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12
05
2008

In Qatar beginnt für Vlasic die Freiluftsaison

Hochsprung – Das Projekt Blanka Vlasic – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

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„Den Weltrekord versuche ich, wann immer ich die Gelegenheit habe“, sagt Blanka Vlašić. „Wer bin ich, zu sagen: heute nicht?“ Sehr wahrscheinlich also, dass die beste Hochspringerin der Welt zu Beginn ihrer Saison in Doha (Qatar) an diesem Freitag wieder einmal 2,10 Meter wird auflegen lassen. Und nicht unwahrscheinlich, dass sie diesmal den zwanzig Jahre alten Weltrekord der Bulgarin Stefka Kostadinova übertrifft.

Auf 2,07 Meter verbesserte die spindeldürre, 1,93 Meter große Kroatin im August 2007 in Stockholm ihre persönliche Bestleistung. Im Monat darauf wurde sie in Osaka Weltmeisterin. Im November wurde sie 24 Jahre alt, im März gewann sie auch die Hallen-Weltmeisterschaft in Valencia. Noch hält sie nicht den Weltrekord. Aber sie demonstriert, indem sie seit Stockholm die phantastische Höhe immer wieder angeht, dass sie auf dem Sprung ist. „Es hat keinen Sinn, 2,08 oder 2,09 Meter zu versuchen“, sagt sie. „Im Video von Brüssel habe ich gesehen, dass ich drüber war und nur mit dem Bein gerissen habe. Ich habe die Höhe.“

Training in der Fabriketage

Neben dem Weltrekord hat Blanka Vlašić in diesem Jahr noch ein Ziel: den Olympiasieg in Peking. Sie verfolgt es nicht allein. Zwei Trainer, zwei Physiotherapeuten, ein Arzt und der Manager gehören zu ihrem Team. Chef ist Joško Vlašić, ihr Vater. „Blanka ist mein Projekt“, sagt er. Joško Vlašić, 53 Jahre alt, ist ein ehemaliger Zehnkämpfer.
 
Für seine Tochter hat er vor elf Jahren die dritte Etage einer aufgelassenen Fabrik in seiner Heimatstadt Split besetzt und auf den mehr als 500 Quadratmetern eine einzigartige Trainingshalle errichtet. An Sprossenwand und auf Schwingboden, an selbstgebauten Kraft- und Balanciergeräten, auf einer Laufbahn und einer Hochsprunganlage trainiert sie, um eine neue Dimension des Hochsprungs zu erreichen.

Der Vater sagt: „Blanka ist Symbol eines verrückten Gehirns“

„Peking ist nur ein einziger Wettkampf. Darauf werde ich Blankas Training nicht ausrichten“, sagt ihr Vater. „Peking ist nur eine Station auf unserem Weg. Wenn wir alles erreichen, was wir uns vorgenommen haben, wird Blanka langfristig unerreichbar sein.“ Der Ehrgeiz des Vaters wird noch deutlicher, wenn er über sich spricht. „Mit Blankas Möglichkeiten wäre ich einer der besten drei Zehnkämpfer Europas geworden“, gibt er sich überzeugt. Die beiden besten seiner Zeit waren Daley Thompson und Jürgen Hingsen. Seinen ältesten Sohn, Marin, hat Joško Vlašić zu einem Basketballprofi ausbilden wollen. Leider hapert es bei dem jungen Mann an der Ballbehandlung. Der Zwanzigjährige ist ohne Vertrag aus Amerika zurückgekehrt.

Er schult jetzt auf Speerwurf um und macht zugleich eine Trainerausbildung, beim Vater. Der zehn Jahre alte Nicola kommt täglich, vor oder nach der Schule, in die Fabriketage. Joško rollt dann Kunstrasen aus für seinen Jüngsten, stellt ein Tor auf und trainiert mit ihm Kondition und Torschuss. Der Junge sei das größte je in Kroatien geborene athletische Talent, behauptet Joško. Nicola ist sein nächstes Projekt.

„Joško ist ein Verrückter“, sagt Manager Harald Edletzberger, „aber auch ein positiv Verrückter.“ Auf die Frage, ob die Sporthalle ein Symbol sei für das neue Kroatien, für den Aufbruch seiner Bürger, antwortet Joško: „Sie ist das Symbol eines verrückten Gehirns.“

Tennis, weil der Vater es wollte

Luca, vierzehn Jahre alt, bringt ein bisschen Normalität in die Leistungssportfabrik. Wie er dasitzt auf der Hochsprungmatte und unter dem zärtlichen Blick seiner großen Schwester ein Eis schleckt, ein bisschen moppelig und unberührt von sportlichem Ehrgeiz, ist er der Gegenentwurf zu den aktuellen, den künftigen und auch den verhinderten Weltklasse-Athleten seiner Familie. „Ich bin nur ein normaler Vater“, sagt Joško Vlašić. „Ich will das Beste für meine Kinder. Dazu muss ich herausfinden, was sie am besten können.“

Mit sieben Jahren schon bewies Blanka, dass sie durchaus ihren eigenen Ehrgeiz von dem ihres Vaters unterscheiden kann. Da kam ein Fernsehteam zu einem Turnier und fragte die kleinen Mädchen, warum sie Tennis spielten. Blanka antwortete: „Weil mein Vater das will.“ Am Tag drauf meldete Papa sie ab.

Mit 17 1,93 Meter, mit 19 2,00 Meter, mit 20 ausgezogen

Auch die Mutter hat ihrer Tochter sportliches Talent mitgegeben. Sie war Volleyballspielerin, Skilangläuferin und Leichtathletin. Völlig normal also, dass die Tochter turnte und Ball spielte. Mit vierzehn, 1997, begegnete sie Bojan Marinovic. Er hatte gerade seine Laufbahn als Hochspringer und sein Studium als Sportlehrer beendet und war überwältigt von der Beweglichkeit, der Größe und der Explosivität von Blanka Vlašić. „Wir haben sofort begonnen, über ein Weltklasse-Projekt nachzudenken“, erinnert er sich. „In der Leichtathletik gibt es keine zweite Liga.“ Seitdem gehört er zum Team.

Mit siebzehn übersprang das Mädchen 1,93 Meter; damit wurde sie Junioren-Weltmeisterin und qualifizierte sich für die Olympischen Spiele in Sydney. 2002 schloss sie die Schule ab und wurde Hochsprung-Profi. Im folgenden Jahr, mit neunzehn, übersprang sie zum ersten Mal zwei Meter. Nach der Hallen-Weltmeisterschaft Anfang 2004 in Budapest, mit zwanzig, verließ die Tochter die kleine Neubauwohnung der Familie. Ihrem Vater brachte sie das auf der Rückreise auf dem Flughafen bei. „Unser Verhältnis hat sich verbessert“, sagt er.

Olympia in Athen war der Tiefpunkt

2004 brachte den Tiefpunkt der Karriere von Blanka Vlašić. Bei den Olympischen Spielen in Athen erlitt sie einen Schwächeanfall. Zwar qualifizierte sie sich für das Finale, doch ihre Kraft reichte nur für einen einzigen Sprung. Zurück in Split wurde eine Überfunktion der Schilddrüsen diagnostiziert. Das erklärte ihren Gewichtsverlust und ihre Nervosität. Eine Operation wurde unumgänglich, nicht nur, um ihre sportliche Karriere zu retten, sondern auch, um Blanka Vlašić überhaupt ein unbeschwertes Leben zu ermöglichen. Monatelang dauerte es, bis sie wieder trainieren konnte. Nur zwei Wettkämpfe bestritt sie 2005. „Dann war sie erwachsen“, sagt ihr Vater.

2006 übersprang sie die zwei Meter zwölf Mal. Im vergangenen Jahr überwand sie die Höhe zwanzig Mal. Anfang April dieses Jahres übersprang sie vor einigen Journalisten, die sie beim Training besuchten, in ihrer Fabriketage zwei Meter. „Höher kann man hier nicht springen“, sagte Marinovic. „Es fehlt das Adrenalin.“ Wie hoch kann Blanka Vlašić überhaupt springen? „Das verrate ich nicht“, sagte Papa Joško. „Es ist höher, als Sie denken.“

Michael Reinsch in frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag, dem 9. Mai 2008 

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