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01
11
2006

Doch vor einem Monat, beim Marathon, soll ein Staatsanwalt Neuling unter den Läufern erkannt haben.

BERLIN-MARATHON trägt zur Gesundung bei: „Laufendes Verfahren – Verhandlungsunfähiger Ex-Aubis-Manager Neuling lief Marathon. Justiz prüft jetzt erneut, wie krank er ist“. Werner van Bebber und Kerstin Gehrke im TAGESSPIEGEL

By GRR 0

Der Läufer mit der Startnummer 8854 absolvierte den BEERLIN-MARATHON 2006 in vier Stunden, 26 Minuten und 39 Sekunden. Dass er an dem Wettbewerb teilnahm, hat nun juristische Folgen. Denn der Läufer mit dem Namen Christian Neuling ist zu krank, um an einem Gerichtsverfahren teilzunehmen.

Der „Aubis-Prozess“ mit Neuling und seinem ehemaligen Geschäftspartner Klaus Wienhold könnte daran scheitern, dass die beiden Hauptangeklagten der Verhandlung aus gesundheitlichen Gründen nicht folgen. Nun wird sich der 63-jährige Neuling möglicherweise abermals dem Amtsarzt stellen müssen. Die Staatsanwaltschaft will den Gesundheitszustand des Ex-Managers neu untersuchen lassen. Ein entsprechender Antrag liegt der zuständigen Strafkammer vor.

Neuling und Wienhold standen wegen Betrugs vor Gericht. Sie sollen mit dem Wärmelieferanten Elpag durch überhöhte Heizpreise einen Millionenschaden zu Lasten der Berlin-Hyp, einer Tochter der damaligen Bankgesellschaft, verursacht haben. Anfang März 2004 hatte der Prozess begonnen. Wienhold schied nach zwei Jahren verhandlungsunfähig aus. Zwei Monate später machte auch Neuling gesundheitliche Probleme geltend.

Ein Amtsarzt untersuchte ihn einige Male, Gutachten wurden erstellt. „Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht“, sagte Richter Heinz-Georg Gahlen, Vorsitzender der zuständigen Wirtschaftsstrafkammer. Mit der attestierten Verhandlungsunfähigkeit schien das Verfahren im Nichts zu enden. Doch vor einem Monat, beim Marathon, soll ein Staatsanwalt Neuling unter den Läufern erkannt haben. Eine Urkunde belegt die sportliche Leistung des Managers:
Bei über 40 000 Teilnehmern kam Neuling auf Platz 15 975.

In Justizkreisen war von psychischen Problemen Neulings als Grund für die Verhandlungsunfähigkeit die Rede. Neulings Anwalt Wolfgang Ziegler erklärt die Teilnahme am Marathon mit ärztlichem Rat. Die Ärzte hätten seinem Mandanten „das Laufen als therapeutische Maßnahme anempfohlen“. Es sei wichtig, dass Neuling über das Laufen wieder Selbstvertrauen gewinne, sagte Ziegler.
„Herr Dr. Neuling will wieder gesund werden.“

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland, der als Justizsenator mit dem Aubis-Verfahren und dem Bankenskandal zu tun hatte, sagte: Man müsse es akzeptieren, dass Neulings Teilnahme am Marathon womöglich nichts entgegenstand. Der SPD-Rechtspolitiker Fritz Felgentreu sagte: „Wenn so auffälliges Verhalten zutage tritt, muss man prüfen.“ Michael Braun, CDU-Rechtspolitiker, sagte, über Neulings Verhalten müssten Mediziner entscheiden.
„Mag sein, dass einer das Laufen braucht.“

Werner van Bebber und Kerstin Gehrke
TAGESSPIEGEL am Dienstag, dem 31.10.2006

Von Tag zu Tag – Keine Häme!
Bernd Matthies bittet um Verständnis für praktisch alle Angeklagten

Eine schreckliche Vorstellung: Wir stehen vor Gericht, die Verhandlung steht nicht gut. Es droht Freiheitsstrafe, womöglich eine echte, mit Gittern und Hofgang einmal täglich. Das geht an die Nerven, man möchte am liebsten weglaufen, das Herz pocht bis zum Hals. Wer da in der Lage ist, der Verhandlung aufmerksam und offen zu folgen, der braucht schon eine gusseiserne Seelenlage.
Im Grunde müsste jeder Angeklagte einen Arzt finden, der ihm Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt.

Christian Neuling, einer der beiden Aubis-Angeklagten, hatte offenbar einen solchen Arzt. Dass er nun trotz des Attests beim letzten BERLIN-MARATHON erstaunliche vier Stunden dreißig gelaufen ist, sollte uns kein Anlass zur Häme sein. Neuling arbeitet an der Wiederherstellung seiner Verhandlungsfähigkeit, er hat Körper und Geist gestählt, wollte mit seiner Gesundung überraschen und sich dem Rechtsstaat zur Urteilsfindung anheimgeben.

Daraus ist nun nichts geworden. Jetzt will die Staatsanwaltschaft noch einmal den Amtsarzt nachschauen lassen. Gemein!
Aber wenn es schiefgeht, kann Neuling wenigstens schnell weglaufen.

Bernd Matthies im TAGESSPIEGEL
Kommentar am Dienstag, dem 31.10.2006

author: GRR

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