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19
02
2008

Der Sieg in Schweizer Rekordzeit von 2:07:23 Stunden macht den 33 Jahre alten Röthlin zum Medaillenfavoriten bei den Olympischen Spielen in Peking

Viktor Röthlins Geschäft läuft – Der Sieger des Tokio-Marathons ist ein Unternehmen – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

BERLIN. Viktor Röthlin geht spätestens seit Sonntag einem Millionengeschäft nach. War der Dritte der Weltmeisterschaften von Osaka noch für ein Startgeld "im tiefen sechsstelligen Bereich", wie er verriet, zum Tokio-Marathon angetreten, hat dessen Gewinn bei Eiseskälte ihm nun einen Aufschlag von 30 000 Dollar vom Veranstalter und eine satte Prämie von seinem japanischen Sponsor Asics eingebracht.

Der Sieg in Schweizer Rekordzeit von 2:07:23 Stunden macht den 33 Jahre alten Röthlin zum Medaillenfavoriten bei den Olympischen Spielen in Peking und zu einem begehrten und damit gewiss siebenstellig honorierten Teilnehmer der großen Stadtmarathons der Welt.

Bis Kilometer dreißig war Röthlin von einem Tempomacher begleitet, bald nach dessen Ausscheiden ging der Schweizer zum Angriff über. Er erreichte das Ziel allein vor allen 27 000 Teilnehmern und ließ selbst den Japaner Arata Fujiwara (2:08:40) und den Kenianer Julius Gitahi (2:08:57), die schnellsten seiner Konkurrenten, weit hinter sich.

Röthlin, ebenso enthusiastisch wie akribisch, dürfte von seinem sportlichen Erfolg wie von seinen geschäftlichen Aussichten nicht überrascht sein. Zum Jahresende 2005 gab er seine Stelle als Physiotherapeut am Swiss Olympic Medical Centre in Magglingen auf und wurde läuferischer Vollprofi. Seitdem hatte er seine Bestzeit von 2:09:56 auf 2:08:19 Stunden gesteigert und war, vor der Bronzemedaille von Osaka, bereits Zweiter bei den Europameisterschaften von Göteborg geworden.

Das Geschäft läuft. Röthlin ist kein einsamer Renner, sondern eine Unternehmung. Sie firmiert als "Athletic Sportconsulting GmbH" und nennt auf ihrer Internetseite allein sieben Betreuer, von Nationaltrainer Fritz Schmocker über Ernährungsberater und Physiotherapeut bis zum Pressesprecher. Röthlins Karriereplanung betreibt – nomen est omen – das Team des Sportfestes "Weltklasse in Zürich" um Patrick Magyar, seine internationalen Starts verhandelt Federico Rosa – ein italienischer Arzt mit kenianischer Laufgruppe, von dem sich Röthlin, wie er betont, nicht medizinisch betreuen lässt.

Seit Jahren trainiert der Schweizer im Winter in Kenia in Rosas Trainingsgruppe unter anderem mit Martin Lel, dem Sieger des New-York-Marathon. Nicht nur die Härte und die Höhe behagen dem bei 1,72 Meter Körpergröße 60 Kilogramm schweren Läufer. Auch der Mentalität fühlt er sich verwandt. Wie viele Kenianer sei auch er, der Sohn eines Baggerführers, nur durch sein läuferisches Talent hinaus in die weite Welt gelangt, sagt er.

Unter dem Firmennamen "Vicsystem" bietet er seit einem Jahr im Internet individuelle Trainingspläne an. Wenn er selbst nach ihnen trainiert, dürften sie mehr wert sein als die 150 Franken, die er für sie verlangt.

Im Januar brach Röthlin sein Trainingslager in Eldoret wegen der Ausschreitungen nach der kenianischen Präsidentschaftswahl ab und reiste überstürzt heim. Nun fragt er sich, was für eine Zeit wohl mit Höhentraining möglich gewesen wäre, wie viel schneller er wohl hätte laufen können, wenn er auch auf den letzten zwölf Kilometern von einem Tempomacher unterstützt worden wäre. Zweieinhalb Jahre hat sich Viktor Röthlin gegeben, das herauszufinden. Bei den Europameisterschaften 2010 in Barcelona will er seinen letzten Wettkampf über 42,195 Kilometer bestreiten. Bis dahin ist nach dem Lauf für ihn vor dem Lauf.

Am Montag flog er nach Peking, um sich die Olympiastrecke anzuschauen und ein Trainingsrevier zu suchen.

MICHAEL REINSCH

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Dienstag, dem 19. Februar 2008

author: GRR

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