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21
12
2007

Die Rehabilitation im Leistungssport entspricht der Formel 1“, sagt der Berliner Chirurg Professor Axel Ekkernkamp über die avancierten Fitmacher.

Reha im Spitzensport – Heilende Hände und Hightech – Leistungssteigerung durch „Hände, Wissen und Erfahrung“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Leistungssteigerung – das Wort klingt ein wenig frivol in diesen Zeiten, vor allem im Zusammenhang mit Sport und Medizin. Doch genau das bieten die besten Rehabilitationszentren Deutschlands. „Physiotherapie ist schon lange nicht mehr pflegend“, sagt Hannspeter Meier vom Rehazentrum Valznerweiher in Nürnberg. „Der Beruf unserer Patienten ist Leistungssport, nicht Gesundheitssport. Wir erhalten Leistung, und wir steigern Leistung.“

Heute sind verletzte Athleten nicht selten sehr schnell schon wieder fit für den Wettkampf; früher hätten sie da noch im Krankenbett gelegen. Deshalb kommen nicht mehr nur Verletzte in die besten Reha-Zentren, sondern auch Spitzenathleten, die körperliche Defizite spüren oder Leistungsreserven ahnen. „Ob Sie von Leistungssteigerung sprechen oder nicht“, sagt Meiers Kollege Reinhard Gebel aus Offenbach, „Fußball-, Handball- oder Tennisspieler finden bei uns einen besseren Einstieg in die Saison.“ Er bringt in seinem Rehazentrum Sporeg etwa koreanische Fußballspieler in Form.

 „Leistungssteigerung? Ja, natürlich“

Auch Klaus Eder, durch seine Einsätze bei der Fußball-Nationalmannschaft, im Davis-Cup-Team und der Olympiamannschaft berühmtester Physiotherapeut Deutschlands, empfängt nicht nur verletzte Spitzensportler aus aller Welt, sondern auch kerngesunde. Rund vierzig Prozent seiner Klientel seien Leistungssportler, sagt Eder. Ein Drittel von ihnen kommt aus dem Ausland: vor allem russische Fußball- und Eishockeyprofis, die bis zu 13 Stunden fliegen, um von ihm fit gemacht zu werden. Fünfzig Angestellten gibt die Mischung von heilenden Händen und Hightech, wie sie Eder in Donaustauf bei Regensburg anbietet, Lohn und Brot. „Leistungssteigerung? Ja, natürlich“, sagt Helmut Hoffmann, Lehrer, Trainer und Leiter der Weiterbildungsakademie, die Eder in Donaustauf unterhält.
 
„Die Rehabilitation im Leistungssport entspricht der Formel 1“, sagt der Berliner Chirurg Professor Axel Ekkernkamp über die avancierten Fitmacher. Er ist Ärztlicher Direktor des Unfallkrankenhauses Berlin, das sich mit der Behandlung schwerverletzter Hochleistungssportler vom Autorennfahrer Alessandro Zanardi über die Basketballprofis Matej Mamic und Demond Green bis zum querschnittsgelähmten Turner Ronny Ziesmer einen Namen gemacht hat. Träger des Hauses ist die Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG), die gesetzliche Unfallversicherung. Zu ihren 7,4 Millionen Versicherten gehören auch die knapp 22.000 in Deutschland angestellten Berufssportler.

127 Euro pro Tag für Reha-Programm

Diese etwa 3 Promille der Mitglieder sorgten 2006 für 4,6 Prozent aller Unfälle (19.391 von 417.269) und für 7,8 Prozent der Kosten durch Reha und Entschädigungen (49,1 Millionen von 626,1 Millionen Euro). Auch deshalb ist die VBG zu der Erkenntnis gekommen, wie sie der Leiter ihres Rehabilitierungsstabes, Eckehard Froese, ausdrückt: „Die Investition in Reha ist menschlich wie wirtschaftlich das Richtige.“ In Berlin hat die Berufsgenossenschaft nun das Projekt „Leistungssportspezifische erweiterte ambulante Physiotherapie“ (Leap) vorgestellt.
 
Der derzeit verletzte Torsten Frings gibt Gas

„Wir tun, was wir ohnehin tun“, sagt Hoffmann dazu. „Nur jetzt wird es honoriert.“ Für die Reha von Spitzenathleten zahlt die VBG 127 Euro pro Tag; doppelt so viel wie für Normalverbraucher. Wer dies für einen Spitzensatz hält, dem hält Meier entgegen: „Leistungssportler zu behandeln ist nicht lukrativ. Wir haben alle ein Helfersyndrom.“ Trotzdem verspricht er, das Beste zu beschaffen und anzuwenden. Athleten, die bei Olympischen Spielen Deutschland vertreten, aber nicht angestellte Profis sind, behandelt er im Übrigen auf Überweisung der Allgemeinen Ortskrankenkasse – „zwanzig Minuten für zwölf Euro“, wie er spöttisch bilanziert. „Wir sind halt Therapeuten, nicht Wirtschaftsmanager.“

Steinecke: „Sport ist ein gutes Testfeld“

Im Sinne einer Formel 1 dürfen sich fünf Reha-Zentren des Leap-Projekts (neben den erwähnten die von Bernd Herbeck in Mannheim und von Bernd Restle in Düsseldorf) als Forschungslabors der Rehabilitation verstehen. „Die Entwicklung kommt letztlich allen Unfallverletzten zugute“, verspricht Ekkernkamp.

Ulrike Steinecke, Vorsitzende des Deutschen Verbandes für Physiotherapie, bestätigt: „Sport ist ein gutes Testfeld.“ Das Vorläufer-Projekt EAP, vor gut zwei Jahrzehnten initiiert, hat nach ihrer Erfahrung wertvolle Erkenntnisse gebracht. Entscheidend sei neben der individuellen, sportartspezifischen Betreuung die Motivation des Patienten. Im Sport sei diese eher hoch. Auch dem Normalpatienten könnten individuelle Programme auf den Leib geschneidert werden, doch bei solchen, die sich vielleicht eine Kur gönnten, bevor sie in Rente gehen wollen, könne von großem Antrieb keine Rede sein.

Zu den Fitmachern dagegen treibt der Ehrgeiz sogar die Gesunden. „Sie sind nicht Patienten, sondern Kunden“, sagt Meier. „Und sie sind sehr anspruchsvoll.“ Ihnen schnüren er und seine Kollegen im Verbund mit Ärzten und Trainern Rundumpakete von der Leistungsdiagnostik über die Trainingssteuerung bis zur Ernährungsberatung. Doch selbst manche Profis wollen nicht erkennen, dass sie so ihr Kapital aus Gesundheit und Fitness erhalten können. „Ein Fußballer würde niemals auch nur eine Massage selbst bezahlen“, sagt Meier.

Schnittstelle mit Grauzonen

Und was ist mit der illegitimen Leistungssteigerung? Da verschanzt sich Maier hinter einem Zitat. Lange habe er einen Bodybuilder betreut – als Patienten, wie er betont – und der habe gern gesagt: „Diese Muskelberge kommen nicht von Hühnerfleisch und Reis.“ Doping will Maier bei ihm gleichwohl nie miterlebt haben. „Falls ich leistungssteigernd wirke, tue ich das täglich mit meinen Händen, meinem Wissen und meiner Erfahrung“, sagt der Physiotherapeut. „Ich brauche keine Mittel dafür. Diese Frage stellt sich nicht im Leistungssport.“

Doch die Physiotherapeuten wissen, dass die Schnittstelle von Wiederherstellung und Leistungssteigerung auch Grauzonen berührt. „Wenn ich einen Kugelstoßer behandele, dessen Bestleistung 22 Meter beträgt, weiß ich, dass er das nur mit Doping geschafft hat“, sagt Hoffmann. „Aber bei uns geht es nur darum, seinen Bizeps wiederherzustellen. Wenn er dopt, ist er weit weg.“

Selbstverständlich kenne er, sagt Hoffmann, die Frage: „Gibt’s da nichts?“ Klar, antworte er dann, Creatin helfe beim Muskelaufbau und sei nicht verboten. „Ich kann dem Sportler sagen, wie er es dosiert, aber ich werde es ihm nicht besorgen. Und ich sage ihm, dass 98 Prozent der Substanzen auf dem Mark kontaminiert sind.“

„Zehntel- und Hundertstelsekunden entscheiden im Spitzensport“

Der Offenbacher Physiotherapeut Gebel antwortet auf die Frage, ob er nach Dopingmitteln gefragt wird, mit „Jein“. Zumindest aus der von starkem Muskelschwund geprägten Reha der achtziger Jahre, als Eingriffe an Sehnen, Bändern und Gelenken noch riesige Operationen waren und lange Ruhezeiten zur Folge hatten, kennt er sie. „Die Athleten wurden damals geradezu ermordet auf dem Operationstisch und im Gips“, sagt Gebel. Um bis zu zehn Zentimeter sei der Durchmesser muskulöser Beine zurückgegangen. Doch den Einsatz von Anabolika, sagt er, habe er immer abgelehnt.

Heute erlauben mikroinvasive Operationen den frühen Beginn von Bewegung. Das heißt: Training praktisch sofort; seien es geführte Beuge- und Streckübungen des operierten Gelenks, sei es die maximale Belastung unversehrter Partien. Dazu kommen der Einsatz von Osteopathie, die durch Leap auf ihre reguläre Anwendung in der Rehabilitation geprüft werden soll, sowie Lymphdrainagen, medizinisches Aufbautraining und Magnetfeldtherapie. Das Neueste, was die Physiotherapeuten der Spitzenklasse sich und ihren Klienten gönnen, sind computergesteuerte isokinetische Trainings- und Dokumentationssysteme für gut 100.000 Euro pro Gerät.

„Das wirklich Revolutionärste ist“, sagt Hoffmann, „dass es interdisziplinär ist.“ Die Anforderungen des Wettkampfs sind die härteste Prüfung für die Wirksamkeit der Therapie. „Zehntel- und Hundertstelsekunden entscheiden im Spitzensport“, sagt Klaus Eder. „Da muss der Körper optimal funktionieren.“ Schon kündigen sich die Heilverfahren der Zukunft an: Lasertherapie mit Tiefenwirkung, pulsierende Magnetfelder und Bioströme. Leistungsreserven schlummern in Ernährung, Regeneration und Psychologie. Doch alles das wirkt nur, wenn der Athlet sich darauf verlassen kann. „Was ich von Dr. Müller-Wohlfahrt gelernt habe, ist Kompromisslosigkeit“, sagt Eder. „Ich kann einem Sportler nicht sagen: Geh raus und probier mal.“

Der Physiotherapeut muss vor dem Athleten wissen, ob dieser fit ist. Oder nicht.

Michael Reinsch

Frankfurter Allgemeine Zeitung 

Freitag, dem 21. Dezember 2007

author: GRR

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