Blog
28
07
2015

Prof. Dr. Kuno Hottenrott (Department Sportwissenschaft Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Gründer und Leiter des Instituts für Leistungsdiagnostik und Gesundheitsförderung an der Universität Halle-Wittenberg und Präsident der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft, dvs) ©dvs

Aktuelle Situation im deutschen Spitzensport – Eine notwendige Diskussion – Kuno Hottenrott und Klaus-Michael Braumann in „Leistungssport“

By GRR 0

Bundesinnenminister Lothar de Maizière hat jüngst mehr Medaillen bei Olympischen Spielen gefordert. Deutschland, befände sich, so wurde der Minister zitiert, bei der Ausbeute "unter Niveau".

Mehr Leistung für gleiches Fördergeld? Medaillen als Währung? Noch mehr Zentralisierung?

Die Sportwissenschaftler und Sportmediziner Prof. Dr. Kuno Hottenrott (Department Sportwissenschaft Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Gründer und Leiter des Instituts für Leistungsdiagnostik und Gesundheitsförderung an der Universität Halle-Wittenberg und Präsident der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft, dvs) und Prof. Dr. Klaus-Michael Braumann (Ärztlicher Leiter des Instituts für Sport- und Bewegungsmedizin und Prodekan des Fachbereichs Sportwissenschaft der Universität Hamburg, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention, DGSP) haben sich intensiv mit der derzeitigen Lage auseinandergesetzt und geben Anregungen zur Veränderung.

Keine Frage, der deutsche Sport befindet sich in einer Krise.

In einem Diskussionbeitrag mit dem Titel "Aktuelle Situation im deutschen Spitzensport – Eine notwendige Diskussion" fordern die beiden renommierten Wissenschaftler eine Abkehr von eingefahrenen Traininigs- und Wettkampfkonzepten und Monopolen in der Leistungsforschung, eine Stärkung von wissenschaftlichen Institutionen und einen gezielteren und effizienteren Einsatz der Mittel.

Nur wenn man am Puls der Zeit sei, ist man vorne, betonen Prof Dr. Hottenrott und Prof. Dr. Braumann. Als gutes Beispiel führen sie unter anderem das Vorbild der US-Colleges an.

Der in der Fachzeitschrift "Sportwissenschaft aktuell" veröffentlichte "First Online" Artikel ist Resultat aus jahrelanger Erfahrung im Leistungssport und der Vertrautheit mit den Hintergründen. Er ist eine Zusammenfassung aus vielen Gesprächen mit Athleten, Trainern, Sportfunktionären und Wissenschaftlern.
 
Prof. Dr. Kuno Hottenrott unter kuno.hottenrott@sport.uni-halle.de, 0345-5524421, und Prof. Dr. Michael Braumann unter braumann@uni-hamburg.de, 040-428386339/3599 

Ausgangssituation
Der deutsche Sport befindet sich in einer Krise: Obwohl jährlich über 250  Mio. Euro in den Leistungssport fließen, werden die erwarteten Erfolge immer weniger. Zunehmend wird von Seiten der Politik die fehlende Effizienz der eingesetzten Mittel moniert, zuletzt von Innenminister de Maizière.

Auch der Bundesrechnungshof hat Ende 2014 eine fehlende Transparenz der Förderungsmaßnahmen des Spitzensports angemahnt. Innerhalb des Sports gibt es verschiedene Überlegungen, wie die Schieflage korrigiert und deutsche Sportler wieder in die Erfolgsspur zurückgeführt werden können. Dabei steht u. a. auch die Effizienz der bisherigen wissenschaftlichen Unterstützung des Leistungssports auf dem Prüfstand.

Eine Forderung verlangt nun eine weitere Verstärkung einer bereits im deutschen Sport seit langem bestehenden Zentralisierung auch im Bereich der wissenschaftlichen Unterstützung bis hin zu der Idee, die gesamte Förderung sportwissenschaftlicher Forschung ausschließlich nur noch über eine einzige Einrichtung, das Institut für angewandte Trainingswissenschaften (IAT) in Leipzig, laufen zu lassen.

Wir halten derartige Überlegungen mit einer weiteren Zentralisierung für kontraproduktiv und sehen in den im Folgenden aufgeführten Feldern Veränderungsbedarf.

Unzureichende Individualisierung des TrainingsTraining ist ein komplexer Prozess, der
auf systematischer Planung, Ausführung und Evaluation von einer Vielzahl von Maßnahmen basiert und im Spitzensport auf eine maximale Ausschöpfung des individuellen Leistungspotenzials zielt. Die unterschiedlichen Leistungsvoraussetzungen (z. B. genetische
Anlagen) und Entwicklungsverläufe von  Sportlern sowie die verschiedenen Rahmenbindungen zum Trainieren erfordern individuelle Trainingsvorgaben für den kurz-, mittel- und langfristigen Leistungsaufbau.

Erfolgreiches Training wird dadurch verkompliziert, dass verschiedene Sportler auf gleiche Trainingsreize unterschiedlich reagieren. Dasselbe Training kann bei einem Sportler zu einer deutlichen Verbesserung der Leistungsfähigkeit führen, bei einem anderen dagegen in einen Zustand schwerer Überlastung bis hin zum Übertraining. Deshalb ist eine individuelle Anpassung der Trainingsbelastung an die individuelle Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit eine zentrale Voraussetzung für ein erfolgreiches Training.

Seit Jahren wird immer wieder kritisiert, dass genau dieses Grundprinzip zu wenig berücksichtigt wird und die von vielen Fachverbänden gemachten zentralen Vorgaben zum Training zu starr nach den Kriterien einer wahren Lehreerfolgen. Damit findet die komplexe Leistungsstruktur und individuelle Situation jedes Athleten zu wenig Berücksichtigung (vgl. Langfristig strategisches Forschungsprogramm für das Wissenschaftliche Verbundsystem im Leistungssport 2008–2016).

Das für diese Vorgaben u.a.zuständige IAT mit über 120 hauptamtlichen Mitarbeitern sowie die Fachverbände definieren in fast dogmatischer Form bestimmte Trainingsinhalte und Trainingszyklen (z. B. Trainingslager), deren Umsetzung als „Rahmentrainingsplan“, nahezu gesetzesähnlich verwirklicht werden soll.

Mangelnder Erfolg wird nahezu reflexartig mit einer Forderung nach mehr Training beantwortet. Wer sich diesen Vorgaben nicht unterwirft, hat mit Repressalien bis hin zum Verlust seiner Kaderzugehörigkeit zu rechnen. IAT und Verbände berufen sich dabei auf bestimmte, angeblich wissenschaftlich begründete Grundprinzipien, die in der
sportwissenschaftlichen Welt durchaus nicht unumstritten sind.

Eine systematische Analyse der Aussagen der Ergebnisse der seit über 20 Jahren vom oder unter der wissenschaftlichen Leitung des IAT in zahlreichen Sportarten zentral durchgeführten sog. komplexe Leistungsdiagnostiken(KLD) in Bezug auf ihre Relevanz zur Leistungsprognose oder die Leistungsentwicklung und Trainingssteuerung steht bisher aus.

Vom scheidenden Direktor des IAT wurde auf dem IAT-Symposium am 14. April 2015 selbstkritisch geäußert: „Wir haben unendlich viele Daten in 23 Jahren gewonnen, lasst
uns auch mal was mit diesen vielen Daten tun.“

In der Tat: KLD machen nur dann Sinn, wenn mit dem Datenmaterial nachfolgend auch wissenschaftlich gearbeitet  wird und auch Bereitschaft besteht, bestimmte Schlussfolgerungen daraus abzuleiten.

Kuno Hottenrott  und Klaus-Michael Braumann in Leistungssport –  Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015

Lesen Sie bitte den vollständigen Beitrag: "Aktuelle Situation im deutschen Spitzensport. Eine notwendige Diskussion" in der unten anhängenden pdf:

 

Themengleich:

Forderungen von de Maizière Angriff auf die Vielfalt des Spitzensports – Anno Hecker und Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Hier die Online-Petition zum Unterstützen gegen die DLV-LAUFMAUT: 

Online-Petition "Stoppt die DLV-Laufmaut"

German Road Races e.V. (GRR) auf facebook:
https://de-de.facebook.com/germanroadraces

German Road Races e.V. (GRR) auf twitter:
https://twitter.com/germanroadraces  

 

author: GRR

Comment
0

Leave a reply