Es war also in gewisser Weise eine verordnete Harmonie von ganz oben im KP-Staat, weshalb die Behörden sie wieder mal mit großem Aufwand bewachten. Einheiten der Bewaffneten Volkspolizei säumten die Straßen, paramilitärische Kräfte postierten sich auf Häuserdächern
Olympische Spiele – Zwei Monate Werbung – Die Fackelstaffel bewegt sich in verordneter Ruhe auf Peking zu – und die Welt bekommt eine Ahnung davon, wie die chinesische Olympia-Propaganda funktioniert. Henrik Bork und Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung
Am Mittwoch erreichte die Harmonie die Stadt Shangri-la in der südwestchinesischen Provinz Yunnan, in der viele Tibeter leben, auch wenn sie nicht zur "Autonomen Provinz Tibet" gehört. Und das bedeutete für die Mönche, dass sie nicht auf die Straße durften. Diese Harmonie kam nämlich in Form der olympischen Fackel, die in den jüngsten Erklärungen chinesischer Olympia-Freunde wahlweise auch für Liebe, nationale Einheit und chinesische Kraft stand.
Es war also in gewisser Weise eine verordnete Harmonie von ganz oben im KP-Staat, weshalb die Behörden sie wieder mal mit großem Aufwand bewachten. Einheiten der Bewaffneten Volkspolizei säumten die Straßen, paramilitärische Kräfte postierten sich auf Häuserdächern, und die tibetischen Mönche der Stadt bekamen zur Protestvorsorge von nervösen Sicherheitskräften eine Ausgangssperre ab sieben Uhr morgens bis drei Uhr nachmittags verordnet. Andere wurden zu speziellen Studiensitzungen gezwungen. "Unser Lehrer hat uns angewiesen, heute nicht das Kloster zu verlassen", sagte ein junger Mönch einem Reporter der Nachrichtenagentur Reuters. Harmonie klingt anders.
Zu Tränen gerührt
Seit Anfang Mai zieht die olympische Fackelstaffel nun schon durchs riesige Reich des Spiele-Gastgebers und hat dabei längst zu einer Ruhe gefunden, um welche sich das Olympia-Organisationskomitee in Peking zu Beginn des Ereignisses noch vergeblich bemühte. Was war das für ein Stress nach der Entzündung im antiken Olympia auf den Etappen in Europa und Amerika: ständig Proteste von Kritikern der Parteidiktatur und eine miserable Presse in der demokratischen Welt – das Vorhaben der chinesischen Regierung, mit den olympischen Werten ihren Aufstieg zur Weltmacht zu bewerben, erwies sich als PR-Desaster.
Als die Staffel nach Asien gewechselt war, wurde es besser. Jetzt, da die Fackel täglich von chinesischer Stadt zu chinesischer Stadt wandert, läuft die Kontrolle endlich perfekt. Und die Welt bekommt eine Ahnung davon, wie die chinesische Olympia-Propaganda funktioniert.
Chinas staatlich kontrollierte Medien berichten derzeit täglich von dem bestens behüteten Fackellauf und können dabei endlich jene Botschaft verbreiten, die der kommunistischen Führung genehm ist. "Ich fühle mich so geehrt, dass ich für Guiyang als Fackelträger ausgewählt worden bin", sagte der 73-jährige Ouyang Ziyuang der Nachrichtenagentur Xinhua.
Er ist Wissenschaftler in Chinas Mondforschungsprojekt, dem neben Olympia zweitwichtigsten Prestigeprojekt der KP-Führung in diesem Jahr. Andere kontrollierte Berichte zeigen stolze Behinderte, die vom staatlichen Behindertenverband für die "ehrenvolle Aufgabe" ausgewählt worden sind. Alle Bürger, die zu Wort kommen, äußern sich in den Propagandaberichten begeistert oder zu Tränen gerührt.
"Rettungseinsatz in Sichuan"
Andere Chinesen berichteten, dass sie trotz des Dauerregens am Donnerstag in Guizhou seit sechs Uhr in der Früh mehrere Stunden lang am Straßenrand gestanden hätten, um die Fackel zu begrüßen. Jeder Anflug von Kritik jedoch wird von Chinas Internetzensoren gelöscht, kaum dass er irgendwo aufgetaucht ist.
Dafür spielt das Erdbeben, das im Mai die Provinz Sichuan erschütterte, in der Staffel-Dramaturgie eine bedeutende Rolle. Etwa 70.000 Todesopfer hat das Unglück gefordert, da gab es wichtigeres als China-Kritik, zumal die KP-Regierung die Krise so tatkräftig und offen bekämpfte wie nie zuvor.
Aber jetzt hat die Regierung begonnen, die ersten Erdbebenretter an dem Fackellauf zu beteiligen. So durfte der Feuerwehrmann Li Hao die Fackel durch die Jinggang-Berge in der Provinz Jiangxi tragen. "Als Feuerwehrmann und Fackelträger stehe ich bereit zum Rettungseinsatz in Sichuan", durfte er brav im staatlichen Fernsehen aufsagen. Entlang der Route des Fackellaufs werden Spenden für die Überlebenden des Erdbebens gesammelt.
Da fällt es auch dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) leicht, einen neuen olympischen Frieden auszurufen. Nach den Protesten gegen China und der Kritik an der eher oberflächlichen Menschenrechts-Ethik des IOC hatte IOC-Präsident Jacques Rogge zwischenzeitlich von einer Krise gesprochen und zugestanden, dass das IOC seine gesellschaftliche Rolle überdenken müsse. Vergangene Woche in Athen wiederum sah er eine "total andere Situation": "Es gibt keine Proteste gegen den Fackellauf, niemand ruft mehr zum Boykott auf, und die chinesischen Autoritäten verhandeln mit den Abgesandten des Dalai Lama."
High-Tech in dünner Luft
Dabei ist das wieder nur ein eher oberflächlicher Eindruck. Erst am Dienstag hat Chinas Außenminister Yang Jiechi in Rom den Dalai Lama heftig angegriffen. Er und seine Helfer müssten sämtliche Proteste einstellen und ihre Versuche beenden, "die olympischen Spiele zu ruinieren".
Nur unter diesen Bedingungen wolle China den Dialog zwischen Peking und dem Dalai Lama fortsetzen. Und natürlich gibt es in der demokratischen Welt weiterhin Bedenken gegen den Olympiagastgeber China mit seiner autoritären Regierung und seiner zweifelhaften Menschenrechtssituation. Zumal die chinesische Regierung weiterhin nicht besonders sensibel wirkt, wenn es darum geht mit den olympischen Symbolen ihre eigene Großartigkeit zu dokumentieren.
Exiltibeter und Menschenrechtsgruppen protestierten nach der Niederschlagung der Tibeterproteste im März dagegen, die Flamme nach Tibet zu tragen. Ihr Argument: Verhaftungen und Verurteilungen von regimekritischen Mönchen und Zivilisten in Tibet gingen weiter – da sei es eine Provokation der Tibeter, die Fackel durchs umstrittene Gebiet zu leiten. Chinas Olympia-Manager blieben unbeeindruckt. Am 8. Mai reckten dick vermummte Fackelträger auf dem Gipfel des heiligen Tibeter-Berges Mount Everest eine High-Tech-Flamme in die dünne Luft – worauf die Verantwortlichen das Ereignis tränenreich als Zeichen für die grenzenlose Schaffenskraft der Weltmacht China feierten.
Und am 19. Juni wird die Flamme wie geplant in Tibet eintreffen, natürlich wieder mit dieser Harmonie, mit der China die Welt beeindrucken will.
Henrik Bork und Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung vom Freitag, dem 13. Juni 2008