Blog
06
07
2008

Am meisten Platz räumt der Forscher dem Johanniskraut ein, gewissermaßen dem Musterschüler der Kräutermedizin.

Kleine Kräuterkunde – Dr. Hartmut WEWETZER vom Tagesspiegel fahndet nach guten Nachrichten in der Medizin Heute: Wo Pflanzen helfen

By GRR 0

Es gibt nur wenige brauchbare Bücher über Alternativmedizin. Jetzt ist eines erschienen, dummerweise lediglich in englischer Sprache. Es heißt „Trick or Treatment?“ (frei übersetzt etwa: „Betrug oder Behandlung?“), geschrieben wurde es von dem englischen Journalisten Simon Singh und dem deutschen Mediziner Edzard Ernst. Der forscht seit Jahren an der Universität von Exeter in Großbritannien über Alternativmedizin und ist einer der führenden Experten.

Ernsts Fazit fällt ernüchternd aus – etwa, was Homöopathie und Akupunktur angeht. Mit einer bemerkenswerten Ausnahme: einer ganzen Reihe von Heilpflanzen attestiert der unbestechliche Professor recht gute Wirksamkeit. Es sind Teufelskralle (gegen Muskel- und Knochenschmerzen), Echinacea (verkürzt die Schnupfendauer), Knoblauch (erhöhtes Cholesterin), Ginkgo (geistiger Verfall, Durchblutungsstörungen in den Beinen), Weißdorn (Pumpschwäche des Herzens), Rosskastanie (Krampfadern) und Rotklee (Wechseljahresbeschwerden). Echinacea ausgenommen hat die „Schulmedizin“ jedoch mindestens genauso wirksame Arzneimittel auf Lager, schreibt Ernst.

Am meisten Platz räumt der Forscher dem Johanniskraut ein, gewissermaßen dem Musterschüler der Kräutermedizin. Wohl keine Heilpflanze ist besser untersucht, kaum eine hat sich im Vergleich zu herkömmlichen Arzneimitteln besser durchgesetzt. Bei der Behandlung milder und mittelschwerer Depressionen „haben Johanniskraut und übliche Antidepressiva die gleiche positive Wirkung“ lautet das Fazit einer großen Analyse aller Studien durch das britische Cochrane-Zentrum, das unabhängig Behandlungsmethoden bewertet.

Also nix wie in die Apotheke und Johanniskraut-Pillen geholt? Nicht ganz. Zunächst einmal sei die Frage erlaubt, was eine „milde“ Depression ist. Der Zustand, wenn der Lieblingsverein verloren hat, der Sohn mit einer Fünf nach Hause kommt oder der Chef einen schief angesehen hat? Oder ist es dieses gefühlte Unbehagen an der Kultur? Soll man da wirklich zur Tablette greifen, egal ob Natur oder Chemie?

Was Wirkungen hat, hat auch Nebenwirkungen, lautet ein Merksatz der Medizin. Das gilt selbstverständlich für pflanzliche wie für synthetische Medikamente. Das Hauptproblem an Johanniskraut-Präparaten ist, dass sie die Wirkung anderer Medikamente erheblich abschwächen können. Wer pflanzliche Arzneimittel einnimmt, sollte deshalb mit seinem Arzt darüber reden.

Pflanzenmedizin hat ihre Grenzen. Johanniskraut etwa hilft wenig bei schweren Depressionen und anderen psychischen Störungen. Und gegen Krankheiten wie Krebs, Diabetes, Asthma, Osteoporose, Hepatitis oder Multiple Sklerose ist bislang auch noch kein Kraut gewachsen. Aber immerhin eines gegen Schnupfen – das ist doch schon was.

Dr. Hartmut WEWETZER leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegel – Sonntag, dem 29. Juni 2008

Eine Sammlung von Hartmut Wewetzers Kolumnen ist nun unter dem Titel „Der Brokkoli-Faktor“ im Ullstein-Verlag erschienen (185 Seiten, 7 ,95 Euro).

 

author: GRR

Comment
0

Leave a reply