Blog
19
08
2008

Als Spitz an den Spielen teilnahm, schien eine Leistung noch eine Leistung zu sein. Spitz schlug uneingeschränkte Bewunderung entgegen. Warum anzweifeln, dass tatsächlich der Beste gewonnen hat? Von Doping war keine Rede. Es gab ja nicht einmal richtige Dopingkontrollen.

Das Boot – Achtmal Gold – Michael Phelps überholt Mark Spitz – Mit seinem achten Gold in Peking löst US-Schwimmer Michael Phelps seinen Landsmann Mark Spitz als Olympia-Rekordhalter ab. Spitz gelangen 1972 in München sieben Siege. Von Doping war damals keine Rede. Heute ist der Verdacht immer da. Doch Phelps sagt, er sei sauber. Friedhard Teuffel, Peking, im Tagesspiegel

By GRR 0

Der erfolgreichste Athlet der olympischen Geschichte muss sich erst einmal ausruhen. „Ich freue mich jetzt wirklich darauf, in die USA zurückzukehren. Ich möchte mich einfach mal fünf Minuten in mein eigenes Bett legen und einfach nur entspannen", sagt Michael Phelps und sieht tatsächlich ein bisschen erschöpft aus. Eine harte Woche liegt hinter ihm, „aber es war vielleicht die schönste Woche meines Lebens".

Mit Leichtigkeit sammelte er in Peking Goldmedaillen ein. Fertig war er damit erst am letzten Tag der Schwimmwettbewerbe, als er acht zusammenhatte. Eine mehr als Mark Spitz 1972 in München gewann.

Michael Phelps und Mark Spitz. Das sind zwei außergewöhnliche amerikanische Sportkarrieren. Spitz hat über Phelps gesagt: „Wenn ich der erste Mensch auf dem Mond gewesen wäre, dann wäre Michael der erste auf dem Mars."

Aber es gibt noch einen Unterschied.

Als Spitz an den Spielen teilnahm, schien eine Leistung noch eine Leistung zu sein. Spitz schlug uneingeschränkte Bewunderung entgegen. Warum anzweifeln, dass tatsächlich der Beste gewonnen hat? Von Doping war keine Rede. Es gab ja nicht einmal richtige Dopingkontrollen.

Kleine Geschichte des Dopings

Inzwischen ist zu viel herausgekommen: Staatsdoping im Ostblock, Privatdoping im Westen, große Fälle wie Ben Johnson, Designerdopingmittel, die Tour de France und immer, immer wieder müssen Sieger ihre Medaillen zurückgeben. Und gerade jetzt kommt einer und übertrifft sie alle.

Michael Phelps, 24 Jahre alt aus Baltimore, Maryland, inzwischen in Michigan angekommen, schwimmt einen Weltrekord nach dem nächsten und sagt hinterher auch noch, er hätte es besser machen können, wenn nicht so viel Wasser in seine Schwimmbrille gelaufen wäre.

Am letzten Tag der Schwimmwettbewerbe sitzt der Australier Grant Hackett auf dem Podium der olympischen Schwimmhalle und beantwortet Fragen. Hackett ist eine Legende des Schwimmens, zehn Jahre war er ungeschlagen über 1500 Meter, der längsten Distanz im Becken. In Peking hat er Silber gewonnen. Aber auch er soll erst einmal etwas zu Michael Phelps sagen. „Er ist einfach ein unglaublicher Athlet", sagt Hackett. Alle loben Phelps. Sagen sie es nur, weil es zu ihrem Beruf gehört, sich gegenseitig zu decken? Ist Phelps nur der König der Diebe?

Eine Siegerehrung wie die andere – und eine bestimmte Frage kommt immer

Die Feierlichkeiten für Phelps werden nicht gestört in Peking. Auch am Sonntag gewinnt er noch einmal. Goldmedaille Nummer 8 in Peking, Nummer 14 insgesamt. Es ist die Lagenstaffel, Phelps hatte den Part des Schmetterlingsschwimmers übernommen. Es wird wieder ein Weltrekord. Wenig später geht Phelps mit seinen Staffelkollegen zur Siegerehrung, er wirkt gerührt, er lächelt mit offenem Mund. Wie in den Tagen zuvor. Es wird später, abgesehen von den Staffeln, unmöglich sein, eine Siegerehrung einem Wettbewerb zuzuordnen. Phelps sieht immer gleich aus. Anschließend geht er zu seiner Mutter Deborah, die auf der Tribüne sitzt und weint. Sie streicht ihm durch die Haare.

Die Frage nach Doping gehört im Sport zum Ablauf wie die Siegerehrung. Phelps antwortet: „Ich kann nur sagen, dass ich sauber bin. Ich bin in den vergangenen Wochen grob geschätzt 40 Mal getestet worden. Aber das ist Teil des Spiels und gut für den Sport." Hat er sich vielleicht doch jede einzelne Goldmedaille ehrlich verdient, mit Talent, Training und Technik?

Der perfekte Körper

Sein Körper sieht anders aus als der seiner Konkurrenten, sein Oberkörper wird von den schmalen Hüften aufwärts immer breiter, geformt wie ein gewaltiges V. Seine Arme haben eine Spannweite von 2,04 Meter. Er schleppt weder überschüssiges Fett mit sich herum, noch zu viel Muskeln. Nach dem Start und nach der Wende bleibt er lange unter Wasser und taucht als Letzter auf, dann beginnt er sich im Wasser nach vorne zu katapultieren. Vom amerikanischen Cheftrainer Eddie Reese ist eine Aussage überliefert: „Der letzte Mensch, der das Wasser so gut beherrschte, war Moses."

Ohne dass Phelps sich regelmäßig nach ihr umdrehen würde, ist die Skepsis jedoch zu seinem ständigen Begleiter geworden. Indizien gibt es nicht, aber jedes Detail wird ausgewertet. Ist sein Kiefer nicht vielleicht zu groß? Ein zu großer Kiefer könnte auf die Einnahme von Wachstumshormon hinweisen. Wachstumshormon ist schwer und nur kurz nachzuweisen. Also ein beliebtes Dopingmittel. Vor einigen Jahren trugen auf einmal erstaunlich viele Athleten Zahnspangen.

Das "Projekt Believe"

Phelps hat noch keine Spange getragen, und hat nicht etwa auch Schauspieler Matt Damon so einen Kiefer? Phelps sagt, er habe sich dem „Projekt Believe" angeschlossen, dem Projekt Vertrauen, der amerikanischen Anti-Doping-Agentur USADA. Die Agentur testet damit noch einmal über das gewöhnliche Maß hinaus, sie friert Proben ein, sie führt genaue Listen.

Doch es gibt Dopingmittel, die nicht nachweisbar sind, die sich vielleicht auch nicht finden lassen, wenn in einigen Jahren noch mal eine Probe aufgetaut wird. Dopingmittel, die vor allem in den industrialisierten Ländern herumschwirren, besondere Arten von Wachstumshormon etwa oder insulinartige Wachstumsfaktoren. Oder vielleicht auch Mittel, von denen selbst die Dopingfahnder noch nie etwas gehört haben.

Michael Phelps wirft mit seinem Erfolg eine Glaubensfrage auf. Es ist die Frage: Gibt es so etwas wie ein Jahrhunderttalent? Und ist Phelps eines?

Lieber ein Naivling als dauernd alle verdächtigen

Örjan Madsen beginnt zu nicken. Der 62 Jahre alte Norweger hat viel erlebt im Schwimmen, die Olympischen Spiele sind seine Abschiedsvorstellung als Cheftrainer der deutschen Mannschaft, er zieht sich jetzt erst einmal in die Karibik zurück. „Ich will lieber in zehn Jahren als Naivling ausgelacht werden, als seine Leistung mit Doping in Verbindung bringen", sagt er. Solche Talente gebe es alle 25 Jahre einmal. „Vor 25 Jahren hatten wir Mark Spitz. Dann kam Ian Thorpe und der allergrößte ist Phelps. In den nächsten 50 Jahren wird keiner mehr kommen wie er."

Und wenn Phelps tatsächlich ein Jahrhunderttalent ist, was macht ihn aus? „Wie er mit dem ganzen Stress umgeht, seine physischen Voraussetzungen, seine mentale Stärke, das ist einfach Wahnsinn", sagt Madsen. Und er sagt noch: „Wie er den Fokus hält."

Das ist auch das, was Phelps ständig sagt in Peking: „I am trying to focus on my race." Offenbar verfügt Phelps über die Fähigkeit, die Welt dann, wenn es darauf ankommt, durch eine Linse zu sehen. Und er selbst kann steuern, wer in diesem Moment ins Bild laufen darf und wer nicht.

Ein unheimlicher Sieg

Manche vermeintliche Störmanöver lässt Phelps gerne zu. Der Serbe Milorad Cavic sagte vor dem Rennen über 100 Meter Schmetterling: „Ich glaube, es wäre gut für das Schwimmen, wenn Michael Phelps endlich einmal verlieren würde." Die Aufgabe, ihn zu besiegen, nimmt er sich selbst vor. Doch er scheitert. Mit bloßem Auge ist der Vorsprung nicht zu erkennen, den Phelps in diesem Rennen vor ihm hat. 4,77 Millimeter wird die Videoauswertung später ergeben. In diesem Moment wirkt der Sieg von Phelps fast unheimlicher, als wenn er allen davongeschwommen wäre.

Vielleicht hätte Cavic gewonnen, wenn er Phelps nicht provoziert hätte. „Das hat mich noch einmal angefeuert. Solche Kommentare sind immer willkommen", sagt Phelps und lacht. Er hat sich konzentriert. Den Fokus gehalten. Das was er früher gar nicht konnte, macht er nun besser als jeder andere.

Bei Phelps wurde als Kind das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom festgestellt. Er nahm Ritalin ab der sechsten Klasse. Er konnte nicht still sitzen. Mit sieben Jahren war er noch wasserscheu. Doch er gewöhnte sich ans Wasser und als er zwölf war, fand die entscheidende Begegnung statt: Bob Bowman wurde sein Trainer.

"Er ist ein Mensch"

Der 47-Jährige erzählt heute, dass er schon damals daran glaubte, dass Phelps alles erreichen könne. Ein Jahrhunderttalent also. Aber: „Ich habe seine irdische Seite gesehen und garantiere: Er ist ein Mensch", sagt Bowman.

Bowman, 47 Jahre, graues Haar, Brille, wurde auch ein zweiter Vater für Phelps. Sein leiblicher Vater hatte die Familie verlassen, als Phelps acht Jahre alt war.

Bowman baut ein hartes Training auf, er will Phelps abhärten, dass sich sein Körper früh an größte Belastungen gewöhnt. Bei einem Wettbewerb soll Bowman Phelps innerhalb von zwei Tagen 24 Mal an den Start geschickt haben.

Der Körper ist die eine, der Kopf die andere Seite des Schwimmens. Bowman, studierter Entwicklungspsychologe, hat Phelps offenbar beigebracht, den Fokus auf etwas zu richten, ihn so groß oder so klein zu stellen, wie er will. Und manchmal kommen Kopf und Körper zusammen. Phelps sagt, er schwimme jeden Tag. Jeden. Selbst an Weihnachten. Und selbst wenn eine Trainingseinheit mal seinem belasteten Körper nichts bringt, so gibt sie ihm doch das Gefühl, am besten vorbereitet zu sein. Vielleicht hat Michael Phelps die Kraft der Vorstellung genutzt. Vielleicht ist er ein Jahrhunderttalent. In Peking erzählt Phelps: „Es ist möglich, sich alles zu erfüllen, was man sich erträumt. Bob hat mir immer gesagt: Träume groß. Träume so groß, wie du kannst." Michael Phelps hat sich in Peking Träume erfüllt, die für manche zu groß sind, um an sie zu glauben.

Großer Vorsprung in der ewigen Bestenliste der Olympioniken

Phelps liegt weit vor der Turnerin Larissa Latynina aus der damaligen Sowjetunion, Finnlands Lauflegende Paavo Nurmi sowie seinen Landsleuten Mark Spitz (Schwimmen) und Carl Lewis (Leichtathletik), die alle neunmal triumphierten. Formal ist Phelps vorn, doch ist er damit wirklich der Größte? Ihre Meinung ist gefragt: Bitte stimmen Sie ab in unserer Umfrage zum größten Olympioniken aller Zeiten. Bitte klicken Sie hier.

1. Michael Phelps (USA) 2004/2008 Schwimmen 14 Gold 0 Silber 2 Bronze
2. Larissa Latynina (UdSSR) 1956-1964 Turnen 9-5-4
3. Paavo Nurmi (Finnland) 1920-1928 Leichtathletik 9-3-0
4. Mark Spitz (USA) 1968/1972 Schwimmen 9-1-1
5. Carl Lewis (USA) 1984-1996 Leichtathletik 9-1-0
6. Birgit Fischer (Deutschland) 1980-2004 Kanu 8-4-0
7. Sawao Kato (Japan) 1968-1976 Turnen 8-3-1
Jenny Thompson (USA) 1992-2004 Schwimmen 8-3-1
9. Matt Biondi (USA) 1984-1992 Schwimmen 8-2-1
10. Ray C. Ewry (USA) 1900-1908 Leichtathletik 8-0-0

Die vom IOC nicht als offizielle Olympische Spiele gezählte Zwischen-Olympiade 1906 in Athen, bei der Ray C. Ewry zwei weitere Goldmedaillen beim Springen aus dem Stand gewonnen hat, ist nicht berücksichtigt.

Friedhard Teuffel, Peking, im Tagesspiegel, Montag, dem 18. August 2008

author: GRR

Comment
0

Leave a reply