Fokus unserer Überlegungen rücken.
Zum Konzept Ihrer Sportarten Judo und Tischtennis gehören neben der Zentralisierung an Leistungszentren lange Aufenthalte bei den Besten der Welt in Japan und China. Wie lässt sich dies mit beruflicher oder akademischer Ausbildung verbinden?
Bischof: Nicht jeder schafft, allein weil er Sportler ist, ein Studium. Wir müssen auch die Ausbildung bei der Bundespolizei oder im Handwerk anbieten können.
Schimmelpfennig: Es muss uns gelingen, eine sportliche Laufbahn mit einer Perspektive über den Leistungssport hinaus möglich zu machen. Die Bedingungen für den Gewinn einer Medaille definiert in jeder Sportart die jeweilige Weltspitze. Daran müssen sich alle orientieren. An Eliteschulen des Sports muss sich die Vermittlung von Wissen und Kompetenz noch stärker als bisher an den sportlichen Bedingungen orientieren. Wenn E-Learning Standard ist, fallen den Athleten Auslandsaufenthalte leichter. Vielleicht reicht Schulzeitstreckung nicht mehr aus. Wir müssen über Nachführunterricht und moderne Möglichkeiten der Wissensvermittlung sprechen, um Spitzensport, schulische oder berufliche Ausbildung und, nicht zu vergessen, Persönlichkeitsentwicklung zu ermöglichen. Dies muss den Sport ausmachen. Wir sehen in der bildungspolitischen Unterstützung Optimierungspotential.
Eine spitzensportliche Laufbahn soll keine Auszeit vom normalen Leben sein und nicht zu Lasten einer akademischen oder beruflichen Karriere gehen. Ist nicht aber die Förderung mit 750 Planstellen bei der Bundeswehr genau dies?
Bischof: Ich war als Sportler selbst zwei Jahre bei der Bundeswehr und habe erst danach ins Studium gewechselt. Mir hat die Bundeswehrzeit geholfen, an die Weltklasse Anschluss zu finden. Die Planstellen sind gut und wichtig. Ich sehe die Probleme eher darin, dass in unserer Gesellschaft in den letzten zehn Jahren vor allem die gefühlte Unsicherheit nochmals zugenommen hat. Auch die Umstellung des Studiums auf Bachelor und Master macht es für Sportler nicht leichter, verunsichert junge Menschen und führt früher zu der Frage, ob man es sich leisten möchte, beim Spitzensport zu bleiben. Wir beobachten Athleten auf dem Sprung in die Weltklasse, die davor zurückschrecken und stattdessen in den Beruf einsteigen.
Schimmelpfennig: Eltern und Kinder werden das Risiko, konsequent auf die Karte Leistungssport zu setzen, nicht eingehen, wenn es keine Perspektive gibt außer der sportlichen. Wir können nur ein solches duales Programm verantworten.
Vor anderthalb Jahren hat der Spitzensport Deutschlands zusätzlich zu den 130 Millionen vom Innenminister einen Mehrbedarf von 38 Millionen Euro reklamiert. Müssen Sie den Apparat um diese Summe, weil Sie sie nicht bekommen, effektiver machen?
Schimmelpfennig: Bevor wir nach Geld rufen, wollen wir belegen, was wir tun wollen. Jede Sportart muss definieren, was nötig ist, um international erfolgreich zu sein. Wir müssen den Leistungssport nicht neu erfinden. Aber wir brauchen in dem, was wir tun, größere Konsequenz. Wenn wir noch dazu unsere Effizienz verbessern, können wir immer noch darüber sprechen, ob und wie viel zusätzliche Fördermittel benötigt werden.
Bedeutet das Bekenntnis zur Vielfalt, dass keine Sportart und keine Disziplin wegrationalisiert werden soll, obwohl manche im Verhältnis zum möglichen Ertrag zu teuer erscheinen?
Bischof: Die Grundförderung wird es weiter geben. Wir werden aber in der Projektförderung die bevorzugen, von denen wir uns mehr versprechen. Was diese Erwartung genau bedeutet, bestimmen wir gerade: Ist es die reine Anzahl der Medaillen? Sind es Distanzmaße zur Weltspitze, sind es positive Ausstrahleffekte auf die Bevölkerung? Keine leichten Fragen.
Gibt es nicht Mannschaften und gesellschaftliche Systeme, an denen man sich besser nicht misst: die DDR-Mannschaft der achtziger Jahre, die Bundesrepublik mit dem Doping-Zentrum Freiburg und, aktuell, die russische Leichtathletik mit ihren Manipulationen?
Bischof: Wir messen uns nicht mit der DDR. Wir haben den Ansatz, unser Bestes zu geben. Dabei wollen wir möglichst vielen unserer Talente ermöglichen, aufs Treppchen zu kommen.
Das relativiert doch aber Goldmedaillen als wichtigste Währung.
Bischof: Selbstverständlich ist dies nicht die einzige Währung. Aber leider die sichtbarste.
Welche Ideen haben Sie für die Problemzone Ballsportarten mit Handball, Wasserball, Volleyball, Basketball?
Schimmelpfennig: Seit einigen Jahren konzentrieren wir uns neben dem Sommersport und dem Wintersport noch mehr auf die Spielsportarten. Sie zählen trotz des vergleichsweise größeren Aufwandes zwar nicht zu den medaillenträchtigsten, aber doch zu den populärsten in unserem Land. Die Spielsportarten, zu denen auch unser großer Volkssport Fußball zählt, begeistern die Bevölkerung. Wir sollten sie besonders fördern.
Vom Fußball lernen, heißt siegen lernen?
Schimmelpfennig: Im DFB wurden in der Zeit, in der man weniger erfolgreich war, sehr gute Konzepte, Strukturen und Programme, mit denen sich der Fußball auf sein jetziges Niveau entwickeln konnte, erarbeitet und konsequent umgesetzt. Die Nachwuchsarbeit, die Eliteschulen des Fußballs, sind heute etabliert unter ganz anderen finanziellen Voraussetzungen als wir sie in den olympischen und nichtolympischen Sportarten haben. Wir werden versuchen, davon zu lernen und zu profitieren.
Vor gut einem Jahr beklagten Sie, Herr Schimmelpfennig, in unserer Zeitung, das System stehe auf tönernen Füßen, weil es an guten Trainern fehle. Können Sie das nun ändern?
Schimmelpfennig: Wir haben Fortschritte gemacht. Auch wenn wir noch keine angemessene Bezahlung aller Trainer erreichen konnten, so besteht für Trainer nun zumindest die Möglichkeit, einen wissenschaftlichen Abschluss berufsbegleitend zu erwerben. Auch bei Trainern sollten wir duale Karrieren ermöglichen, um den Trainerberuf durch zusätzliche Perspektiven attraktiver zu machen.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 10. März 2015
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