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07
08
2008

Er sah, wie Michael Johnson Olympiasieger über 400 Meter wurde. „Ich will auch laufen wie dieser Mann“, nahm er sich vor. Ein Jahr später, als er seinen amerikanischen Traum aufgeschrieben hatte, wurde Lomong, der mittlerweile den Spitznamen Lopez erhalten hatte, als einer der 3800 „Lost Boys of Sudan“ ausgewählt.

Amerikas Fahnenträger – Die personifizierte Anklage Lopez Lomong – Michael Reinsch, Peking in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

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Die Mannschaft der Vereinigten Staaten hat den aus Sudan geflohenen Mittelstreckenläufer Lopez Lomong zu ihrem Flaggenträger gewählt. Damit hat sie für die Eröffnung der Olympischen Spiele an diesem Freitag eine politische Demonstration auf die Tagesordnung gesetzt.

Der 23 Jahre alte Lomong, mit sechs Jahren aus der Gefangenschaft einer Miliz nach Kenia gelangt und mit 16 Jahren in einem humanitären Hilfsprogramm in den Bundesstaat New York aufgenommen, personifiziert eine Anklage gegen das mörderische Regime des sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir, gegen den der Internationale Gerichtshof in Den Haag Haftbefehl wegen Völkermordes erlassen hat.

Ebenso steht er als aktives Mitglied des „Team Darfur“ für Kritik an der Außenpolitik Chinas, das diskreditierte Potentaten wie General Than Shwe in Burma und al-Bashir in Sudan unter anderem mit Waffen unterstützt. Einen Tag nachdem China dem Olympiasieger im Eisschnelllauf und Gründer der Friedensinitiative „Team Darfur“, Joey Cheek, die Einreise nach Peking verweigerte, stimmten die Mannschaftskapitäne der amerikanischen Auswahl nun dafür, dass Lomong ihnen beim Einmarsch vorangeht.

Lomong gibt dem amerikanischen Team sein Gesicht

„Die amerikanische Flagge bedeutet alles in meinem Leben“, sagte Lomong im Trainingslager des amerikanischen Teams in der chinesischen Stadt Dalian. „Dies ist ein weiterer Schritt für mich, zu feiern, dass ich Amerikaner bin. Meine amerikanischen Mannschaftskameraden hinter mir zu wissen ist eine große Ehre, die größte Ehre. Dies ist einfach ein Glückstag.“ Der als Lopepe Lomong in Kimotong im Süden Sudans geborene Junge wurde mit sechs Jahren entführt, als eine Miliz die christliche Kirche, die seine Familie besuchte, während eines Gottesdienstes überfiel.

Den Soldaten, die ihn und andere Kinder zu Soldaten machen wollten, entfloh er und überquerte auf einem tagelangen Marsch unwissentlich die Grenze zu Kenia. Zehn Jahre lebte er im Flüchtlingslager Kakuma. Mit Müllsammeln verdiente er sich die Pfennige, die er brauchte, um vor acht Jahren einen Platz vor einem alten Schwarzweißfernseher zu kaufen. Er sah, wie Michael Johnson Olympiasieger über 400 Meter wurde. „Ich will auch laufen wie dieser Mann“, nahm er sich vor.
 
Ein Jahr später, als er seinen amerikanischen Traum aufgeschrieben hatte, wurde Lomong, der mittlerweile den Spitznamen Lopez erhalten hatte, als einer der 3800 „Lost Boys of Sudan“ ausgewählt. Er durfte nach Amerika übersiedeln. Adoptiert von einer Familie bei Syracuse erhielt er dort eine schulische Ausbildung und machte Karriere als Läufer. Im Juli qualifizierte er sich, trotz einer Verletzung, für den Start bei den Olympischen Spielen über 1500 Meter. Nun gibt er dem Team Amerika sein Gesicht.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 7. August 2008
 

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