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05
07
2009

Wer in der Endphase von wichtigen Wettkämpfen bei hoher Übersäuerung nicht mehr um den Sieg kämpfen kann, ist sicher besser auf der 1500 m aufgehoben.

Wer schneller läuft ist früher im Ziel – 800 m Spezialisten haben Spaß am schnellen laufen – Schnelligkeit, Schnelligkeitsausdauer, Schnellkraft, anaerobe Ausdauer sind vorrangig. »»» Teil 1 – Lothar Pöhlitz in Leichtathletik Coaching-Academy

By GRR 0

 (© Lothar Pöhlitz) – Eine internationale Konkurrenzfähigkeit im 800 m Lauf verlangt Läufer/innen, die sowohl die Rekord-Taktik, als auch die Sieg-Taktik beherrschen und über hohe Schnelligkeits- / Schnellkraft- und Schnelligkeitsausdauerfähigkeiten verfügen. In den letzten Jahren lässt sich eine starke Verdichtung der Leistungen im Bereich um 1:44 bei den Männern und 1:57 bei den Frauen und eine Verjüngung im Weltniveau beobachten.

Erfolgreiche 800 m LäuferInnen verfügen in der Regel über komplexe variable Taktik – Fähigkeiten verbunden mit hoher mentaler Kampfkraft im Kampf um den Sieg. Sie sind aber auch bereit in Aufbauwettkämpfen allein gegen die Uhr um hohe vorbereitende Wettkampfleistungen (wsA-Training) „zu kämpfen“. Wer in der Endphase von wichtigen Wettkämpfen bei hoher Übersäuerung nicht mehr um den Sieg kämpfen kann, ist sicher besser auf der 1500 m aufgehoben.

Ein hoher Anteil ererbter schnell – kontrahierender FT- II- Muskelfasern und ihre „Pflege“ sowie eine sehr gute Unterdistanzleistungsfähigkeit sind Voraussetzungen für Spitzenergebnisse. Mittelstreckler die nicht über ausreichend hohe Schnelligkeitsvoraussetzungen verfügen, sollten sich frühzeitig für die 1500 m oder 5000 m entscheiden.

„800 m ist wenn die letzten 13 Sekunden verdammt schwer fallen, die Oberschenkel brennen und der innere Schweinehund trotz massiver Übersäuerung mit bis zu 24 mmol/l Laktat im Körper mit erhobenen Armen vor allen anderen durchs Ziel läuft” – Lothar Pöhlitz

Für die Rekord-Taktik, mit dem Ziel der persönlichen Bestleistung werden bei fast allen großen Meetings 1-3 Tempomacher („Hasen“) eingesetzt. Vom ersten Meter an wird ein hohes, möglichst gleichmäßiges Tempo angeschlagen, eine schnelle Zwischenzeit bei 400 m angestrebt, dann weiter bis 600 m Druck gemacht, ein „Höllentempo“ gelaufen. Da werden in der Regel 1-2 Sekunden weniger als die durchschnittliche Endzeit registriert. Auf diesem Teilstück werden von den noch nicht so Guten die guten Endzeiten „verpasst“. weil sie bereits über 20 Laktat in den Beinen haben und die Übersäuerung die Bewegungen lähmt.

Die Besten haben kaum Tempoverluste auf der zweiten Hälfte, wehren zwischen 600 und 700 m die meist erfolgenden Angriffe ab und stürmen auf breiter Front – nicht selten auf die Bahnen 1-4 verteilt – sowohl mit langen Schritten, als auch durch Schrittfrequenzsteigerungen die Zielgerade herunter. Der Sieger verfügt in der Regel über die größte Kampfkraft, für den „Rest“ bleibt oft nur ein „kleiner“ Trost » persönliche Bestleistung.
Die Reporter überschlagen sich, nur der Sieger wird noch vom Fernsehen verfolgt, Läufer/in und seine/ihre Fans jubeln, nur die Insider wissen wer wie gut war ! Oft nur für Sekunden zeigt´s die elektronische Anzeigetafel, wenn es erfolgreich war steht ein p.B. (persönliche Bestleistung) dahinter, wenn der Reporter sehr laut schreit war´s Weltrekord.

Sensationell schon Janeth Jepkosgei (KEN) bei der WM in Osaka, 1:56,04 von vorn, inzwischen abgelöst von Pamela Jelimo (KEN) – 1:54,87 Olympiasieger – ohne Hasen, ohne Unterstützung durch andere. Mehrere Siege mit Rekord-Taktik vom ersten Meter an, beeindruckend, auch so geht´s. Sie stammt übrigens aus der Gegend wo auch Wilson Kipketer groß wurde, stieg erst 2008 so richtig von der 400 m (p.B. 52,78 s) auf die 800 m um. Olympiasieger wurde sie nachdem sie längere Zeit mit ihrer schärfsten Konkurrentin der Weltmeisterin von Osaka (!) aus dem eigenen Land zusammen trainiert hatte, diese gewann die Silbermedaille in 1:56,07!

Das ist 800 m, die „Königsstrecke“ der Läufer!

„Über 800 m ist die Psyche entscheidend, weil jeder im Finale irgendwann „sauer“ und platt sein wird und die psychische Stärke entscheidet, wer noch im „roten Bereich“ schnell laufen kann. Das ist die wichtigste Voraussetzung, die einen Sieger ausmacht.“
( Nils Schumann – Olympiasieger 2000 über 800 m in LEICHTATHLETIK -magazin 28 / 2005 , S. 41 )

Dann die Sieg-Taktik. Kreismeister, damit beginnt es meist in jungen Jahren, dann die Treppe aufwärts, Landesmeister, Deutscher Meister (das werden schon Wenige), Europameister, Weltmeister und das Größte: Olympiasieger! Die Krönung für den König oder die Königin. Olympiasieger bist Du fürs ganze Leben. Der Weltrekord wird eines Tage verbessert. Viele fragen heute: was wird der/die genommen haben?

Für Siege bei EM, WM oder OS werden vielseitige Fähigkeiten gebraucht, weil in 3-4 Läufen in 3-4 Tagen der Tempolauf von vorn, der lange Spurt, der kurze Spurt, der Tempowechsellauf bei hoher Übersäuerung und zusätzlich die enge Auseinandersetzung mit dem Gegner beherrscht werden müssen. Erst wenn Du alles beherrschst – auch die zwischenzeitliche Regeneration – kannst Du Sieger werden.
Bei ausreichendem Talent und entsprechendem Training kann man 1:58 oder 1:45 oder vielleicht auch mehr „ohne“ erreichen. Das muss unser Ziel sein.

In Deutschland gab es immer wieder solche Könige. 1978 wurde Olaf Beyer in 1:43,84 Europameister, 1983 Willi Wülbeck in 1:43,65 Weltmeister, und erst im Jahre 2000 Nils Schumann in 1:45,08 Olympiasieger. Königinnen hatten wir natürlich auch. Hildegard Falck wurde 1972 in München in 1:58,6 Olympiasiegerin, Sigrun Wodars 1987 in 1:55,26 Weltmeisterin und im Jahr darauf 1988 in 1:56,10 Olympiasiegerin! Sie alle haben uns viel Erfahrung auf dieser Strecke hinterlassen.

Sie sollten die Vorbilder für unseren Nachwuchs sein. Der kann sich heute schon darauf freuen: wenn demnächst das Doping weltweit im Griff ist zählen Sieger wieder mehr, da werden die Chancen wieder größer. Die Frage nach dem Weltrekord wird in den Hintergrund treten, verbesserte Trainingskontrollen und die Hoffnung, dass die Dopingfahnder eines Tages schneller sind als Ärzte und Apotheker lassen dies erwarten.
Zumindest ist das die Hoffnung. Trotzdem werden Siege nicht leichter erzielt weil auch die Dichte in der Konkurrenz größer geworden ist. Peking hat dies gezeigt.

Das bedeutet aber zugleich, dass Sieger – Typen vorbereitet werden müssen, die alles können, hohes Tempo auch variabel laufen und dazu auch noch „spurten“, d.h. noch auf der Zielgeraden über die höchste wettkampfspezifische Leistungsfähigkeit zu verfügen, die Geschwindigkeit bis ins Ziel hochzuhalten !!! Um aber ins Finale zu kommen müssen die Athleten 3-4 x in 3-4 Tagen an den Start gehen. Wer bei Olympia nur die Teilnahme anstrebt sollte besser diesen Start 4 Jahre verschieben, die Medien können sie dann weniger beschimpfen.

Das Training eines Weltklasseläufers muss in erster Linie an den im Wettkampf benötigten Fähigkeiten, an der Leistungsstruktur der Strecke, an der Vielfalt der benötigten Fähigkeiten und Fertigkeiten für den Kampf um den Sieg ausgerichtet werden.

Die wichtigsten Säulen und Prinzipien zum Aufbau einer solchen komplexen Wettkampfleistung sind:

    * eine umfassende Kondition und allgemeine und spezielle Belastbarkeit und Beweglichkeit / Flexibilität
    * und gute allgemeine und spezielle aerobe Ausdauergrundlage
    * sehr hohe spezielle anaerobe Ausdauerfähigkeiten und eine hohe anaerobe Toleranz- und Mobilisationsfähigkeit
    * gute allgemeine und sehr gute disziplinspezifische spezielle Kraftfähigkeiten, auf der Basis hoher Anteile schnell kontrahierender Muskelfasern (FT-II-Fasern)
    * ein hohes Niveau in der Schnelligkeit und Unterdistanzleistungsfähigkeit
    * sehr gute technisch – koordinative Leistungsvoraussetzungen
    * eine sehr gute Bewegungsökonomie bei hohen Geschwindigkeiten
    * ein ausgeprägtes renntaktisches Vermögen bei optimaler mentaler Stärke

Drei- viertägige Spitzenbelastungen bereiten auf Höhepunkte vor

Innerhalb der speziellen Leistungsvoraussetzungen kommt der Vorbereitung von Mittelstrecklern auf Wettkampfhöhepunkte eine besondere Bedeutung zu. In der Regel werden über 800 m Vorläufe, Halbfinals und Finals innerhalb von 3 Tagen, hin und wider auch noch ein zusätzlicher Zwischenlauf, verlangt. Das muss vorbereitet werden. Sowohl in der Vorbereitungsperiode können auch in Zusammenhang mit Aufbauwettkämpfen immer wieder solche Zwei- bzw. Dreifachbelastungen simuliert werden.

Zum Höhepunkt hin möglichst mehr. Differenzierte Aufgabenstellungen (wie z.B. Tempowechsel oder eingestreute Mobilisationsübungen) innerhalb der Programme erhöhen die Trainingswirkung. Es hat sich bewährt in den dreitägigen anspruchsvollen Belastungen beispielsweise die folgende Reihung schon in der Vorbereitungsperiode II zu favorisieren:

1.Tag:
    Schnelligkeit + Schnelligkeitsausdauer
2.Tag:
    Tempoläufe im aerob-anaeroben Übergang bis 10 mmol/l Laktat
3.Tag:
    Spezielle Kraft (SKA – Berganläufe intensiv) oder
    je näher man Wettkampfphasen kommt kann am 3.Tag
    auch ein wettkampfspezifisches Training oder auch ein
    Aufbauwettkampf die SKA ersetzen.

Wichtig ist, dass innerhalb und nach einer solchen 3-gipfeligen Belastung 2 Tage (3-4 TE) aerobe TE kombiniert mit einer komplexen zielgerichteten Regeneration / Physiotherapie folgen.

Beanspruchung von ausgewählten Funktionssystemen Kurzzeitausdauer
(nach NEUMANN Leistungssport 3/90 – modifiziert)

Funktionssystem Meßgröße Kurzzeitausdauer (400 m / 800 m)
Herz-Kreislauf HF (Schl./min.) 185 – 200
  % HF max (95-100 %)
O2-Aufnahme VO2 max ( % ) 95-100
Energiegewinnung – Anteil % aerob 47-60
  anaerob 53-40
Glykose Laktat (mmol/l) 18-24
Serumharnstoff mmol/l 5-6

Physiologische Voraussetzungen

Genetisch verfügt jede/r Sportler/in über ein bestimmtes Verhältnis zwischen langsamen (STF) und schnell (FT-II-Fasern) kontrahierenden Muskelfasern, deren Eigenschaften und Leistungsfähigkeit durch Training beeinflusst wird.
Die Möglichkeiten des Muskels zur Energiebereitstellung sind bekanntlich begrenzt. Deshalb ist die Wechselbeziehung mit anderen Funktionssystemen (z.B. Herz – Kreislauf, Lunge, Leber, Fett) des Organismus zur Energiegewinnung und Bereitstellung notwendig.

Für den 800 m Lauf gilt, dass die hochintensive Belastung vor allem unter Nutzung schnell kontrahierender (FT) Muskelfasern, bei überwiegend glykolytischer (anaerober) Energiebereitstellung bei hoher Laktatkonzentration abläuft. Die FT-Fasern entwickeln eine größere Kraft und ermöglichen eine hohe Laktatbildung, die wiederum von der Geschwindigkeit abhängt. Es ist wichtig längere Phase ohne ausreichende Einwirkung zu vermeiden.

 Obwohl die aerobe Energiebereitstellung als Basisleistung die Grundlage für die anaerobe Energiebereitstellung ist, sind in Mittelstrecken – Rennen das Sauerstoffangebot und der Laktatabtransport während der Belastung die wesentlich begrenzenden Faktoren. Für die 800 m muss man aber davon ausgehen, dass die Abbaumöglichkeiten während der Belastung den Anstieg nicht eliminieren können. Insofern sind die Hilfen die aus der aeroben Grundleistungsfähigkeit kommen auch begrenzt.

Bei Laktatmessungen nach einem hochintensiven Training oder nach Wettkämpfen ist nicht selten, dass sich der Anstieg bis 20 Minuten fortsetzt, so dass nach maximalen 400 m oder 800 m Läufen oder einem entsprechenden Training die letzte wichtige Laktatabnahme noch nach ~15 Minuten erfolgen sollte.

Da schnell kontrahierende FT- Fasern durch ungenügende Beanspruchung und aerobes Ausdauer - Training in ST-Fasern „umgebaut“ werden, ist für den schnellkräftigen 800 m Läufer die „schnell-kontrahierende Beanspruchung“ seiner Muskeln auch die Grundlage seiner Erfolge. Damit gilt für den/die 800 m „Spezialisten“, dass er/sie im Prinzip ganzjährig seine spezifischen Anforderungen in engen Zusammenhang mit den gewünschten Ziel-Geschwindigkeiten sehen muss! Es muss das Prinzip gelten: nie zu weit weg von der Wettkampfgeschwindigkeit. Der Quantität und Qualität des vorbereitenden Ausdauertrainings im Bereich von 6 - 8 mmol/l Laktat wird oft nicht die erforderliche Aufmerksamkeit gewidmet.

Bei 400 / 800 m –Typen haben die Ausbildung der Schnelligkeits- / Schnelligkeitsausdauer- / Schnellkraftfähigkeiten gegenüber der aeroben Ausdauerausbildung Vorrang. Deshalb bewegen sich die Wochen- Trainingsumfänge auch im Spitzenbereich für sie nur selten oberhalb 100 km.

Das 800 m Training wird von der genetisch bedingten muskulären Veranlagung der Athleten (schnelle Talente müssen aber auch entsprechend aufgebaut werden) und der Leistungsstruktur der Disziplin, abgeleitet. Nur wenn im Training alle Komponenten der Leistungsstruktur systematisch entwickelt werden, kann im Endeffekt mit einer optimalen Wettkampfleistung gerechnet werden. 800 m bedeutet 2 x 400 m hohes Tempo mit möglichst geringem Leistungsverlust auf der zweiten Teilstreckenhälfte bei möglichst geringem Geschwindigkeitsverlust auf den letzten 100 m.

Für das Nachwuchstraining stellt sich als erste wichtigste Aufgabe die Schaffung einer hohen allgemeinen und zugleich aber auch speziellen Belastbarkeit, weil die im Verlaufe der Trainingsjahre erforderliche Belastungserhöhung und zunehmende Spezialisierung nur ohne größere Verletzungsausfälle zu Spitzenleistungen im Erwachsenenalter führt. Trotzdem gelten auch hier die bisher dargelegten Prinzipien. Wer nur langsam läuft wird in der Konsequenz Langstreckler.

Die Wirksamkeit des 800 m- Trainings ist vor allem dann gewährleistet, wenn:

  • die allgemeine Kondition und Beweglichkeit ein möglichst hohes Niveau haben
  • die Lauftechnik und die Techniken der eingesetzten Trainingsübungen vor der einsetzenden Belastung gut ausgeprägt sind
  • eine hohe Komplexität im Einsatz der Trainingsformen gewährleistet ist
  • eine geschwindigkeitsgeführte Belastungsentwicklung in den verschieden Intensitätsbereichen im Jahresverlauf im Richtung Jahresziel erfolgt
  • in der jeweiligen Geschwindigkeit auch ein der Zielstrecke entsprechender Umfang pro TE absolviert wird
  • die Schnelligkeitsentwicklung und Schnellkraft ganzjährig im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen
  • die Trainingsabschnitte von den Wettkampfphasen deutlich abgegrenzt werden, damit eine optimale Leistungsausprägung erfolgen kann
  • die Wettkampfgestaltung modernen Anforderungen (Wettkampfblöcke mit Zwischentrainingsphasen) entspricht und die Starthäufigkeit (VL, ZWL, HF, F) bei den Wettkampfhöhepunkten ausreichend vorbereitet wurde
  • das Training auf die schnell kontrahierende Muskelstruktur ausgerichtet ist, deren Erhaltung sichert und auch die Laktatmobilisationsfähigkeit optimal ausgeprägt wird

© Lothar Pöhlitz in "Leichtathletik Coaching-Academy"

Leichtathletik Coaching-Academy

– Teil 2 – Teil 3 «««folgt

author: GRR

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