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20
01
2009

Die Grundsatzfrage. Weil der Globalsport in dieser Dekade offenbar neu vermessen wird, heißt es nun wieder: Welchen Sport will die deutsche Gesellschaft haben? Und: Was ist er ihr wert? So wurde schon häufiger mal gefragt, eine überzeugende Antwort, speziell vor dem Hintergrund der schwärenden Dopingproblematik, aber lässt auf sich warten.

Zwischen Leistungswahn und der Vernunft moralischen Handelns – Spitzensport nach Peking, vor London – Michael Gernandt im „Olympischen Feuer“

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1. Die deutsche Mannschaft war erfolgreich, in der Nationenwertung kletterte sie von Platz sechs auf Rang fünf. 2. Die Erfolge wurden ohne Doping erreicht. 3. Die Mannschaft stellte sich als würdiger Botschafter unseres Landes dar. Das ist ein Auszug aus der für die Außenwelt vorgesehenen Verlautbarung von der Klausurtagung des DOSB-Präsidiums von Anfang November.

Dermaßen ausgestattet von den Kollegen aus seiner Führungsriege bilanzierte DOSB-Chef Thomas Bach: „Das Abschneiden der Olympiamannschaft als Gan-zes ist als Erfolg anerkannt worden“. 

Eine Auskunft über den realen Zustand des olympischen Sports hierzulande ist das nicht. Ein Satzfragment des Bachschen Resümees freilich verrät, dass eine tiefer greifende Betrachtung der Lage ein nicht so positives Bild ergeben könnte. Es ist von der „Mannschaft als Ganzes“ die Rede. Der Umkehrschluss aber lautet: Die Probleme stecken im Detail, im Kleingedruckten. Und ihre Behebung stellt sich dar als das Programm schlechthin für die Zeit zwischen Peking und London, wo 2012 die nächsten Sommerspiele stattfinden und wo, nach Meinung der Leistungsplaner, nun wirklich Schluss sein sollte mit dem Medaillenschwund des deutschen Teams.

Dass im Vergleich zu 2004 noch mal wieder acht Podestplätze verloren gingen, wird gar zu gern übersehen in Anbetracht des Zugewinns an Goldmedaillen, die allein das Nationen-Ranking bestimmen. Was Humbug ist. 

An diesem Punkt hat der in der Bundesregierung für den Leistungssport zuständige Minister Wolfgang Schäuble angesetzt – und sich abgesetzt vom Pauschallob, das der Sport sich zunächst verpasste. „Zwar hat die Mannschaft dreimal Gold mehr gewonnen, doch schaut man genau hin, dürfen wir uns nicht allzu sehr auf die Schulter klopfen“, mahnte er Ende Oktober. Überhaupt war große Nachdenklichkeit über den aktuellen und den künftigen deutschen Spitzensport vorwiegend in der Politik anzutreffen.

Kleine Auswahl: „Der deutsche Sport ist, von Ausnahmen abgesehen, derzeit und mit Blick auf 2012 nicht gut aufgestellt. In vielen Bereichen müssen wir uns ganz neu positionieren“ (Peter Danckert/SPD, Vorsitzender des Sportausschusses im Bundestag). – „Was mich betrübt ist, dass wir bei dem, was jeder kann, laufen, springen, werfen, schwimmen, nur zuschauen. Was machen wir falsch?“ (Peter Rauen/CDU, Sportausschuss-Mitglied). – „Wir werden uns einig sein, dass nicht nur der finanzielle Aufwand zählt“ (Reaktion der Kanzlerin Angela Merkel auf den Wunsch des Sports, die Bundesmittel aufzustocken).

In den nacholympischen Erörterungen der Situation schälten sich bis zur DOSB-Bundesversammlung am Niko-laustag in Rostock die folgenden Punkte heraus:

+++ Die Grundsatzfrage. Weil der Globalsport in dieser Dekade offenbar neu vermessen wird, heißt es nun wieder: Welchen Sport will die deutsche Gesellschaft haben? Und: Was ist er ihr wert? So wurde schon häufiger mal gefragt, eine überzeugende Antwort, speziell vor dem Hintergrund der schwärenden Dopingproblematik, aber lässt auf sich warten. Nun aber „sehen wir Bedarf“, sagt DOSB-Generaldirektor Michael Vesper, und Dietrich Gerber vom Präsidialausschuss Leistungssport im DOSB skizzierte gleich mal das Procedere: „Der Sportausschuss (im Bundestag/d.Aut.) könnte als Initiator einer solchen Debatte auftreten, die der DOSB sodann weiter ins Land zu tragen hätte“.

Richtig ist: Der Sport kann die Zukunftsfragen nicht allein, nicht ohne breiten gesellschaftlichen Konsens beantworten. 

In Peking haben die Deutschen feststellen müssen, dass immer mehr Nationen immer mehr Geld ausgeben. Dazu „müssen auch wir bereit sein, wollen wir weiter oben mitspielen“, ist von Danckert zu hören. Der Soziologe und Vizepräsident des sehr nachdenklich gewordenen Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV), Eike Emrich, warnt indes vor einer „Totalisierung des Spitzensports“. Sie sei nicht die „angemessene Antwort auf unsere Probleme. Entweder wollen wir einen Spitzensport, der verantwortbar ist, oder wir betreiben Sport, wie er in undemokratischen Gesellschaften üblich ist“.

In der Tat, die Parole „weiter oben mitspielen“ könnte beim nachdenklichen Betrachter des Spitzensports Ressentiments auslösen. Den Spagat zwischen wucherndem Leistungswahn und der Vernunft moralischen Handelns zu meistern, ist schließlich nicht jedermanns Sache. Emrich fragt: „Was soll dieses Gerede vom fünften Platz in der Medaillenwertung, wenn wir doch keine gleichen Voraussetzungen in der Dopingbekämpfung haben?“. 

Vor Forderungen zur Aufstockung der Mittel (DOSB will 12,5 Millionen mehr pro Jahr, das BMI genehmigt für 2009 zusätzliche drei Millionen und insgesamt 88 Millionen für zentrale Maßnahmen der Verbände) sollten erst einmal „neue Ideen zur Sportförderung“ eingebracht werden, forderte Angela Merkel. Gebe es ein „gutes Konzept, werden wir auch Mittel finden, es umzusetzen“.

Bernhard Schwank, leitender Direktor im Bereich Leistungssport (BL) des DOSB, will seine Hausaufgaben diesbezüglich allerdings gemacht haben. Der BL habe bereits vor zwei Jahren Vorschläge gemacht und sie umgesetzt. Sie heißen: Neues Steuerungsmodell, Neues Förderkonzept, Wissenschaftliches Verbundsystem (IAT, FES, Trainerakademie, Olympiastützpunkte), Initiativen für eine mit KMK, SMK und adh abgestimmte Erklärung zur Stärkung der Vereinbarkeit von Studium und Spitzensport, Qualitätsoffensive für Eliteschulen sowie zum Stellenausbau bei Bund, Polizei und Zoll. 

+++ Die Verbandsstrukturen. Es sind doch einige Hoffnungsblasen geplatzt in Peking, ein Malheur, das Schwachstellen in den Verbänden geschuldet ist: Fehleinschätzungen, Personalschwäche, provinzielle Eigen-mächtigkeiten. Schwanks BL verortete bei wenigstens drei wichtigen Verbänden Defizite bei Anwendung der  Richtlinienkompetenz und Kontrolle zentraler Steuerungselemente. Schwank sagt, die Verbände trügen dafür die Verantwortung, sie müssten sie in Zukunft „stärker wahrnehmen als bisher“.

Cheftrainer vermissen den Anspruch auf Weisungsbefugnis gegenüber Sportlern und Heimtrainern. „Zuviel Freiheit für Athleten“, beklagte der bis und in Peking oberste Bundestrainer der Leichtathleten, Jürgen Mallow. Und Örjan Madsen, Chefcoach der Schwimmer, musste ohnmächtig mit ansehen, wie einzelne Gruppen mit seinem Konzept Jojo spielten. Im Rudern, monierte Dietrich Gerber, habe das wahre Leistungsvermögen wegen „Ungeschicklichkeiten des Verbands“ nicht gezeigt werden können. 

Muss folglich den Verbänden einfach nur der liebgewonnene Föderalismus ausgetrieben werden, wie von denen gefordert wird, die schon immer die Meinung vertraten, er sei dem Spitzensport im Wege? Nein, sagt Gerber, die Konzepte brauchen nicht umgeschrieben zu werden, sondern einfach nur durchgesetzt werden. Nichtsdestotrotz geht die neue Richtung hin zu mehr Zentralismus und Konzentration der Kräfte. Schluss mit lange Leine, Vivat den kurzen Wegen. Derlei scheint die wichtigste Erkenntnis der Pekinger Bilanz zu sein.

Orientierung geben nicht die Methoden des ehemaligen Ostblocks, eher stehen Großbritannien und Australien Modell. Und der BL will den Fahrplan künftig „anhand von Meilensteingesprächen überprüfen“ (Schwank). Schwimmer, Leichtathleten, Ruderer und (Spring-) Reiter, allesamt des eifrigen Medaillensammelns in Peking unverdächtig, bestellten bereits neue Cheftrainer und Sportdirektoren. „Einschneidende Maßnahmen“ seien dies, teilt Schwank mit und hat eben deshalb etwas auszusetzen: Ihm fehlt die öffentliche, weltweite Ausschreibung der Stellen, „damit wir deutlich signalisieren, dass wir die Besten haben wollen.“

+++ Das Trainerproblem. Dass hierzulande ein solches existiert, thematisierte der DOSB-Bereich Leistungssport schon vor eineinhalb Jahren. Nach Peking schlugen die Tübinger Professoren Helmut Digel und Ansgar Thiel mit den Ergebnissen einer Studie zum Berufsfeld der Trainer noch einmal Alarm. Auf einen Nenner gebracht ergab die Befragung von 1812 Trainern und Trainerinnen sowie 616 „Funktionsträgern der wichtigsten Arbeitgeber“:

Das Trainergeschäft in Deutschland wird nur semiprofessionell betrieben. Im Einzelnen heißt das: Miese Bezahlung (50% der angestellten Trainer erhalten weniger als 3000 Euro brutto im Monat), defizitäre Weiterbildungsangebote, fehlende Nachwuchsförderung, undurchsichtige Vertragskonstruktion, zu wenig weibliche Trainer, keine Evaluation der Trainerarbeit, unzureichend wissenschaftlich qualifizierte Dozenten etc. Berlin habe inzwischen die Mittel erhöht, „wir haben der Bundesregierung deutlich signalisiert, dass weitere Schritte notwendig sind“, sagt Bernhard Schwank – „um unsere Trainer international konkurrenzfähig zu halten“. Die Traineroffensive ist gleichwohl erst am Anfang. 

+++ Das Nachwuchsproblem. Während das System der Nachwuchsförderung mit den Spezialeinrichtungen der Schulen (Elitesportschulen) zu greifen scheint, treten bei Beginn der Berufsausbildung, der Studiengänge an den Universitäten und des Berufslebens nach wie vor Schwierigkeiten auf. Sagt DOSB-Mann Gerber. „Der ganz große Knackpunkt“ sei jedoch die Vereinbarkeit von Spitzensport und betrieblicher Beschäftigung. Gerber: „Wir haben zu wenige sportfreundliche Unternehmer“. Die der Leichtathletik-Verband DLV gefunden haben will. Er arbeitet zurzeit an einem Modell, in dem Wirtschaftsunternehmen Patenschaften für Athleten übernehmen. Sie sollen bei den Firmen vertraglich angestellt werden, Gehalt bekommen und von den üblichen Arbeitsverpflichtungen freigestellt werden. Wie verträglich für den Spitzensport ein solcher Vertragsathlet ist, wird sich erweisen müssen. 

Im Übrigen zeigt eine Äußerung von DLV-Mann Emrich, wie sehr die Frage nach der Richtung des Wegs unter den Nägeln brennt: „Im Zentrum aller Überlegung muss der Sportler stehen. Ihre allumfassende Ausbildung muss Zweck unserer Bemühungen sein. Sportler sind nicht Mittel zum Erhalt eines Fördersystems und zum Erringen von Medaillen“.

Die nächsten Jahre: werden spannend sein und höchst aufschlussreich.

Michael Gernandt im "Olympischen Feuer" – 6/2008

author: GRR

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