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14
05
2008

Professor Dr. Eike Emrich schrieb seine Habilitation zum Thema "Zur Soziologie der Olympiastützpunkte".

Sportpolitik – „Ist die olympische Idee schon bedeutungslos?“ – Eike Emrich, Saarbrücker Sportökonom und Vizepräsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, über die IOC-Politik vor den Spielen in Peking. Ein Interview von Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung

By GRR 0

SZ: Herr Professor Emrich, das Internationale Olympische Komitee (IOC) tut sich vor Olympia in Peking schwer mit einer klaren Haltung gegenüber der KP-Diktatur Chinas. Können Sportfunktionäre keine politische Meinung haben?

Emrich: Sportfunktionäre, die international tätig sind, müssen sogar eine politische Meinung haben. Ihre zentrale Aufgabe liegt darin, das Kulturgut Sport zu erhalten, und das besteht aus zwei Elementen: dem Sport selbst und der Reinheit des Wettbewerbs. Die Reinheit des Wettbewerbs ist im Wesentlichen eine Moral-Komponente. Und nur wenn Sport und Moral verkoppelt angeboten werden, wird die Idee des Sports und insbesondere die olympische Idee deutlich. Ansonsten wird aus Olympia irgendetwas an römische Gladiatorenspiele Erinnerndes, aber es ist kein Sport mehr.

Genau diese Aufgabe haben Funktionäre auf internationaler Ebene: in der Interessenabwägung mit Verhandlungspartnern aus Politik und Wirtschaft die Reinheit des Wettbewerbs zu würdigen und zu garantieren. Eben die richtige Mischung zwischen Heiligem – der olympischen Idee – und Profanem – dem Geld – zu bewahren.

SZ: Das ist ja schon mal misslungen.

Emrich: Dem würde ich gar nicht so sehr widersprechen. Auch wenn man nicht verallgemeinern darf.

SZ: Aber warum ist das misslungen?

Emrich: Das ist zunächst mal menschlich. Nicht immer haben Menschen die Kraft, zu Gunsten einer Idee den Betrieb entsprechend zu gestalten. Die olympische Idee, die so normativ im Hintergrund steht, hat ja eine enorme Wirkung. Ihr in aller Reinheit folgen zu wollen, überfordert wohl fast jeden Menschen und damit auch den normalen Funktionär. Aber ich würde erwarten, dass man in Krisensituationen bei der Abwägung zwischen Idee und Betrieb der Spiele der Idee zu ihrem Recht verhilft.

SZ: IOC-Präsident Rogge sagt, dass das IOC sein Engagement in Menschenrechtsfragen überdenken müsse. Sonst sind die Funktionäre diesen Erwartungen eher wenig entgegengekommen.

Emrich: Hier muss man unterscheiden, ob man Getriebener der Entwicklung ist oder vorab Gestalter war bzw. sein kann. Als letzterer hätte man ja den Konflikt kommen sehen können. Man hätte die Frage bedacht, inwieweit die olympische Idee mit ihrer Absicht, zu einer friedlicheren und besseren Welt beizutragen, wirklich als Modell taugt. Das hätte bedeutet, dass man die Frage der Menschenrechte in China vorab hätte reflektieren müssen. Und dann hätte man vorab kommunizieren müssen, dass die Ausrichtung Olympias nicht nur hervorragende Organisation und Sportanlagen verlangt, sondern auch eine offensive Auseinandersetzung mit der Idee, die dahinter steckt. Das eigentlich Interessante ist doch, dass das IOC in seiner eigenen Argumentation die Idee offensichtlich am Anfang nicht so vorrangig behandelt hat, sondern eher den Betrieb. Sonst hätte man ja die Entscheidung pro oder contra Peking zumindest anders diskutiert.

SZ: Das ist die Kernkritik am IOC: Hätte es die Spiele schon jetzt nach Peking vergeben dürfen, so unfertig wie die politische Entwicklung dort noch ist?

Emrich: Die Olympischen Spiele sind Modell für eine bessere Welt. Wo die Menschenrechte nicht geachtet werden, können die Spiele nicht stattfinden, das wäre konsequent. Die olympische Bewegung moralisiert durchgängig. Nun hat man die Chance, sich prinzipientreu zu verhalten – und sofort knickt man ein und sagt: Wir können ja im politischen Raum nicht sehr viel bewegen, eigentlich ist der Sport hier überfordert. Warum dann über lange Zeit die Betonung der moralischen Aspekte? Das IOC hat doch über Jahrzehnte seine besondere Stellung immer wieder dadurch hervorgehoben, dass es sagte: An diesem Sonderfall Olympia kann man sehen, wie die Menschen friedlich in geordnetem Wettbewerb unter gegenseitiger Achtung miteinander zurechtkommen können.

SZ: Wie kann man aus der Situation jetzt noch etwas gewinnen?

Emrich: Ich finde die Situation spannend: Die olympische Idee ist ja eine zutiefst europäische. Sie kommt aus der Antike, insbesondere das agonale Prinzip: also immer der Erste, der Beste von allen sein zu wollen. Sie kommt aus dem Mittelalter: das Ritterliche, Fairplay. Und sie kommt aus der Aufklärung, z. B. mit der Idee der Chancengleichheit und der Perfektionierbarkeit von Leistung in eine offene Zukunft hinein. Diese drei Argumentationsstränge hat Baron Pierre de Coubertin verkoppelt, als er die Olympischen Spiele der Neuzeit ins Leben rief, und das ist ein wunderbares Modell geworden, vielleicht die letzte Utopie, die wir noch haben.

Diese europäische Idee kommt nun in eine Nation China, die eine ganz andere Sportgeschichte und Sportkultur hat. China ist durch die olympische Idee und deren Diskussion nicht geprägt wie wir. Jetzt zeigt sich, inwieweit die olympische Idee infizieren und auch China in ihren Bann ziehen kann. Möglicherweise ist die Idee ja schon bedeutungslos geworden und es geht nur noch um den Betrieb eines Massenevents. Das wäre dann aber der Anfang vom Ende der olympischen Idee. Denn dann wäre ja nicht mehr klar zu machen, worin sich ein Weltmeister von einem Olympiasieger unterscheidet.

SZ: Ist die Frage nicht schon auf traurige Weise entschieden? Die Spiele haben bisher vor allem Zwietracht zwischen der freien Welt und China gebracht.

Emrich: Wenn in der emotionalen Atmosphäre einer gelingenden Eröffnung der entscheidende Funke überspringen sollte und dieses Fest sich nicht nur als hohle Inszenierung erweisen sollte, dann könnte das schon eine interessante Eigendynamik bekommen und die aktuelle Zwietracht vergessen lassen.

SZ: Glauben Sie, dass Athleten dazu etwas beitragen können?

Emrich: Ich glaube, dass Athleten etwas dazu beitragen werden. Man sollte sie allerdings auch nicht überfordern durch Erwartungen, die sie in erster Linie als Staatsbürger oder Weltbürger betreffen. Zunächst mal sind sie dort in ihrer Rolle als Athlet, in dieser Rolle haben sie sich qualifiziert. Außerhalb dieser Rolle müssen sie sich äußern dürfen. Darüber hinaus haben sie ja gewählte Vertreter, die dazu da sind, sich stellvertretend zu äußern. Einzelne Athleten werden nichtsdestotrotz sehr deutlich ihre Meinungsfreiheit beanspruchen. Und manche Athleten sind ja wirklich glänzende Kommunikatoren.

SZ: Mittlerweile hat das IOC die Regel 51.3 seiner Charta präzisiert, die Athleten Demonstrationen und Propaganda verbietet. In Kurzform: Athleten dürfen frei reden, aber alle Zeichen, die den Verdacht auf Propaganda wecken, sind nicht erlaubt. Was halten Sie davon?

Emrich: Der Regelungsversuch des IOC ist vieldeutig, er bringt keine wirkliche Klarheit. Das IOC will die Meinungsfreiheit der Athleten nicht einschränken, lässt aber offen, was verbotene Zeichen sind, die den Verdacht auf Propaganda wecken. Diese unklare Formulierung ist geeignet, die präventive Selbsteinschränkung der Meinungsfreiheit zu begünstigen. Die öffentliche Einschätzung der Meinungsfreiheit als hohes Gut macht es dem IOC gleichzeitig unmöglich, diese direkt einzuschränken. Etwas mehr Vertrauen in den mündigen Athleten wäre angebracht. Richtig ist sicher, dass sich Athleten als Gäste Chinas höflich und angemessen zu benehmen haben, diese vom Gastgeber China aber auch Toleranz erwarten können.

Die Höflichkeitsverpflichtungen als Gast Chinas reichen aber nicht so weit, dass Athleten, Besucher der Spiele, Funktionäre, Politiker und vor allem Medienvertreter die Chance ungenutzt lassen dürfen, in angemessener Form eine Klärung der anthropologischen und kulturellen Vorgaben der Menschenrechte anzuregen. Nur so werden die Menschenrechte übrigens in diesem Kontext nicht zu einem westlichen Machtinstrument und können wirklich weltweite Anerkennung erlangen.

Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung vom Donnerstag, dem 8. Mai 2008

author: GRR

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