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08
09
2008

Alle 20 paralympischen Sportarten haben die Chinesen besetzt, manche zum ersten Mal. Rollstuhlbasketball zum Beispiel. Basketball-Teammanager Qiao Jingchun sieht deswegen etwas zerknirscht aus.

Paralympics Peking 2008 – Für Chinas Parteidiktatur sind die Paralympics in Peking ein Anlass, ihren Sozialstaat zu präsentieren – aber auch die Medaillenbilanz muss stimmen – Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung

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Peking – Das Lächeln, das der Sportfunktionär Wang Xinxian jetzt zeigt, ist irgendwie zu hell. Jedenfalls sieht es anders aus als jene warme Freundlichkeit, mit der die vielen freiwilligen Helfer schon vor der Eröffnungsfeier am Samstag im Pekinger Vogelnest die Stätten der Paralympics erleuchten. Aber Unverbindlichkeit gehört nun mal zu Wangs Job.

Er ist der Chef de Mission jener Mannschaft, die bei den Weltspielen des Behindertensports Chinas beispiellose sportliche Exzellenzkampagne vollenden soll. Wang sitzt bei einer Pressekonferenz und muss eine Offenheit demonstrieren, die nicht zu offen, und ein Leistungsdenken, das nicht zu leistungsbezogen sein darf. "Freunde von den Medien" nennt er die Journalisten und hüllt sich in wolkige Reden. "Gute Ergebnisse" seien Chinas Ziel. Aber nicht nur. "Wir wollen auch Meister der Höflichkeit sein", sagt Wang Xinxian, "die Goldmedaille der Höflichkeit ist uns sehr wichtig."

Seit 1988 finden die Paralympics am Olympia-Schauplatz statt. Die Sportwelt hat sich daran gewöhnt, dass zwei Wochen nach dem Kommerzspektakel die weniger einträgliche Spiele-Version für Athleten mit Behinderung folgt, und sie hat eine Tugend daraus gemacht: Im Zweijahrestakt und mit zunehmender
Anteilnahme feiert sie ein Ereignis, das wie wenige sonst das Bewusstsein für eine gesellschaftliche Minderheit schärft. Und weil die aufstrebende Wirtschaftsmacht China ihr Spiele-Projekt als umfassende Image-Kampagne angelegt hat, funktioniert das in Peking erst recht.

Für Chinas Parteidiktatur sind die Paralympics ein willkommener Anlass, ihren Sozialstaat zu präsentieren. Manche Darstellung geriet ihren Anhängern dabei zwar etwas zu demonstrativ, aber das hat nicht davon ablenken dürfen, dass Bürgerinitiativen und staatliche Aktionen Chinas Behinderten-Fürsorge in den vergangenen 20 Jahren tatsächlich vorangebracht haben. Das moderne Peking mit seinen großzügigen Verkehrswegen ist behindertenfreundlicher als das alte, und insgesamt hat ein neues Bewusstsein eingesetzt, was auch an einem populären Lobbyisten im Partei-Staat liegt: Deng Pufang, Sohn des früheren Staatschefs Deng Xiaoping und einst Opfer der Roten Garden unter Mao Zedong, ist selbs Rollstuhlfahrer.

Als Vorsitzender des Verbandes für Menschen mit Behinderung in China (CDPF) hat er dazu beigetragen, den gesetzlichen Behinderten-Schutz zu verbessern. Sogar Sophie Richardson, Asien-Expertin der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, lobt die chinesische Regierung dafür, "dass sie Gesetze in Kraft gesetzt hat und die UN-Konvention für Menschen mit Behinderung unterzeichnet hat".

Bei 60 Millionen behinderten Chinesen sagt ein ausgebautes Blindenleitsystem in Peking allerdings wenig über die Situation im ärmlichen Hinterland. Sophie Richardson schränkt nach ihrem Applaus ein: "Bisher hat dieser Gesetzesschutz nicht viel gebracht." Und vergangenes Jahr klagte Chinas Rollstuhlbasketballer Yang Lei in der Zeitung Guardian: "Die meisten Leute schauen auf Behinderte herab. Sie verstehen uns nicht. Die Regierung hat es verpasst, ihnen unsere Situation zu erklären."

Die Spiele sollen dieses Bewusstsein weiter schärfen. Wobei nicht ganz klar ist, ob Chinas Paralympia-Manager ihre Mannschaft nicht doch in erster Linie als Medaillen-Beschaffungsabteilung sehen. Der Auftritt bei den Heim-Paralympics ist jedenfalls ein nicht ganz durchsichtiges Staatsplanprojekt. CDPF-Sportdirektor Jia Yong sagt immerhin, der Aufbau der 322-köpfigen Mannschaft habe 2004 begonnen. Und: "Nachdem die Delegation steht, ist das Verfahren der paralympischen Delegation das gleiche wie das der olympischen." Also mit Trainingsklausuren in Stützpunkten wie jenem in Shunyi bei Peking, den die Regierung für ihr
Paralympia-Personal gebaut hat; mit 800 Betten, Schwimmhalle, Leichtathletik-Stadion und Radbahn.

"Wir wissen nicht viel", sagt Australiens Paralympia-Direktor Jason Hellwig, "vieles ist Hörensagen." Tausende von Behinderten soll Chinas Sportadministration landesweit gesichtet und dann einem gnadenlosen
internen Wettbewerb ausgesetzt haben. Daher rührt wohl auch Chinas Bilanz von Athen 2004: 141 Medaillen insgesamt, 63 Mal Gold; die zweitplatzierten Briten hatten 94 Medaillen bei 35 goldenen.

Die Verlierer des Systems kennt keiner. Und die Gewinner? "Wir werden sie belohnen, egal welche Medaille sie gewinnen", sagt Chef de Mission Wang Xinxiang. Sein deutscher Kollege Karl Quade weiß nicht so recht: "Das ist extrem ergebnisorientiert, der Mensch wird da nicht so intensiv berücksichtigt. Das ist ein purer Darwinismus."

Alle 20 paralympischen Sportarten haben die Chinesen besetzt, manche zum ersten Mal. Rollstuhlbasketball zum Beispiel. Basketball-Teammanager Qiao Jingchun sieht deswegen etwas zerknirscht aus. Sein Verband sei erst spät eingestiegen ins Basketballspiel, vor einem Jahr seien die Spieler gesichtet worden. Monatelang waren sie danach zum Training in Shunyi kaserniert bei einem Tageslohn von 10 Yuan (1 Euro); die Zahl hat Yang Lei im Guardian genannt.

Yang Lei und Ding Hai hat Qiao außerdem für die Spielpraxis in die spanische Liga geschickt. Qiao Jingchun hat alles getan, trotzdem wird sein Team wohl untergehen in der bevorstehenden chinesischen Goldflut. Und danach? Ist das Spiel populärer, hofft Qiao Jingchun: "Wir wollen es verbreiten."

Was aus seinen Spielern wird, sagt er nicht.

Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung, Sonnabend, dem 6. August 2008

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