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18
03
2009

Mit Zinner geht ein Mann in den Ruhestand, der zugleich ein Stückchen deutsch-deutscher Sportgeschichte nach 1990 verkörpert. Hatte er nach dem Ende seiner Wasserball-Karriere als Leistungsdiagnostiker gearbeitet, wechselte er ab dem 1. Januar 1991 von Dynamo Berlin zum Olympiastützpunkt an der Spree.

Berliner OSP-Chef Jochen Zinner geht in den Ruhestand – „Das Füllhorn ihrer Möglichkeiten nur anzubieten, ist für die OSP’s zu wenig“

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Die Arbeit der Olympiastützpunkte und besonders das Profil seines Berliner OSP immer weiter zu optimieren, das war für Jochen Zinner stets so etwas wie ein Lebenselixier. Immer wieder hat der kreative und streitbare Diplom-Ingenieur und Diplom-Mathematiker innovative Ideen in die Diskussion eingebracht und hat zum Nachdenken angeregt.

Nun geht der 66-Jährige zum 31. März in den Ruhestand und zeigt sich kurz vor der Zäsur engagiert wie eh und je, ganz so, als würde er noch mindestens zehn Jahre in seinem Büro in Berlin-Höhenschönhausen ein- und ausgehen. Anlässlich seiner offiziellen Verabschiedung am 17. März wartet der frühere Wasserballspieler, der es in der DDR auf mehr als 50 Länderspiele brachte, noch einmal mit strategischen Überlegungen auf, die aus dem neu geschaffenen Voraussetzungsgefüge im deutschen Spitzensport erwachsen.

„Leider ist noch Vieles unerledigt“, sagt Zinner und spielt damit auf die neuen Möglichkeiten an, die sich aus den Strukturelementen Olympia-Top-Team, Zielvereinbarung und Arbeit in den Bundesstützpunkten ergeben. Top-Teams und Zielvereinbarungen seien grundlegende Voraussetzungen für das engere Zusammenrücken zwischen Spitzenverbänden und Olympiastützpunkten. Zinner geht so weit, von einer „neuen Basis“ und einer „neuen Ära“ zu sprechen. Zu gern würde er sich in diesem „magischen Dreieck“ noch ein Weilchen bewegen, um seine Sichtweise dem Praxistest zu unterziehen und dann konsequent in den OSP-Alltag zu überführen.

Weil man nicht alle Kadersportler vor Ort gleich behandeln kann, sei es gut und richtig, immer stärker auf Top-Teams zu setzen. Das sei als bundesweite Größe wichtig, um jene Athleten zu benennen, denen in der täglichen Arbeit die größte Aufmerksamkeit gelten müsse. Mit den von den Spitzenverbänden zu benennenden Top-Teams und ihren jeweils größten Medaillenhoffnungen für die nächsten Olympischen Spiele werde gewissermaßen der personifizierte Maßstab für die Arbeitsorganisation der Olympiastützpunkte geliefert.

Damit korreliert eine weitere Neuerung. „Mit den Zielvereinbarungen wurde die Geschäftsordnung im deutschen Leistungssport nachhaltig verändert“, erklärt der Mann aus der Praxis. „Fördermittel werden nicht mehr rückwärts gewandt für Erfolge aus der Vergangenheit verteilt, sondern mit dem Blick nach vorn unter Beachtung der Perspektiven von Athleten und Talenten.“ Nun komme es darauf an, dieses „großartige Instrument“ als Vereinbarungsgeflecht zwischen den Verbänden und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) einerseits sowie dem DOSB und dem Bundesministerium des Innern (BMI) andererseits optimal auszugestalten.

Wichtiges Kriterium dafür sei, „nicht bei Allgemeinplätzen stehen zu bleiben“. Zugespitzt nütze es wenig, wenn Verbände nur die Zahl ihrer angestrebten Medaillen in die Vereinbarungen schreiben und das alles dann addiert werde. Wünschenswert seien realistische Ziele auf der Basis von Prognose-leistungen, die wissenschaftlich (z. B. vom IAT) begründet und möglichst exakt auf Athleten und Wettkampfstrecken aufgeschlüsselt und auf die Schwerpunktstandorte „heruntergebrochen“ sind.

Je präziser in den Zielvereinbarungen benannt sei, wo welche Athleten bei wem trainieren und welche Zwänge sich für ein beinhartes Training aus den Prognoseanforderungen ergeben, desto mehr sei das laut Zinner „ein Rieseninstrument, weil dann der jeweilige OSP seine Kapazitäten anforderungsgerecht umlegen und auf die Zielvereinbarung abstimmen kann“.

Zusammenarbeit mit den Bundesstützpunkten als Prinzip von Hand und Handschuh

Zu der „Dreiecksbeziehung“, die den Olympiastützpunkten neuartige und bessere Chancen einräumt, gehören des Weiteren die Bundesstützpunkte, die im neuen Stützpunktkonzept des DOSB eine erweiterte Bedeutung erhalten und als „zentrales Element für das tägliche Training im Spitzenbereich“ ausgewiesen werden. Hier trainieren also jene Sportler, die mit der Berufung in die Top-Teams für Medaillen vorgesehen sind und auf deren erhoffte und gewünschte Erfolge in den Zielvereinbarungen abgehoben wird. „Die wichtigsten Entscheidungen über das Umfeld, vor allem aber über Qualität und Wirksamkeit des Trainings, fallen an den Bundesstützpunkten – nirgendwo anders“, weiß Zinner. Ergo seien genau dort trainingsmethodisch und betreuungs-technisch Bestlösungen vonnöten, um das Training der Top-Team-Kader von Seiten der OSP tagtäglich nach besten Kräften zu unterstützen.

Wie das zu gewährleisten ist? „In der Optimierung des Zusammenspiels zwischen Bundesstützpunkt und OSP und auf der Basis der Trainings-konzepte der Verbände“, unterstreicht Zinner. Die Beziehungen zwischen beiden Seiten müssen eine innige sein wie die zwischen Hand und Handschuh. „Dazu gehört natürlich, dass unsere Mitarbeiter reinschauen ins tägliche Training und hautnah an den Athleten und an den Trainern als den Hauptakteuren dieses Trainingsprozesses dran sind. Nur so können wir spürbar dazu beitragen, dass Athleten und Trainier täglich bestmögliche Bedingungen vorfinden, dass alles vorhanden ist, was sie brauchen, um mit hohem Wirkungsgrad zu trainieren. Dabei geht es überhaupt nicht um irgendwelche Einmischung, sondern um eine optimale Durchsetzung der Verbandskonzeption am jeweiligen Standort.“

Vor dem Hintergrund des neuen Voraussetzungsgefüges müssten sich Zinner zufolge sowohl das Niveau der insgesamt 19 Olympiastützpunkte in Deutschland fortentwickeln als auch die Ansprüche an diese Zentren von Leistungsdiagnostik, Trainingssteuerung und Laufbahnberatung steigen. Das Wort vom OSP als einer reinen Service- und Koordinierungseinrichtung lasse zu viele Fragen offen. Eine solche Sicht schöpfe das Potential der Olympiastützpunkte nicht aus. „Das Wörtchen Service ist viel zu niedlich. Das Füllhorn ihrer Möglichkeiten nur anzubieten, ist für die Olympiastützpunkte zu wenig.“

Es komme nicht darauf an, neue Techniken anzuschaffen oder neue Vorgehensweisen „auszutüfteln“ und darauf zu warten, ob sie jemand benutzen möchte, sondern solche Anschaffungen gemeinsam und verbindlich zu konzipieren und dann auch gezielt und sinnvoll einzusetzen und deren Nützlichkeit zu bewerten. „Es kann nicht sein, dass man nur Angebote macht. Abwarten ist zu wenig, damit werden viel zu viele Kapazitäten verschenkt.“

„Riesen-Reserve für den deutschen Sport“

Statt um unverbindliche Dienstleistungen und Zuarbeiten müsse es um verbindliche Beziehungen zu jenen Verbänden gehen, mit denen ein OSP schwerpunktmäßig zusammenarbeitet. In der Praxis gäbe es solche so genannten Kooperationsvereinbarungen schon, in Berlin seien die ersten Kontrakte dieser Art bereits vor zehn Jahren geschlossen worden. Damit seien feste vertragliche Beziehungen und konkrete Festlegungen für die Betreuung der Bundeskaderathleten dieser Verbände am OSP vorhanden, an die sich die Partner zu halten haben. Dieses Vorgehen ist weiter zu qualifizieren.

Auch durch die zusätzliche Übertragung einer Vielzahl von Koordinationsaufgaben (z. B. im Rahmen der Trainingsstättenförderung, der Trainermischfinanzierung, der Häuser der Athleten, der Eliteschulen) wird das Netz der OSP mit derzeit bundesweit 200 Mitarbeitern und mehr als 100 OSP-Trainern nicht ausgereizt. „Mit den Aufgaben Service und Koordination sind die Olympiastützpunkte unterfordert“, fasst Zinner zusammen. Diese Einsicht zu wecken und in Zeiten von Top-Teams und Zielvereinbarungen, von Bundesstützpunkten und Kooperationsverein-barungen ein neues Niveau der Arbeit von Olympiastützpunkten vor allem hinsichtlich der Mitwirkung bei der Durchsetzung der von den Spitzensportverbänden ausgearbeiteten Trainingskonzepte vor Ort hinzubekommen, das sei die aktuelle Herausforderung.

Die Olympiastützpunkte zu animieren, sich stärker einzubringen, deutlicherer Verantwortung für die Leistungsentwicklung der Top-Team-Kader an ihrem Standort zu übernehmen und die Verbände zu animieren, aktiver und ohne Unbehagen das Potential dieser Einrichtungen zwingender abzurufen, das sei eine „Riesen-Reserve für den deutschen Sport“, sagt der designierte Ruheständler. Er weiß am besten: Von einem bisschen Service und ein bisschen Koordination abzukommen und sich hinzuwenden zu einen optimierten, verbindlichen System, bedeute einen „Abschied von einer bequemen Position“. Mit dem neuen Niveau ginge zugleich ein „neues Rechenschaftssystem“ einher. Selbstverständlich würden die OSP damit „stärker in die Haftung genommen“. Im Gegenzug könnte das System aber „gigantische Kräfte freilegen“, die derzeit noch schlummern. „Ich werde mich jedenfalls dafür einsetzen, diese Diskussion jetzt zu führen. Jetzt ist die Zeit reif dafür.“

Harry Bähr übernimmt zum 1. April die Leitung in Berlin

Mit Zinner geht ein Mann in den Ruhestand, der zugleich ein Stückchen deutsch-deutscher Sportgeschichte nach 1990 verkörpert. Hatte er nach dem Ende seiner Wasserball-Karriere als Leistungsdiagnostiker gearbeitet, wechselte er ab dem 1. Januar 1991 von Dynamo Berlin zum Olympiastützpunkt an der Spree. „In meiner Zeit als Leistungsdiagnostiker habe ich immer wieder gemerkt, wie viel man falsch machen kann im Training“, sagt er rückblickend. Aus dieser Erfahrung resultiert sein hoher Respekt gegenüber erfolgreichen Trainern und Sportlern. Zwar würden bei Sportlern im Training und bei Wettkämpfen stets viele Kraft-, Ausdauer- und alle möglichen anderen Werte gemessen. Die Kunst aber bestehe auch noch heute darin, diese Parametermengen zu einem anschaulichen Mosaik zusammenzufügen und daraus praxiswirksame Trainingsempfehlungen „abzulesen“.

In der Hauptstadt scheint das ganz ordentlich gelungen. In Zinners Ära sind an „seinem OSP“ zwischen 1992 und 2008 Sportlerinnen und Sportler auf insgesamt zehn Olympische Spiele vorbereitet worden. 373 Berliner Starter schafften den Sprung ins deutsche Team und gewannen zwischen Albertville und Peking 107 Medaillen, davon 40 goldene. Zahlen, die Zinner bei Dienstende als „meinen offiziellen Arbeitsnachweis“ interpretiert. Der engste Kontakt zu Athleten wie Trainern gehörte für ihn stets zu den Selbstverständlichkeiten. „Ich habe die Erfolge mitgefeiert, ich habe bei Enttäuschungen und Niederlagen mit ihnen gelitten und durfte immer mittendrin sein“, berichtet der Mann, dem Harry Bähr, bisher Leiter des Bereichs Trainings-wissenschaft, ab 1. April als Leiter des Berliner OSP nachfolgen wird. Derzeit werden hier rund 700 A- bis D/C-Kader in 20 Schwerpunktsportarten von insgesamt 34 Mitarbeitern und 20 beim OSP angestellten Trainern betreut.

Zum Leiter war Zinner am 1. Oktober 1995 als Nachfolger von Armin Baumert bestellt worden, unter dessen Ägide der ehemalige OSP in Westberlin mit gerade einmal acht Mitarbeitern nach dem Mauerfall im Osten der Stadt ein neues Domizil fand. Dies war nicht zuletzt ein Signal zur Zusammenführung des deutsch-deutschen Spitzensports, auch weil der damalige Berliner LSB-Präsident  Manfred von Richthofen Vertrauen in die fachlichen Kompetenzen des Personals aus Hohenschönhausen hatte. „Sein Weitblick und seine Tatkraft war der Schlüssel für den Erfolg. Die von ihm geleistete Zusammenführung war eine echte Erfolgsgeschichte“, sagt Zinner, der allerdings auch darauf verweist, dass er in dieser Zeit mehrfach evaluiert wurde, bevor seine Verträge verlängert wurden.

Im Rückblick scheint er geradezu verblüfft über den Zuwachs an Know-how, an hergerichteten Trainingsstätten, an neuen Einflussmöglichkeiten, an Mitarbeitern, Betreuern und Spezialisten bis hin zu Psychologen und Rehabilitationstrainern im Berliner OSP. Nirgendwo in Deutschland gibt es auf weniger Raum so viel geballte Kraft an Athleten, Trainern, Sportstätten, Betreuern und Spezialisten ringsum. Allein an Mitteln aus dem BMI flossen seit 1997 zirka 35 Millionen Euro in Modernisierungsmaßnahmen des OSP und noch einmal so viel aus Landesmitteln.

Unter anderem wurden sämtliche Sporthallen saniert. Allein für die Unterhaltung der Bundesstützpunkte in Berlin werden jährlich mehr als eine Millionen Euro aus Bundesmitteln bereitgestellt. „Wir stehen glänzend da“, formuliert Jochen Zinner zum Schluss. „Wenn es die Olympiastützpunkte nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Sie funktionieren unabhängig vom Verein der Athleten und rücken die Sportler und ihre Trainer in den Mittelpunkt.

Deshalb sind es großartige Einrichtungen.“

DOSB – Andreas Müller

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