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11
06
2008

Dennoch: von einem Gesundheitsattest, das jeder Teilnehmer vor dem Start abgeben muss, hält er nichts. Kurzfristige Infekte würden darin nicht berücksichtigt, und auch die rechtlichen Konsequenzen wären nur schwer abzusehen.

Stuttgarter Zeitung Lauf: Die Gefahren bei langen Läufen – Die Unvernunft der Läufer wächst – Freizeitsportler unterschätzen oft die Gefahren beim Start über lange Distanzen – Stefanie Keppler in der Stuttgarter Zeitung

By GRR 0

Laufveranstaltungen boomen. Beim StZ-Lauf am 21.und 22. Juni werden mehr als 25.000 Sportler erwartet. Das Wachstum hat aber auch Schattenseiten: 2007 gab es bei Laufevents in Deutschland acht Tote. "Nicht jeder kann und soll Halbmarathon laufen", sagt der Experte Herbert Steffny.

Rein statistisch gesehen stirbt bei Laufveranstaltungen von 50.000 Läufern einer. Statistik ist die eine, die Wirklichkeit eine ganz andere Sache. Im vergangenen Jahr haben acht Todesfälle bei Laufevents in Deutschland Schlagzeilen ausgelöst. Kein Veranstalter ist davor gefeit: Vor vier und zuletzt vor drei Jahren sind auch beim Stuttgarter-Zeitung-Lauf insgesamt drei Halbmarathonläufer nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand gestorben.

In allen drei Fällen waren entweder eine Vorerkrankung oder ein akuter Infekt die Ursache. "Die meisten Todesfälle ließen sich mit gründlichen Voruntersuchungen vermeiden", sagt der Sportmediziner Heiko Striegel, der die ärztliche Betreuung beim Stuttgarter-Zeitung-Lauf am 21. und 22. Juni leitet. Der Rat der Experten: sich bei einem erfahrenen Sportmediziner durchchecken lassen, bevor man ins Training einsteigt, und sich danach jährlich untersuchen lassen.

Viele Läufer unterschätzen die Gefahren der langen Distanzen – meist aus übertriebenem Ehrgeiz. Der ehemalige Weltklasseathlet Herbert Steffny kritisiert allgemein eine zunehmende Unvernunft im Laufsport. "Der Trend geht dahin, dass immer mehr Freizeitläufer zum Laufen kommen und die wenigsten dieser Läufer in Vereinen organisiert sind, wo das Wissen sitzt", sagt der 54-Jährige aus Titisee-Neustadt, der im Schwarzwald eine Laufschule betreibt und Seminare, Trainingsreisen und Marathoncamps anbietet.

Der EM-Bronzemedaillengewinner im Marathon von 1986 weiß aus Erfahrung: "Die Beweggründe der Läufer sind meist: ich fühle mich zu dick oder zu alt. Häufig ging eine Lebenskrise voraus. Im Kopf haben alle den Marathon oder zumindest den Halbmarathon. Viele wollen sich etwas beweisen und brechen einen Start übers Knie."

Genau das ist das Problem. Neben ausreichendem Training und langer Vorbereitungszeit müssen auch die körperliche Voraussetzungen stimmen. "Nicht für jeden ist es sinnvoll, einen Halbmarathon oder Marathon zu laufen", sagt Heiko Striegel, der früher selbst Leistungssportler war und inzwischen als Teamarzt beim VfB Stuttgart die Fußballprofis betreut. So mancher Läufer unterschätzt die enorme Belastung des Herz-Kreislauf-Systems und die orthopädischen Risiken.

Auch das Läuferurgestein Steffny stellt fest: "Es kann und soll nicht jeder diese langen Distanzen laufen." So mancher Freizeitläufer sollte besser auf einer kürzeren Distanz antreten – etwa über zehn Kilometer oder acht Kilometer, die auch beim StZ-Lauf angeboten werden. Dort sind die Gesundheitsrisiken deutlich geringer.

Was beiden Experten Sorge bereitet, ist auch das steigende Alter der Teilnehmer bei Laufveranstaltungen. In der Tat ist der Altersdurchschnitt der Marathonläufer in den vergangenen 20 Jahren um zehn Jahre auf durchschnittlich 44 Jahre gestiegen. "Da kommt also der natürliche Altersprozess hinzu – vor allem aber die Unvernunft", sagt Steffny. Der Sportmediziner Striegel erwartet sogar, "dass es durch die älteren Teilnehmer in Zukunft mehr Todesfälle geben wird".

Dennoch: von einem Gesundheitsattest, das jeder Teilnehmer vor dem Start abgeben muss, hält er nichts. Kurzfristige Infekte würden darin nicht berücksichtigt, und auch die rechtlichen Konsequenzen wären nur schwer abzusehen. Zudem müsste der Veranstalter alle Angaben überprüfen.

Striegel denkt eher pragmatisch: "Das Sinnvollste ist es, an die Vernunft der Läufer zu appellieren."

Stefanie Keppler in der Stuttgarter Zeitung, Mittwoch, dem 11. Juni 2008

author: GRR

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