
In Bitterfeld: Dr. Thomas Bach (lks.) - Kip Keino (m.) und Peter Junge (ganz rechts) ©Sabine Milde
Angewandte Sportpolitik – Laufen gegen den Hass – Michael Reinsch, Bitterfeld, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Michael Reinsch schreibt über Peter Junge, den Mann, der unerschütterlich an die Fähigkeit des Sports glaubt, Gutes zu bewirken. " Denn was liegt näher, als sie in den mehr als neunzigtausend Vereinen Deutschlands willkommen zu heißen, in denen sie beim Sport der Langeweile entfliehen" …
Online-Petition "Stoppt die DLV-Laufmaut"
Wir haben auf dieser Seite schon mehrfach auf Aktivitäten aufmerksam gemacht, wie z.B. daß der ASV Berlin Sport für Flüchtlinge anbietet und auch dafür Sportsachen sammelt, in Erding/Bayern wurden ebenfalls Sportsachen gesammelt und Flüchtlinge konnten am Lauftraining teilnehmen und dann am Stadtlauf offiziell sich beteiligen.
Der iWelt-Marathon gewährt fünf 16- bis 17-Jährigen Flüchtlingen aus Eritrea, Mali und Afghanistan heute einen Freistart bei ihrer Veranstaltung. Sie alle sind ohne Verwandte aus ihrer Heimat nach Deutschland geflohen und leben derzeit in einer Wohngruppe der evangelischen Kinder- und Jugendhilfe.
Es gibt sicherlich noch mehr nachahmenswerte Beispiele für eine Willkommenskultur in Deutschland im Laufsport, Peter Junge ist durch seine bisherigen Initiativen und Aktivitäten aber besonders hervorzuheben.
Horst Milde
Es ist ein Idyll, durch das der Radfahrer seine Gruppe führt. Auf der einen Seite glitzert ein See in der Sonne, auf der anderen herrscht das bunte Treiben von Yachthafen, Biergarten und Fahrradverleih. Entspannt traben die Läufer den Weg entlang.
Einige tragen Laufschuhe und Sportkleidung, andere Fußballschuhe mit Stollen, und manche rennen in Jeans und Lederschuhen. Unverkennbar, dass sie alle aus Afrika stammen. Unvermittelt ruft der Trupp im Chor: „Eine Bank!“, dann: „Zwei Enten!“ Der Grauhaarige auf dem Mountainbike gibt Tempo und Richtung vor und übt mit den Sportlern Vokabeln. „Männer!“, ruft er, wenn er sie anspricht.
Sie nennen ihn „Papa“.
Peter Junge, der Mann auf dem Rad, glaubt unerschütterlich an die Fähigkeit des Sports, Gutes zu bewirken. „Dies ist unsere Antwort auf Pegida“, sagte er, als er im Januar das Projekt vorstellte, Flüchtlingen Langlauftraining anzubieten. Er hätte auch Tröglitz erwähnen können, wenn damals schon der Bürgermeister aus Angst um seine Familie zurückgetreten wäre, wenn damals schon der Brandanschlag auf das Wohnheim für Asylbewerber stattgefunden hätte.
Denn was liegt näher, als sie in den mehr als neunzigtausend Vereinen Deutschlands willkommen zu heißen, in denen sie beim Sport der Langeweile entfliehen, während sie auf ihre Verfahren warten und keiner Arbeit nachgehen dürfen. Keine Sprachbarriere, keine Einstiegshürde steht ihnen im Weg, wenn ihr Tatendrang ein sportliches Ziel erhält.
Nichts einfacher als das, sollte man meinen. Noch dazu, wenn wie hier in Bitterfeld für Fremde wie für Einheimische gleichermaßen Neuland zu entdecken ist. Den Goitzschesee, Teil einer attraktiven Seenlandschaft mit Wasser, Strand und Naturschönheit, gab es vor einem Jahrzehnt noch nicht.
Die Läufer trainieren für den Goitzsche-Halbmarathon am 30. Mai.
Ihre Bühne, das geradezu spektakuläre Naherholungsgebiet, wird die Erinnerung an das volkseigene Chemiekombinat Bitterfeld mit seinem Gifthauch und an den Braunkohle-Tagebau, der die Natur in eine Mondlandschaft verwandelte, überstrahlen.
Die Läufer aus Afrika selbst sollen leichtfüßig den Eindruck überwinden, in der sachsen-anhaltinischen Provinz habe sich Fremdenfeindlichkeit verfestigt.
Doch so ganz scheint das nicht zu funktionieren. Nach dem kleinen Lauf am See spielen die asylsuchenden Sportler – endlich! – Fußball. Eine Schulklasse des örtlichen Gymnasiums lässt sich herausfordern. „Das ist unser erstes Spiel gegen Leute von hier“, sagt Feshehaye Asmelash, genannt Fisch. Er ist seit einem halben Jahr in Bitterfeld. Der 25-Jährige ist aus Eritrea geflohen, weil die Armee ihn einberief – zu einem Militärdienst, der Jahre und Jahrzehnte dauern und aus Zwangsarbeit auf Baustellen bestehen kann. Durch Sudan und die libysche Sahara erreichte er das Mittelmeer und gelangte auf lebensgefährlicher Passage nach Italien.
Auf der zweiten Hälfte des Laufes am See hatte Feshehaye alle anderen Läufer abgeschüttelt und deutlich gemacht, dass er, der Stärkste, sich beim Fußball für niemanden würde auswechseln lassen. Sport ist eine mächtige Sprache.
„Sie haben gut gespielt und uns die Hände gegeben“, lobt Feshehaye nach der Partie die Schuljungs. „Wir fühlen uns willkommen.“ Sport sei extrem wichtig für seine und seiner Landsleute Gesundheit und Glück in Bitterfeld, lässt er einen Freund übersetzen. „Wir sind hier ohne Familien und ohne Arbeit. Peter Junge ist der Einzige, der uns angeboten hat, Sport zu treiben.“
„Es fängt schon in den untersten Klassen an mit dem Gegrunze“
An vier Volksläufen haben Feshehaye und Teklit Habte teilgenommen, die beiden stärksten eritreischen Läufer in Bitterfeld. Erst seit einem Vierteljahr im Training, haben beide jeweils einen Wettbewerb über zehn Kilometer gewonnen. Als sie im März mit Erlaubnis der Ausländerbehörde beim Halbmarathon in der polnischen Stadt Sobótka (Zobten am Berge) mitliefen, war Feshehaye nach 1:27 Stunden im Ziel, auf Platz 135, und Habte immerhin die Nummer 664 unter fast viertausend Teilnehmern.
Junge schwärmt geradezu von seinen Talenten aus Ostafrika. Trotzdem berichtete er nach der Reise auf Facebook nicht nur von Freundschaft und Kameradschaft. „An alle, die uns geholfen haben, die uns helfen wollten, so getan haben, als hätten sie geholfen und auch an die, die nur Vorbehalte hatten“, lautet seine Nachricht, „wir sind wieder da und haben erfolgreich Bitterfeld-Wolfen vertreten!“
Über sein Verhältnis zu deutschen Läufern sagt Habte: „Speak problem.“ Anders als bei der Sprache sind die Verhältnisse beim Rennen deutlich. Solange die Jungs aus Eritrea hinterherliefen, habe jeder seinen Schrank für sie aufgemacht und Sportkleidung gespendet, erinnert sich Junge. „Seit sie vorneweg laufen, interessiert sich keiner mehr für sie.“ Aber wollen die Jungs nicht ohnehin lieber Fußball spielen?
Mag sein, erwidert Junge. Bei den Fußballvereinen seien vor allem Spieler vom Balkan gefragt. „Sie scheuen sich, Spieler zu holen, denen man so deutlich ansieht, dass sie Ausländer sind, wie Afrikaner“, vermutet Junge. „Es fängt ja schon in den untersten Klassen an mit dem Gegrunze und den Beleidigungen.“
„Wenn sie Sport treiben, passiert nichts“
Zum Halbmarathon in drei Wochen erwartet Junge als Ehrengast Kip Keino, den Weltrekord-Läufer aus Kenia, der bei den Olympischen Spielen von München 1972 die Goldmedaille im Hindernislauf gewann.
Der 70 Jahre alte ehemalige Boxer und frühere Parteisekretär des Sportclubs Halle und der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees von Kenia kennen sich, seit Junge sich für Opfer der bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen nach der Präsidentschaftswahl 2007 engagierte. Junge rettete zwei Burschen vom Hof der katholischen Kirche in Eldoret, wo sie Zuflucht gesucht hatten, gab ihnen in Bitterfeld Asyl und eröffnete ihnen eine Zukunft als Marathonläufer.
2010 organisierte er den Benefizlauf „von Luther zum Papst“ von Magdeburg nach Rom. Über sein Engagement für und sein Verzweifeln an Kenia drehte Knud Vetten den sehenswerten Dokumentarfilm „Sportfreunde“. Der Sohn des in den siebziger Jahren alleinerziehenden Peter Junge, Frank, ist Abgeordneter im Bundestag. Ehefrau Magdalena erteilt als Ein-Euro-Jobberin Flüchtlingen Deutschunterricht.
„Wenn sie Sport treiben, wenn sie in einer Gruppe bleiben“, sagt Junge, „passiert nichts.“ Um das Geld für den Busfahrschein zu sparen, gehen die jungen Männer aus Eritrea die rund sieben Kilometer von ihrem Wohnort Sandersdorf über Wolfen nach Bitterfeld zu Fuß, zurück ebenso. Aus fahrenden Autos würden sie dabei häufig rassistisch beschimpft, erzählt Habte. „Scheiß-Neger!“ und „Fuck You!“ bekämen sie da zu hören. „Bitterfeld is bad“, sagt Habte. „Nur Papa und seine Frau sind freundlich. Wir alle wollen hier weg.“
Gemedhin, der für Feshehaye übersetzt hat, stimmt zu. Praktisch alle jungen Männer der Stadt verhielten sich feindselig. Alle? Immer? Auch beim Fußball? „Nein“, korrigiert sich Gemedhin, „beim Fußball nicht.“
„Ansonsten können wir nur schlafen“
Inzwischen haben die Eritreer ein zweites Mal mit den Jungs vom Gymnasium gekickt. Als Bitterfeld zum Frühjahrsputz rief, zogen Junge und seine Männer mit blauen Müllsäcken durch die Stadt. Als ein Tischler die Plakathalter baute, auf denen beim Halbmarathon die 21 Kilometer angezeigt werden, gingen ihm die Eritreer zur Hand. „Arbeitseinsatz!“, ruft Junge dann, und seine Läufer wirken froh, beschäftigt zu sein.
Als vor zehn Tagen im Haus der Diakonie zum ersten Mal der Runde Tisch Integration tagte, hatte niemand daran gedacht, auch Asylsuchende einzuladen. Welch ein Glück, dass Junge und seine Läufer erschienen. „Wir haben zweimal in der Woche Deutschunterricht. Ansonsten können wir nur schlafen“, sagt Habte. „Das ist nicht gut. Es ist wichtig, dass Papa uns holt.“
Es sei schade, dass es Anfeindungen gebe, sagt Karamba Diaby. Es ist nicht übertrieben, ihn einen Experten zu nennen. Vier Jahre vor dem Fall der Mauer kam er zum Chemiestudium aus Dakar in Senegal nach Halle an der Saale, eine halbe Stunde westlich von Bitterfeld. 2013 zog er für die SPD in den Bundestag ein, nachdem er sich mehr als fünfzehn Jahre lang beruflich für interkulturelle Bildung und Integration engagiert hatte. Mitteldeutschland, seine Heimat, als Hochburg von Rassismus und Rechtsextremismus zu betrachten, sagt er, wäre übertrieben.
Die Beleidigungen und Anfeindungen, die der Mann mit schwarzer Hautfarbe vor zwei Jahren bei seiner Nominierung als Volksvertreter erhielt, seien aus ganz Deutschland gekommen. Da sei Bitterfeld nicht schlimmer als der Rest, aber auch nicht besser. „Wenn du die falschen Leute zur falschen Zeit am falschen Ort triffst“, sagt Diaby, „kann es dich erwischen.“
Lieber laufen, statt die Dinge laufenzulassen
Im Internet brüstet sich die angebliche Partei „Der III. Weg“ damit, dass „nationale Aktivisten“ mehrmals in Sandersdorf Flugblätter verteilt hätten. Dort leben die Flüchtlinge aus Eritrea. Sofern „die asozialen und multikulturellen Zustände“ nicht „radikal behoben“ würden, heißt es, könne nichts „den drohenden Volkstod“ verhindern.
Für die Polizei in Bitterfeld ist Ausländerfeindlichkeit kein Thema. Seit einem Brandanschlag von Rechten auf Linke seien die Extremisten miteinander beschäftigt. „Da spielen Ausländer keine Rolle“, sagt ein ranghoher Beamter. Strafanzeigen von Asylbewerbern lägen nicht vor, Flüchtlinge zu schützen, sei derzeit nicht notwendig. „Die größten Probleme mit Ausländern bestehen nach unserer Erfahrung in der Mülltrennung und der Lautstärke von Unterhaltungen.“
Die Wähler in Anhalt-Bitterfeld lassen sich in Berlin von einem weiteren Einwanderer vertreten. Kees de Vries ist vor reichlich zwanzig Jahren mit seiner Familie aus den Niederlanden in das Dorf Deetz im Landkreis Zerbst gezogen und hat dort einen Milchhof aufgebaut. In Zentren sozialen Unfriedens mit ihrer Arbeits- und Perspektivlosigkeit sei es schwierig, Akzeptanz für Fremde zu finden, sagt der CDU-Abgeordnete. Doch jeder wisse doch: „Niemand kriegt einen Happen Brot weniger.“
Er meint es gar nicht sportlich, wenn er sagt: „Wir müssen uns alle bewegen, um gesellschaftlich akzeptiert zu werden.“ Dennoch könnte dies das Motto für so einfache Beschäftigungen wie Sport sein.
Lieber laufen, statt die Dinge laufenzulassen.
Michael Reinsch, Bitterfeld, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 9. Mai 2015
Hier die Online-Petition zum Unterstützen gegen die DLV-LAUFMAUT:
Online-Petition "Stoppt die DLV-Laufmaut"
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