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2009

Mein Ziel ist es, in diesen acht Jahren in die Nähe der 45 Sekunden zu kommen. Und dann müsste ich schon Glück haben, um mich für ein 400-Meter-Halbfinale bei Olympia zu qualifizieren. Mein Ziel bleibt die Teilnahme an den Spielen 2012

Oscar Pistorius über Grenzerfahrungen – „Es geht mir nur um den Spaß am Laufen“ – Christian Kamp und Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

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 Eine Welt ist nicht genug: Bei den Paralympics läuft Oscar Pistorius der Konkurrenz längst davon. Sein größtes Ziel aber hat er noch nicht erreicht: die Teilnahme an Olympischen Spielen.

Sie haben so sehr um das Recht gekämpft, an den Olympischen Spielen teilzunehmen, und waren dann doch nicht dabei. Wie haben Sie dann den Jahrhundertlauf von Usain Bolt erlebt?

Verrückt, es war einfach verrückt. Ich kam von einem Meeting und fuhr zu meiner Freundin nach Johannesburg, mit 160, 170 Sachen auf der Autobahn. Als ich noch einen Kilometer vor mir hatte, rief ich sie an, sagte ihr, welchen Sender sie einschalten soll und dass sie schon mal die Haustür aufmachen soll. Ich rannte rein, vielleicht sechs Sekunden, bevor das Rennen losging.

Und dann?

Ich sage Ihnen, ich hatte noch nie so eine Gänsehaut in meinem Leben. Der Lauf war wie am Computer bearbeitet. Es war so ein Gefühl wie: Okay, und wann geht das richtige Rennen los? Diesen Rekord mitzuerleben, war Hardcore – mehr als alles andere, was ich bis jetzt gesehen habe.
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Sie lieben die Geschwindigkeit – auch außerhalb der Laufbahn?

Ja, ich bin erst gestern mit meinem Motorrad auf der Rennstrecke gewesen. Es hat so viel Spaß gemacht, dass ich zu spät im Hotel war, dann zu spät auf dem Weg zum Flughafen – und dann hat es mir noch in einem Schlagloch einen Reifen zerrissen.

Mit was für einer Maschine waren Sie unterwegs?

Ich habe mehrere. Das war eine R600, eine genaue Kopie von der, die Valentino Rossi fährt, mit derselben Ausstattung, denselben Aufklebern und allem. Es ist wahrscheinlich die einzige dieser Art in ganz Afrika. Dann habe ich noch ein Quad-Bike und eine Offroad-Maschine, meine erste. Die hat es richtig in sich: Die ersten beiden Gänge fährt sie noch ganz entspannt, aber dann dreht sie richtig hoch, und mit einem Mal fühlt sie sich völlig entfesselt an, ein richtig teuflisches Ding.

Haben Sie keine Angst, zu stürzen?

Ich hatte schon den einen oder anderen Crash. Ich habe mir diesen Knochen hier und diesen Knochen da gebrochen. Narben und Nägel habe ich auch. Einmal bin ich gesprungen, ich dachte es wären zwei Meter, dann wurden es aber vier, und ich bin voll auf den Stoßdämpfern gelandet – so, dass mein Bein weggeflogen ist.

Was sagen Ihre Vertragspartner dazu? Manche Fußballprofis dürfen ja nicht mal Ski fahren aus Angst vor Verletzungen.

Als Leistungssportler bringt man eine Menge Opfer. Aber wenn ich dafür aufgeben müsste, was ich wirklich liebe, würde mir auch der Sport keinen Spaß mehr machen. Man muss für sich entscheiden, was man opfern will. Und Motorradfahren gehört zu den Sachen, die mich erst zu dem machen, was ich bin. Also fahre ich weiter.

Waren Sie schon einmal in Lebensgefahr?

2002 hatte ich einen schlimmen Unfall, aber ich habe keine richtige Erinnerung mehr daran, ich hatte eine Gehirnerschütterung. Alles, was ich noch weiß, ist, dass ich auf dem Motorrad saß, und als Nächstes, dass ich zu Hause war. Ich habe dann alle meine Sachen verkauft. Neun Monate bin ich nicht gefahren, dann hat mich ein Freund wieder mitgenommen. Wir waren das ganze Wochenende unterwegs, und als wir wieder zu Hause ankamen, war mir klar, dass ich mir wieder eine Maschine kaufen muss.

Sie sind also der wagemutige Typ?

Eigentlich nicht. Ich mag Geschwindigkeit, solange ich am Boden bin. Dann genieße ich den Adrenalinrausch auch wirklich. Aber Sachen wie Bungeespringen, Achterbahn, Skydiving – die würde ich im Leben nicht ausprobieren. Ich brauche das Gefühl, die Dinge unter Kontrolle zu haben – wie beim Motorradfahren, auch wenn manche das sicher anders sehen würden. Andererseits würde ich schon sagen, dass man als Leistungssportler so etwas wie eine wagemutige Karriere einschlägt: das harte Training, die vielen Reisen – das ist schon ein Abenteuer.

Welche Eindrücke sind von den Paralympics in Peking geblieben?

Es war fantastisch. Wir sind ins Dorf gekommen, als es dunkel war. Wir haben erst am nächsten Morgen gesehen, wie unglaublich groß alles war. Und natürlich war das Vogelnest ein Wahnsinnsort, um zu laufen. Vor einer großen Kulisse zu laufen, ist das, wofür man das alles überhaupt macht. Vielleicht bekomme ich nie wieder die Gelegenheit, vor 90 000 Menschen zu laufen. Aber unabhängig davon: Für mich war es schon eine solche Erleichterung, überhaupt dort zu sein, endlich wieder laufen zu können nach diesem, na, sagen wir, hektischen Jahr.

Der Internationale Leichtathletikverband hat lange und hart darum gekämpft, dass Sie nicht bei Olympia laufen dürfen.

Nicht der ganze Verband, vielleicht ein oder zwei führende Mitglieder. Aber am Ende habe ich bewiesen, was ich beweisen musste – dass meine Prothesen mir keinen Vorteil verschaffen.

Funktionäre in der IAAF argumentieren, dass nichtbehinderte Läufer so weit gehen könnten, sich die Beine amputieren zu lassen, um mit Hilfe schneller Prothesen an einem großen Wettkampf teilzunehmen. Wie empfinden Sie das?

Ich weiß nicht, wie diese Leute denken. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist etwas Wunderbares.

Aber es wird technischen Fortschritt geben, Prothesen werden besser. Ist dann noch ein fairer Wettkampf möglich?

Wenn der Cas gesagt hätte: Diese, meine Prothesen verschaffen einem keinen Vorteil, also darf künftig jeder mit Prothesen bei den Nichtbehinderten laufen, wäre es ein Problem gewesen. Die gute Sache an dem Cas-Urteil aber war, dass es Beschränkungen formuliert hat, was die Beschaffenheit der Prothesen betrifft. Jeder, der mit anderen Prothesen laufen will, muss sie erst darauf prüfen lassen, ob sie ihm einen Vorteil verschaffen – genauso wie neue Schuhtechnologien von der IAAF genehmigt werden müssen. Und das ist auch richtig so. Es wäre leicht, eine solche Prothese zu konstruieren, man könnte sogar billigere Materialien verwenden.

Ihre Bestzeit über 400 Meter liegt bei 46,25 Sekunden, zehn Sekunden besser als zu Beginn Ihrer Karriere. Wenn das so weitergeht, können Sie 2012 in London vielleicht sogar um die Medaillen laufen – oder gibt es für Sie ein Limit?

In den letzten drei Jahren habe ich mich nur noch um gut eine Sekunde verbessert, im vergangenen Jahr nur noch um ein Zehntel – ich habe das Plateau also fast erreicht. Andererseits habe ich bis zum Ende meiner Karriere noch vielleicht acht Jahre Zeit. Mein Ziel ist es, in diesen acht Jahren in die Nähe der 45 Sekunden zu kommen. Und dann müsste ich schon Glück haben, um mich für ein 400-Meter-Halbfinale bei Olympia zu qualifizieren. Mein Ziel bleibt die Teilnahme an den Spielen 2012, und auf dem Weg dorthin sind es drei große Schritte: die WM im nächsten Jahr in Berlin, die Commonwealth Games 2010 in Neu-Delhi und die WM 2011 in Südkorea.

Sie wollen die Grenze von den Paralympischen zu den Olympischen Spielen überschreiten, andere – wie ihre Landsfrau Natalie du Toit, haben das schon geschafft. Hat damit eine neue Ära im Sport begonnen?

Viele Leute haben mich gefragt, ob Paralympia und Olympia künftig ein und dasselbe sein werden. Natürlich wird es nicht so sein. Bei den Paralympics in Peking gab es zum Beispiel einen Schwimmer, der hatte nur einen Arm, keine anderen Gliedmaßen – so jemand wird sich nie mit Nichtbehinderten messen können. Aber genau dafür sind die Paralympics so wichtig: dass sich solche Menschen trotzdem dem Wettkampf stellen können. Aber ich sage auch: Wenn jemand die Qualifikation für einen internationalen Wettkampf bei den Nichtbehinderten schafft, dann gibt es keinen Grund, ihm die Teilnahme zu verweigern.

Wenn Sie 2012 den Sprung zu den Olympischen Spielen schaffen, würden Sie dann – wie manche behinderten Athleten fordern – auf einen Start bei den Paralympics verzichten?

Nein. Ich würde auf jeden Fall auch bei Paralympics laufen. Ich bin ja mein ganzes Leben mit Nichtbehinderten gelaufen, und ich hatte auch diese Wahrnehmung: dass Behindertensport nicht auf demselben Niveau betrieben wird, dass die Paralympics weniger glamourös, weniger wichtig sind als Olympia. Aber dann bin ich 2004 nach Athen gefahren, und in den vier Wochen habe ich vom Behindertensport so viel gelernt wie vorher in meinem ganzen Leben im nichtbehinderten Sport nicht.

Was genau war das?

Bei den Nichtbehinderten bekommt man die ganze Zeit eingetrichtert, dass man gewinnen muss – um jeden Preis. Bei den Paralympics geht es um etwas anderes: darum, so gut zu sein wie möglich. Es ist besser, Zweiter zu werden und eine persönliche Bestzeit zu laufen, als mit einer schlechten Zeit Erster zu werden.

Sie sind in der vergangenen Saison bei mehreren Meetings mit Nichtbehinderten gelaufen, unter anderem in Luzern und bei der Golden Gala in Rom. Wurden Sie von den anderen Läufern gut aufgenommen, oder fühlten Sie sich ausgegrenzt?

Die Sportler waren die einzigen, deren Meinung mir wirklich wichtig war. Darüber habe ich mir Gedanken gemacht, nicht über irgendwelche Verbandspolitik. Und ich habe von Anfang an viel Zuspruch bekommen. Natürlich gab es vor der Entscheidung des Cas auch Athleten, die mir die eine oder andere Frage gestellt haben. Ich wäre ja auch skeptisch gewesen, wenn ich zum ersten Mal jemanden mit Prothesen hätte rennen sehen. Aber nach den vielen Tests, die ich gemacht habe, und vor allem nach dem einstimmigen Urteil des Cas waren die Reaktionen sehr, sehr positiv.

Kann das nicht auch daran liegen, dass Sie bislang noch keine echte Konkurrenz für die Weltspitze sind?

In Rom, als ich Zweiter wurde, haben mir die anderen Läufer auch nach dem Rennen noch gesagt, dass es für sie ein Vergnügen gewesen sei, gegen mich zu laufen. Die Plazierung hat an ihrer Haltung nichts geändert. Sportler auf diesem Level sind einfach reif genug.

War das früher anders – als Sie noch nicht so bekannt waren?

In Südafrika hat es mal einen gegeben, der vor dem Rennen einen Spruch gemacht hat: dass er niemals gegen einen Behinderten verlieren würde. Er schaute nicht sehr glücklich drein, nachdem ich ihn besiegt hatte.

Was ist Ihre erste bewusste Erinnerung an Ihre Behinderung? Wie haben Sie gemerkt, dass bei Ihnen etwas anders ist als bei anderen Kindern?

Da gab es einige Momente. Aber es gab keinen, an dem mich meine Behinderung davon abgehalten hätte, etwas zu tun, was ich wollte, oder an dem ich enttäuscht gewesen wäre, dass ich behindert bin. Ich habe die Prothesen, seit ich 13 Monate alt bin – ich kenne es gar nicht anders. Natürlich ziehen einen die anderen Kinder auf, wenn man anders ist. Als ich sieben oder acht war, gab es so ein paar Jungs – aber ich habe einen großen Bruder, und der hat sich die dann erst mal vorgeknöpft.

Amputation und Prothesen oder ein Leben im Rollstuhl – das muss eine sehr schwere Entscheidung für Ihre Eltern gewesen sein. Haben Sie darüber mit ihnen gesprochen?

Als ich noch klein war, hat meine Mutter mir eine Menge Briefe geschrieben, die ich später lesen sollte. Als ich älter wurde, habe ich ihnen natürlich auch nach und nach Fragen zu dem Thema gestellt. Der Arzt, der mich operiert hat, ein guter Freund der Familie, hat mir das Ganze aus medizinischer Sicht viel besser erklärt, als meine Eltern das konnten. Aber ich weiß, dass sie sich damals sehr viel Mühe gemacht haben, die richtige Entscheidung zu treffen.

Haben Sie eigentlich besonderen Spaß daran, Grenzen zu überschreiten?

Nein, nicht wirklich. Es geht mir nicht darum, irgendjemandem irgendetwas zu beweisen. Es geht mir nur um den Spaß an der Sache, am Laufen.

Sie laufen also auch nicht für die Sache der behinderten Menschen?

Manchmal bekomme ich eine E-Mail von einem behinderten Kind irgendwo auf der Welt, das ein Rennen gesehen hat und das sich danach besser fühlt. Das ist natürlich toll, und ich finde auch nicht, dass Behinderte sich mit Schreibtisch- oder Telefonjobs abfinden müssen. Aber ich bin noch nie mit einem anderen Motiv in ein Rennen gegangen, als die bestmögliche Zeit zu laufen und das Rennen zu genießen.

Was ist für Sie das Größte, das Sie bis jetzt in Ihrem Leben erreicht haben?

Dass das Time Magazine mich in seine Liste der hundert einflussreichsten Menschen des Jahres 2008 aufgenommen hat, war schon eine tolle Sache. Nummer 23 in dieser Liste – das ist eine große Ehre. Einen Platz hinter Oprah Winfrey, und nach mir irgend so ein großer Hollywood-Schauspieler – verrückt.

Und auf der Laufbahn?

Waren es die Paralympics in Peking – nach all den Erwartungen und dem Druck. Und natürlich die südafrikanischen Meisterschaften 2005, als ich meinen ersten großen Wettkampf unter Nichtbehinderten bestritt und Sechster wurde. Ich hatte vorher nie gedacht, dass ich es bis in ein Finale schaffen könnte.

Sie scheinen alles zu erreichen, was Sie anstreben. Gibt es etwas, von dem Sie wissen, dass Sie es gerne schaffen würden, aber nicht können – wegen Ihrer Behinderung?

Ich sage immer: Ballett. Aber das ist eher ein Spaß. In der Schule musste ich einmal zwei Monate ins Ballett gehen – als Strafe dafür, dass wir aus unserem Internat ausgebrochen und uns in die Mädchenschule geschlichen haben. Zwei Monate Ballett zusammen mit den Mädchen – in Leggins und Ballettschühchen: Das waren die schlimmsten Monate meines Lebens. Ich konnte ja nicht einmal auf den Zehenspitzen stehen.

Das Gespräch führten Christian Kamp und Michael Reinsch. Frankfuter Allgemeine Zeitung, Freitag, dem 26. Dezember 2008

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