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„Dort, wo Thomas ist, bin ich auch“, sagt Tatjana Pinto über ihren Trainer. - 2019 World Outdoor Championships Doha, Qatar Sept27-Oct 06, 2019 Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-291-3409 www.photorun.NET #victahsailer

Ärger in der Leichtathletik: Eine Sprinterin auf Kollisionskurs – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Sprinterin Tatjana Pinto läuft für einen neuen Verein und verlässt ihren alten im Streit.

Ihren Trainer will sie jedoch behalten – und der ist in ihrer sportlichen Heimat Paderborn. Kann das gutgehen?

Eine der schnellsten Frauen Deutschlands scheint, mit voller Kraft, auf Kollisionskurs zu sein. Tatjana Pinto, bei den Olympischen Spielen von Tokio bis ins Halbfinale des 100-Meter-Laufs gesprintet und mit der Staffel auf Platz fünf, geht die Saison 2022, in der sowohl Weltmeisterschaft (Eugene/Oregon) als auch Europameisterschaft (München) bevorstehen, in neuem, blauen Trikot des TV Wattenscheid an.

Im Streit verlassen hat sie den LC Paderborn, seit einem halben Dutzend Jahren ihre sportliche Heimat. Mangelnde Wertschätzung, fehlende Unterstützung und schließlich Behinderungen im Training beklagt die Sprinterin. Erst wenige Wochen ist es her, dass auf der Bahn, die sie fürs Training gebucht hatte, eine Schulklasse mit Kettcars herumfuhr. Dies war nicht die erste Störung dieser Art.

Tatjana Pinto vermutet System dahinter.

Zum Eklat kam es bei der Mitgliederversammlung des LC Paderborn. Da wurde sie aufgerufen, zur Ehrung nach vorn zu kommen, doch sie tat keinen Schritt dem Blumenstrauß entgegen. Er gebühre ihrem Coach, sagte sie und rührte sich nicht. Trainer Thomas Prange verweigerte ebenfalls. Nicht überraschend. Vor Tokio hatte er Post vom Verein bekommen – statt der Gratulation zur dritten Olympia-Qualifikation seiner besten Läuferin enthielt der Umschlag eine Abmahnung wegen vereinsschädigenden Verhaltens.

Der örtlichen Zeitung sagte der Vorsitzende, sein Verein brauche keine Söldner mehr, die das Trikot nur des Geldes wegen trügen. Tatjana Pinto nimmt das, kaum überraschend, persönlich. Sie erwägt rechtliche Schritte.

Auf dem Papier in Wattenscheid

Den Schritt nach Wattenscheid aber, 130 Kilometer nach Westen, vollzieht sie nicht wirklich. Dabei könnte man die Pressemitteilung so verstehen, in der Tatjana Pinto schwärmt, der Wechsel sei ein Neuanfang, „wie aus dem Frühling in den Sommer zu kommen“. Athletin und Trainer haben tatsächlich schon längst mit der Saisonvorbereitung begonnen – in Paderborn.

„Dort, wo Thomas ist, bin ich auch“, sagt Tatjana Pinto über ihren Trainer. Die Zeit, in der sie auf Jamaika bei Stephen Francis trainierte, dem Coach der Olympiasiegerinnen Elaine Thompson und Shelly-Ann Fraser-Pryce, dass sie in Florida zur Gruppe von Rana Reider stieß mit den Olympiasiegern Tianna Bartoletta, Christian Taylor und Omar McLeod, ist vorüber. Mit Reiders Trainingsgruppe war sie 2019 aus Jacksonville nach Europa gewechselt – ausgerechnet nach Wattenscheid. Nun ist sie Wattenscheiderin, doch sie scheint gekettet an Paderborn. Ohne ihren Coach gehe sie nirgendwo hin, sagt sie. Prange will dort aus familiären Gründen nicht weg.

Beim Deutschen Leichtathletik-Verband waren sie zwischenzeitlich so besorgt um die Kurvenläuferin ihrer Olympia-Staffel, dass sie für deren Trainingszeit auf der Paderborner Bahn Miete zu zahlen bereit waren. Das ist nun doch nicht nötig.

Die Anlage ist Landesstützpunkt der Leichtathleten, und obendrein gehört zum Erbe des Computer-Pioniers Heinz Nixdorf die kostenfreie Nutzung des riesigen Ahorn-Sportparks für jedermann.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 25. November 2021

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

author: GRR