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10
08
2025

Symbolbild - Foto: Victah Sailer

Abschied vom Hochleistungs sport – sport-nachgedacht.de – Prof. Dr. Helmut Digel

By GRR 0

„Neue Weltordnung, digitales Zeitalter, Künstliche Intelligenz, Disruption, Klimakatastrophe, Artensterben, Erderwärmung, Wirtschaftskrise, Aufrüstung, Rassismus, Faschismus, Feminismus“.

Die Liste der Schlagworte und „Ismen“ scheint endlos zu sein, will man die Situation unserer Welt beschreiben, die ganz offensichtlich aus den Fugen geraten ist.

Das so erfolgreiche Modell der Demokratie, das seinen Ursprung am Ende des 18. Jahrhunderts in Nordamerika hatte und sich nahezu über die gesamte Welt ausbreiten und sich über mehr als zwei Jahrhunderte als sehr erfolgreich bewähren konnte, befindet sich in einem Überlebens- und Konkurrenzkampf mit anderen staatlichen Systemen, die in immer mehr Nationen und Gesellschaften dieser Welt angetroffen werden können.

Im Modell der Demokratie selbst konkurrieren Zwei- Parteiensysteme mit Mehr- Parteiensystemen. Ihnen stehen Ein- Parteiensysteme, Diktaturen mit und ohne Parteien, Monarchien, Militärdiktaturen etc. gegenüber. Im Mutterland der Demokratie in den Vereinigten Staaten von Amerika ist ein Politikmodell im Entstehen, bei dem eine begrenzte Anzahl von Oligarchen und Superreichen die Geschicke einer Nation bestimmen. Die USA mit ihrem Präsidenten Trump gleicht dabei immer mehr dem Staatsgebilde von Russland unter dessen Präsident Putin.

Demokratie auf dem Rückzug

Folgt man dem „Democratic Index“ (The Economist), so befindet sich das Modell der Demokratie auf dem Rückzug. Wohl sind demokratische Strukturen noch in 45,7 % der Staaten anzutreffen, den Status einer vollständigen Demokratie erreichen allerdings nur noch 7,8 %. Diktatoren und autoritäre Regime sind mit 39,4 % ausgewiesen und ihre Zunahme im vergangenen Jahr betrug 2,5 %. Immer mehr hat es den Anschein, dass Demokratien nicht am Volk, sondern an bestimmten Eliten zu Grunde gehen, die die Autokratisierung bewusst ermöglichen, weil sie sich Vorteile versprechen. Die autokratischen Akteure [1]des 21. Jahrhunderts sind dabei alle gleichzeitig auch Kleptokraten.

In den USA spielt dabei auch eine „Wahnvorstellung von einem weißen, fundamentalchristlichen Amerika“ eine fatale Rolle. Unter Trump haben Fanatiker freie Bahn und es zeigt sich schon heute, dass der Schaden, der dabei angerichtet werden kann, unermesslich groß sein wird.

Weltweit ist eine Zunahme nationalistischer Bewegungen zu beobachten. Ausgrenzung und Abgrenzung scheinen in vielen Gesellschaften das Gebot der Stunde zu sein. Die positiven Errungenschaften eines über mehr als ein Jahrhundert andauernden Globalisierungsprozesses werden infrage gestellt und über Bord geworfen. Ausgerechnet das größte Land der Europäischen Union stellt mit seiner Migrationspolitik das Schengen-Abkommen infrage, ein Meilenstein der internationalen Kooperation, obwohl es am meisten von diesem Abkommen profitiert hat.

Das Prinzip der internationalen Kooperation soll durch das „Prinzip der abgeschlossenen Großräume“ abgelöst werden. Kleinere Staaten werden als Beute-Opfer angesehen. Eine neue Weltordnung ist im Entstehen. Die derzeitige De-Globalisierung bedeutet einen Rückfall in den Hochimperialismus.

Das Völkerrecht existiert nur noch auf dem Papier. Internationale Abkommen werden vermehrt aufgekündigt. Universell geltende Menschenrechte werden immer häufiger infrage gestellt. Das Recht auf Asyl wird selbst in einem Land wie Deutschland aufgeweicht, in dem dessen jüdische Bürgerinnen und Bürger während des Nationalsozialismus das Asylrecht intensiv in Anspruch nehmen mussten, oder es wird infrage gestellt oder gar ganz beseitigt. Antisemitismus ist immer häufiger zu beobachten.

Gleiches gilt für den Antiislamismus. Ausländer werden in erwünschte und unerwünschte aufgeteilt. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass der Barbarei immer eine Barbarisierung der Sprache vorausgeht. Trotzdem wird im Deutschen Bundestag über ein „Zustrombegrenzungsgesetz“ debattiert, ohne dass sich der Antragsteller dieses Antrages bewusst ist, dass er sich dabei des sprachlichen Repertoires des europäischen Faschismus bedient und Migrantinnen und Migranten grundlegend entmenschlicht. Das für das Abendland typische Gebot der Nächstenliebe wird belächelt. Pazifisten werden diskriminiert. Anstelle einer Verteidigungspolitik ist eine Politik der Kriegstüchtigkeit getreten. Die Waffenindustrie hat Hochkonjunktur.

Galt in den sich selbst als fortschrittlich zu bezeichnenden westlichen Demokratien die Anerkennung eines dritten Geschlechts der LBGTQ- Bewegung als eine demokratische Errungenschaft des 21. Jahrhunderts und als eine Erweiterung der Freiheitsrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger, so werden nun in immer mehr Nationen sog. Trans-Menschen verfolgt, Schwule und Lesben diskriminiert, gleichgeschlechtliche Ehen unter Strafe gestellt. Gleichzeitig wird in immer mehr Staaten die künstliche Befruchtung legitimiert und mittels KI und genetischer Forschung an der Optimierung des Menschen gearbeitet.

Die Selbstoptimierung des Menschen zeigt sich uns nahezu täglich in neuen Varianten. Auf TikTok und Instagram wird das Schlafen mit „Mouth Tape“ propagiert. Einer der Superreichen kann entscheiden, welche Krankheiten auf der Welt bekämpft werden sollen und wie Impfstoffe zu verteilen sind. In immer mehr Laboren wird an der genetischen Optimierung des Menschen gearbeitet.

Parallel dazu findet in den sozialen Medien mittels Podcasts und Talkshows ein Kulturkampf statt, in dem die Vertreter konservativer, nationalistischer und reaktionärer Werte immer häufiger gewinnen. Die Freiheit von Lehre und Forschung ist weltweit gefährdet. Massenmediale ideologische Einflussnahmen stellen eine unabhängige und freie Berichterstattung in den Medien immer häufiger infrage.

Wachsende Ungleichheit

Nicht nur die Welt ist aus den Fugen geraten, sondern auch deren Werteordnung. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weltweit immer weiter auseinander. Waren es 1995 470 $ Milliardäre, so gibt es im Jahr 2024 bereits 2800 US-Dollar Milliardäre, deren Gesamtvermögen in 30 Jahren von 0,9 auf 14,2 Billionen $ gestiegen ist. Dabei wächst die Anzahl der Superreichen stetig an. Im Silicon Valley gibt es bis in die vierte Managementebene eines Unternehmens wie Apple immer mehr Millionäre.

In Deutschland besitzen die 45 reichsten Haushalte so viel wie eine gesamte Hälfte der übrigen Bevölkerung. Weltweit wächst die Finanzkraft derer, die über riesige Vermögen verfügen und das Kapital für sich arbeiten lassen. Einer Studie der Boston Consulting Group zufolge besaßen 2024 3300 Superreiche in Deutschland 23 % des gesamten Vermögens. Superreich ist dabei jener, der mindestens über 100 Millionen $ verfügt.

Die verschiedenen Lebenswelten der Menschen driften immer weiter auseinander. Besonders bedrohlich ist dabei die Kluft zwischen den Superreichen und der Mittelschicht, die ebenfalls ständig größer wird.

Von den Privilegierten und von jenen, denen es in vieler Hinsicht sehr gut geht, werden selbst die vereinbarten Mindestlöhne infrage gestellt. Vom Bürgergeld oder von einem garantierten Mindesteinkommen darf schon gar nicht mehr die Rede sein. Gleichzeitig werden Monatslöhne von 2 Millionen Euro von Fußballstars akzeptiert, deren Wochenarbeitszeit  gerade einmal 20 Stunden beträgt.

Die „Reichen“ sind in der Lage für eine Übernachtung in einer Hotel Suite im Münchner Hotel „Vier Jahreszeiten Kempinski“ 30.000 € und mehr pro Nacht zu bezahlen. Es ist vermutlich kein Zufall, dass ausgerechnet in diesem Hotel jedes Jahr die Sicherheitskonferenz stattfindet und gleichzeitig in der unmittelbaren Nachbarschaft durch Gentrifizierungsprozesse der großen Mehrheit von Bürgerinnen und Bürgern ihr Lebensraum beschnitten wird.

Mit der Welt, die aus den Fugen geraten ist, sind auch die wichtigsten funktionalen Systeme dieser Welt von der Gefahr der Disruption und substanziellen Gefährdung betroffen. Dies gilt in ganz besonderen Maßen für das System der Wirtschaft, der Wissenschaft und für das Bildungssystem. Den sozialen Medien ist es geschuldet, dass vor allem auch das System der Massenmedien ganz intensiv davon betroffen ist.

Gleiches gilt für das System des Sports, das für mich aus naheliegenden Gründen von besonderer Bedeutung ist. Ihm soll deshalb im Folgenden eine erhöhte Aufmerksamkeit zukommen.

„Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, Gewalt, psychische und physische Gewalt, „Enhanced Games“, „E – Olympische Spiele“, „Club WM“, „Transathleten“, Doping, Geldgier, Sportmilliardäre, Korruption, Wettbetrug“.

Die Schlagworte, mit denen die derzeitige Sportentwicklung gekennzeichnet wird, gleichen jenen, die eingangs für eine aus den Fugen geratene Weltordnung benannt wurden.

Sexueller Missbrauch

Das sportliche Handeln, das Spielen und sich Bewegen wurde zu Recht in allen bestehenden öffentlichen Bildungssystemen aufgenommen und mit der Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen in Leibes- und Sporterziehung werden gesellschaftspolitisch bedeutsame Ziele verfolgt. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als skandalös, dass ausgerechnet im Sport in den vergangenen Jahrzehnten immer häufiger sexueller Missbrauch zu beobachten war, durch den unendliches Leid bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen entstanden ist.

Leider muss – wie jüngste „Aufdeckungen“ belegen – davon ausgegangen werden, dass dies auch heute noch geschieht. In den Organisationen des Sports war und ist dieser Missbrauch schon seit vielen Jahrzehnten bekannt, ohne dass wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen wurden. Gleiches gilt für die staatlichen Bildungssysteme. Teilweise wurde sogar ein offener Diskurs verhindert, obgleich hinter vorgehaltener Hand überall über diesen Missbrauch gesprochen wurde.

Physische und psychische Gewalt

In jüngster Zeit wird nun sehr intensiv über einen Missbrauch durch Pädagogen und Trainer gegenüber ihren Schützlingen – insbesondere im Hochleistungssport gesprochen, bei dem physische und psychische Gewalt angewandt wurde und noch immer wird. Dies wird zu Recht an den Pranger gestellt. Kinder und Jugendliche sind dieser Gewalt in bestimmten Sportarten sowohl beim Training und teilweise auch bei Wettkämpfen ausgesetzt.

Diese Diskussion ist jedoch von einer inakzeptablen Heuchelei geprägt, wobei sich nun plötzlich alle Beteiligten an den beklagten Sachverhalten in ihrer Empörung zu übertreffen versuchen. In vorderster Reihe steht dabei die Politik, gleiches gilt aber auch für die Sportorganisationen. Eine ganz besondere Form von Heuchelei ist auch bei den betroffenen Athletinnen und Athleten anzutreffen. Solange sie noch sieg- und erfolgreich waren, haben sie Ruhm und Ehre gemeinsam mit ihren Trainerinnen und Trainern und nicht selten auch mit ihren Funktionären gefeiert – und geschwiegen.

Nun werden einzelne Sündenböcke gesucht, obwohl eigentlich alle wissen konnten, dass die zu beklagende physische und psychische Gewalt in den Sportarten, von denen hier die Rede ist, im System dieser Sportarten angelegt ist, seitdem die früher üblichen Altersregelungen in diesen Sportarten von den nationalen und internationalen Sportverbänden aufgehoben wurden. Mit der Verlagerung der Teilnahme immer jüngerer Jahrgänge und damit auch des sportartspezifischen Trainingsbeginns für Kinder und Jugendliche, die in dieser Altersphase mit der Bewältigung der Geschehnisse meist überfordert sind, wurde die nun beklagte „strukturelle Gewalt“ in diesen Sportarten bewusst in Kauf genommen.

Hinzukam, dass man sich seitdem weltweit bestimmter Trainingsmethoden bedient, wie sie in totalitären Systemen entwickelt wurden, wie sie dort weiter gehandhabt werden und wie sie aber auch von den liberal-demokratischen Sportnationen hemmungslos übernommen wurden, ohne sich der Folgen zu stellen, die dadurch entstanden sind. Die Rhythmische Sportgymnastik, das Kunstturnen wie es bei den Olympischen Spielen präsentiert wird, aber auch einige weitere olympische Sportarten haben sich mit ihren Anforderungen zur Erreichung erwünschter Höchstleistungen in den vergangenen Jahrzehnten in einer Weise verändert, dass für die von den Zuschauern erwünschte und erwartete spektakuläre „Show“ Trainingsformen und zeitliche Trainingsumfänge vorausgesetzt werden müssen, die unter ethischen Gesichtspunkten nur als unmenschlich bezeichnet werden können.

Die Grundlage für die erwünschte Show ist Kinderarbeit, die zu Recht in der UN- Menschenrechtskonvention verboten ist. Die derzeit zur Diskussion gestellten Trainingsmethoden mit Kindern und Jugendlichen sind schon seit mehr als vier Jahrzehnten weltweit bekannt und werden in allen Leistungssportnationen in gleicher Weise angewendet. Es ist ärgerlich, wenn sich nun einstmals erfolgreiche Spitzenathleten und Spitzenathletinnen gegen ihre ehemaligen und heutigen Trainer stellen.

Von einer Mündigkeit dieser Athleten kann dabei gewiss nicht die Rede sein. Denn wären sie mündig, hätten Sie ihre Beschwerden bereits während ihrer aktiven Karriere vorgetragen. Doch da sie nicht mündig waren, weil sie Kinder und Jugendliche waren, stellt sich die Frage nach der Verantwortung der Eltern, die dieses Training zugelassen haben. Es stellt sich die Frage nach der Verantwortung der Trainer, der Pädagogen, der Bildungseinrichtungen und der Sportverbände.

Stellt man sich diesen Fragen, so hat man sich zu entscheiden, ob man sich eine Sportart wie Rhythmische Sportgymnastik, Kunstturnen, Eiskunstlaufen, Turmspringen etc. wünscht, die auch von Erwachsenen ausgeübt werden kann, an deren Ausübung jedoch kein mediales Interesse besteht, oder ob man weiter diese Sportarten als Show, als Teil einer Unterhaltungsindustrie, betreiben möchte. Allein mit einer Regeländerung, dass erst nach dem 18. Lebensjahr eine Teilnahme an internationalen Wettkämpfen zugelassen ist, könnte man den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in aller Entschiedenheit Einhalt gebieten.

Die Digitalisierung hat mittlerweile alle Lebensbereiche erreicht, und mit den sozialen Medien sind neue Lebensformen entstanden, die in ihrer Vielfalt kaum noch zu übertreffen sind. Von der Digitalisierung sind vor allem Kinder und Jugendliche betroffen und ihre Spielkonsolen, die ihre häusliche Spielwelt prägen, und ihre Tablets und Smartphones, mit denen sie mit der Welt kommunizieren, sind längst zu einer pädagogischen Herausforderung geworden.

Suchtverhalten wird beklagt und in einigen Ländern werden, bzw. wurden bereits Smartphone-Verbote im öffentlichen Schulwesen beschlossen. In anderen werden sie noch immer diskutiert. Die Welt der Computer und die rasant steigende Zahl neuer KI-Programme sind Fluch und Segen zugleich. Die Welt des Sports ist mittlerweile von beidem betroffen.

„E-Sport“ des Geldes wegen

Bisher zeichnete sich das Sporttreiben in erster Linie durch Üben und Trainieren körperlicher Fähigkeiten wie Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer und Beweglichkeit und durch die Teilnahme an großmotorischen Leistungsvergleichen aus. Seit geraumer Zeit hat sich jedoch neben dieser „Welt“ eine neue „E-Sportwelt“ aufgebaut, deren “Träger“ und „Regelgeber“ die weltweit agierende „Games Wirtschaft“ ist. In Deutschland wird diese „Neue Welt“ längst auch durch die Bundesregierung und durch einzelne Landesregierungen finanziell umfangreich gefördert.

Von Seiten der Politik ist sogar schon die Unterstützung der „Gamer“ bei der Zuerkennung der Gemeinnützigkeit zugesagt.  Den aus meiner Sicht fragwürdigsten Schritt in dieser Richtung hat dabei das IOC bereits begangen, indem es die Durchführung von „Olympischen E-Spielen“ beschlossen hat und deren erste Austragung in Saudi-Arabien stattfinden soll.

Die Frage, was Sport ist, was Sport für unsere Gesellschaft leisten soll, was mittels Sport verhindert bzw. gefördert werden soll, ist damit neu zu stellen und zu beantworten. Meine eigene Auffassung, dass man Kinder und Jugendliche gerade angesichts der digitalen Beeinträchtigung ihrer Lebenswelt zu einem aktiven, sich selbst Bewegen, zum Sporttreiben in einer sozialen Gemeinschaft, zum Trainieren und zum Leisten in freiwillig ausgewählten Sportarten anleiten sollte und ihnen die notwendigen Bewegungs- und Spielräume zur Verfügung zu stellen hat, kommt dabei immer mehr in die Defensive.

Unter Medizinern besteht ein Konsens, dass man adipösen Kindern und Jugendlichen dringend die Ausübung von Sport zu empfehlen hat. An E-Sport haben Sie dabei ganz gewiss nicht gedacht. Denn neben falscher Ernährung sind es ja die digitalen Medien, die ursächlich an der Zunahme von Adipositas unter Kindern und Jugendlichen beteiligt sind.

„Enhanced Games“

Von E- Olympischen Spielen ist es nicht mehr weit zu den so genannten „Enhanced Games“, die ein wissenschaftlich irre geleiteter Milliardär gemeinsam mit der Unterstützung von einem amerikanischen Präsidentensohn in den nächsten Jahren durchführen möchte. Der Optimierung des Menschen soll dabei Tür und Tor geöffnet werden. Doping soll dabei nicht verboten, sondern bewusst und gezielt erlaubt sein. Sport soll zum internationalen Wettkampf der Pharmaindustrie mit allen damit verbundenen Perversionen weiterentwickelt werden.

Auch hier zeigt sich, dass die Geldgier, die sich im System des Sports schon seit langem pandemisch ausgebreitet hat, eine zentrale Rolle spielt – da spielen dann auch ungeheure biologische Experimente mit Menschen keine Rolle mehr, sie sind vielmehr zunächst zur Erreichung neuer Rekorde erwünscht. Dabei geht es jedoch vorrangig um die Erschaffung eines neuen „Supermenschen“!

Werteverfall

In dem aus den Fugen geraten System des Weltsports, hat sich ganz offensichtlich ein Werteverfall ereignet, der wohl kaum noch aufzuhalten ist. Exzellenz, Respekt vor dem Gegner, Solidarität, Freundschaft zwischen Menschen und Völkern und der Verzicht auf jegliche Form von Diskriminierung sind die menschlichen Werte, die man sich für den Sport erhofft und erwünscht. Aus meiner Sicht befindet sich jedoch das System des Sports auf einem Weg zur Selbstzerstörung, die durch die Geldgier der Beteiligten vorangetrieben wird. Im Zentrum des Werteverfalls steht dabei ausgerechnet jener Wert, der konstitutiv für das System des Sports sein sollte: Das Fair Play Prinzip.

Bedrohung des Fair Play Prinzips

Seit den Anfängen des modernen Sports ist das Prinzip des Fair Play konstitutiv, wenn der Sport als besonderes unterstützenswertes Kulturgut in den Gesellschaften dieser Welt gelten soll. Doch leider ist seit seinen Anfängen ein bis heute andauernder Sündenfall zu beobachten, indem dieses Prinzip durch fremde Interessen infrage gestellt und damit der Bestand des Systems des Sports gefährdet wird. Dies wird vor allem deutlich, wenn man die zwei wichtigen Merkmale beachtet, durch die sich das Fair Play Prinzip auszuzeichnen hat.

Ein fairer, sportlicher Wettbewerb muss für die Beteiligten gerecht sein und jene, die an dem Wettkampf teilnehmen, sollten möglichst über gleiche Chancen verfügen. Deshalb wurden Leistungsklassen und Gewichtsklassen eingerichtet. Die bei den Wettkämpfen notwendigen Sportgeräte sind in Form und Größe für sämtliche Wettkämpfe über sie definierende Regeln schriftlich festgelegt. Zur Sicherung des Fair Play Prinzips sind in manchen Sportarten Regelwerke im Umfang von mehreren 100 Seiten entstanden, die in ihrer Detailliertheit kaum noch zu übertreffen sind.

Dennoch hat das Fair Play Prinzip immer mehr an Steuerungsqualität verloren. Es wird immer häufiger infrage gestellt. Ursache hierfür sind die modernen Wissenschaften, allen voran die Ingenieurswissenschaften und Materialwissenschaften, die mit ihrem ständigen Optimierungsbemühen sich sehr früh bereits auch auf den Sport ausgerichtet haben, bzw. hat sich der Sport immer intensiver um deren Hilfe bemüht. Auf diese Weise wurde das Prinzip der Chancengerechtigkeit und Chancengleichheit nahezu völlig außer Kraft gesetzt.

Für mich liegt hier der zentrale Sündenfall des modernen Leistungssports, dem man allerdings mit einer konsequenten Regelpolitik entschieden begegnen könnte, wenn man dazu die notwendigen Mehrheiten findet und wenn es erwünscht wäre.

Fragwürdige Umwelt des Hochleistungssports

Wenn erwünscht ist, dass nicht Materialwissenschaftler, Physiologen, Pharmakologen, Biomechaniker, Ingenieure etc., sondern der Athlet oder die Athletin im Zentrum des sportlichen Wettkampfes zu stehen hat, dann müsste man alles dafür tun, dass im internationalen Hochleistungssport diese fragwürdige Umwelt der sportlichen Höchstleistung auf den Prüfstand und in Frage gestellt wird.

  • Ist es nicht lächerlich, wenn seit Jahren beim Skispringen über die erlaubte Weite der Sprunganzüge debattiert wird und ein technischer und finanzieller Aufwand erforderlich ist, um erlaubte und unerlaubte Skikleidung zu unterscheiden?
  • Welche Vorbildwirkung hat ein Skisport, wenn bei jedem Weltcuprennen eine kostenintensive Materialschlacht stattfindet und Präparierung und weitere technologische Hilfen ganz wesentlich darüber mitentscheiden, wer ein Skirennen gewinnt?
  • Was bedeutet es für die Athletinnen und Athleten, wenn Sportwissenschaftler, Materialwissenschaftler und Sportmediziner in ihren Sportarten öffentlich ihren Anteil an den jeweiligen sportlichen Erfolgen herausstellen?
  • Wie chancengleich ist der Bobsport, wenn über den Bau der Sportgeräte die teuren Testreihen im Windkanal von großen Industrieunternehmen mitentscheiden? Gleiches gilt für die Ruder- und Kajakrennboote.
  • Wie chancengleich sind olympische Sportarten, in denen Sieg und Niederlage ganz wesentlich von der finanziellen Unterstützung und vom Niveau der wissenschaftlichen Vorbereitungs- und Begleitleistungen abhängt? Welche Chancen haben dabei Athleten aus ärmeren Nationen, in denen diese unterstützenden Strukturen nicht existieren oder nicht finanziert werden können?
  • Wie verträgt sich die „Geheimforschung“ im Hochleistungssport mit dem Prinzip der freien und offen zugänglichen Wissenschaft und dem Austausch der Erkenntnisse in einer „scientific community“?
  • Warum werden bei nationalen und internationalen Sportwettkämpfen in jeder Wettkampfsaison nicht allen Athleten die exakt gleichen Sportgeräte zur Verfügung    gestellt? Warum werden bei Reit-Turnieren nicht jeweils die Pferde ausgelost? Warum versucht man nicht dasselbe bei der Tour de France, indem allen Athleten gleiche Fahrräder zur Verfügung gestellt werden?
  • Warum werden bei den Leichtathletikwettkämpfen nicht allen Teilnehmern vom Veranstalter dieselben Speere, gleichen Stäbe, Hämmer und Disken für ihren Leistungsvergleich bereitgestellt, anstelle der heute üblichen individuellen Materialvielfalt, der ein fragwürdiges Kosten- und Transportproblem zu Grunde liegt?

Die Liste der Fragen könnte noch lange fortgesetzt werden. Tragfähige Antworten auf diese Fragen wird es in nächster Zeit wohl kaum geben. Ich bin mir bewusst, dass meine Vorstellungen von einem fairen Hochleistungssport einer Utopie gleichen, gegen die sich die meisten der Verantwortlichen in den Organisationen des Sports ausgesprochen haben. Meine Vorschläge werden vermutlich der Naivität bezichtigt.

Es wird behauptet, dass man das „Rad der Zeit“ nicht zurückdrehen könne, obgleich unter logischen Gesichtspunkten genau dies möglich ist und auch vermutlich der richtige Weg wäre. Wer sich heute für einen fairen Hochleistungssport einsetzt, führt einen Kampf gegen Windmühlen. Die Rückkehr zu einem fairen und gerechten Sport, zu einem Sport des Spielens, des Wetteiferns, der Gestaltung und zu einer ethisch relevanten menschlichen Leistung scheint für immer verstellt zu sein. Das Ende des Fair Play Prinzips ist leider schon erreicht.

Für einen Don Quichote stellt sich dabei nur die Frage, wie lange er diesen Kampf noch führen möchte oder ob es nicht sinnvoller wäre, sich von seiner utopischen Vorstellung eines fairen Sports zu verabschieden. Ich bin mir dessen bewusst, dass ich mich längst schon auf diesem Weg befinde.

Letzte Bearbeitung: 8.8. 2025

[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird gelegentlich auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.

Prof. Dr. Helmut Digel
Eberhard Karls Universität Tübingen
Institut für Sportwissenschaft
Wilhelmstr. 124 – 72074 Tübingen – Germany
Mobil: +49 162 2903512

 

Die Entwicklung des europäischen Sportmedien markts – Ausgewählte Merkmale der Entwicklung – sport-nachgedacht.de – Prof. Dr. Helmut Digel

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