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13
07
2009

Wer zuckerkrank ist, sollte sich ausgewogen ernähren, Spezial-Lebensmittel sind überflüssig.

Diabetiker brauchen keine Extrawurst – Wer zuckerkrank ist, sollte sich ausgewogen ernähren. Spezial-Lebensmittel sind dagegen überflüssig. Dr. Adelheid Müller-Lissner im Tagesspiegel

By GRR 0

Nicht nur vor Weihnachten und vor Ostern, sondern ganzjährig ist das Angebot an Schokolade und anderen Süßigkeiten in unseren Supermärkten so verlockend wie unüberschaubar. Abseits davon, in einem kleineren Extra-Regal mit deutlich reduziertem Sortiment, liegt die Schokolade mit dem Etikett „Für Diabetiker geeignet“. Fragt man Diabetes-Spezialisten und Ernährungswissenschaftler, dann könnte man die Regale mit den Spezial-Lebensmitteln für Diabetiker eigentlich ganz abbauen.

„Spezielle Lebensmittel für Diabetiker sind nicht nötig“, stellte das Bundesinstitut für Risikobewertung vor knapp zwei Jahren fest. „Für Diabetiker gelten inzwischen die gleichen Empfehlungen für eine gesunde Ernährung wie für die Allgemeinbevölkerung.“ Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung sagt, eine „diabetesgerechte Ernährung“ entspreche „in den Grundzügen einer ausgewogenen vollwertigen Mischkost“ (siehe Infokasten).

Das Angebot an Spezial-Keksen, Schokoladen und Puddingpulvern könnte nach Ansicht von Ernährungsexperten sogar schädliche Folgen haben – wenn die Konsumenten sich in der Sicherheit wiegen, hier ausschließlich „Gesundes“ zu kaufen. „Problematisch ist, dass hier etwas vorgegaukelt wird, was nicht erfüllt werden kann“, sagt Susanne Klaus vom deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke (Dife). „Die Produkte müssen wirklich vom Markt, das ist langsam ein Ärgernis“, findet auch Monika Töller vom Deutschen DiabetesZentrum in Düsseldorf.

Zwar enthält die Diabetiker-Schokolade statt des Traubenzuckers (Glukose) des normalen Haushaltszuckers Fruchtzucker, der den Blutzucker weniger ansteigen lässt. Mit dem aber haben Diabetiker Probleme, weil bei ihnen das Hormon Insulin nicht oder nur unzureichend für die Verarbeitung des Zuckers sorgt, der mit der Nahrung ins Blut gelangt.

Im selteneren Fall des Diabetes mellitus vom Typ I produziert die Bauchspeicheldrüse es nicht oder in zu geringen Mengen, bei der Mehrheit der Zuckerkranken vom Typ II („Alterszucker“) ist der Organismus gegen das Hormon unempfindlich geworden.

Das Konzept des Zuckeraustauschs klingt also zunächst einleuchtend. „Fruktose wird bei Diabetikern allerdings innerhalb kurzer Zeit in Glukose umgewandelt“, sagt Andreas Pfeiffer, Diabetes-Experte an der Berliner Uniklinik Charité. Weil die Fruktose zudem leichter in Fett umgebaut wird, steigt beim Konsum größerer Mengen auch das Risiko, dass die Leber verfettet.

Wenn es darum geht, welche Ernährungsweise für Diabetiker oder für Menschen mit Vorstufen der Erkrankung gut ist, nennt Pfeiffer als entscheidenden Faktor das Körpergewicht. Das Risiko, einen Alterszucker zu bekommen, ist für Übergewichtige um ein Vielfaches größer als für Schlanke. Bei einem Körpermasseindex (Body Mass Index BMI, errechnet als Gewicht in Kilo geteilt durch Körpergröße in Metern im Quadrat) von über 35 ist es etwas vierzig Mal höher als bei einem BMI von 21.

Und auch das Umgekehrte gilt: Diabetiker, die ein paar Kilo abnehmen, haben gute Chancen, ihre Empfindlichkeit für Insulin wieder zu steigern – und damit weniger oder kein Insulin mehr spritzen zu müssen. Langfristig ist es am wichtigsten, nicht mehr Energie aufzunehmen als zu verbrauchen.

Neben Bewegung hilft dabei die Auswahl von Lebensmitteln, die möglichst wenig Kalorien auf möglichst viel Raum enthalten. Leider gehört der „Diabetiker-Osterhase“ nicht zu ihnen, denn er enthält genausoviel Fett als seine Artgenossen aus den anderen Regalfächern.

Antwort auf die Frage, welche Ernährungsform am wirkungsvollsten hilft, nach einer Gewichtsabnahme das Gewicht zu stabilisieren – und damit das Ausbrechen der Zuckerkrankheit zu verhindern –, wird von einer großen EU-finanzierten Studie namens Diogenes (für: Diet, Obesity and Genes) erwartet. Mehr als 500 Familien aus sieben europäischen Ländern und 90 deutsche Familien, in denen die Eltern und mindestens ein Kind mit Übergewicht zu kämpfen haben, wurden einbezogen.

Die 1250 übergewichtigen erwachsenen Studienteilnehmer mussten zunächst acht Prozent ihres Körpergewichts abnehmen und wurden dann per Los einer von vier Diätgruppen zugeteilt: eiweißreich oder eiweißarm, mit hohem oder niedrigem glykämischem Index.

Der glykämische Index teilt Lebensmittel, die vorwiegend Kohlenhydrate enthalten, nach ihrer Auswirkung auf die Insulinausschüttung ein. Je höher der Index, desto schneller gehen die in dem Lebensmittel enthaltenen Zucker ins Blut und desto rascher wird Insulin ausgeschüttet.

Die Familien, die sich in Maastricht und in Kopenhagen beteiligten, bekamen neben einer Ernährungsschulung übrigens auch das Angebot, sich ihre Lebensmittel in einem eigens für die Studie errichteten Supermarkt auszusuchen.

Nach einem halben Jahr wurde geschaut, welche Ernährungsform ihnen am besten dabei geholfen hatte, das Gewicht zu halten. Zwar zeigten sich in der Zwischenauswertung, die im Mai in Amsterdam vorgestellt wurde, nur kleine Unterschiede, „doch am besten fuhren die Teilnehmer, die sich eiweißreich ernährt hatten“, resümiert Pfeiffer.

Diabetiker oder Menschen mit Vorstufen der Erkrankung sollten neueren Erkenntnissen zufolge auch darauf achten, genug Ballaststoffe zu sich zu nehmen. Pfeiffer und seine Arbeitsgruppe haben vor kurzem herausgefunden, dass sich der Blutzuckerspiegel junger, gesunder Testpersonen in einem Zuckerbelastungstest bei gleich bleibendem Insulinspiegel um 30 Prozent senken ließ, wenn sie täglich 30 Gramm unlösliche Ballaststoffe aus Weizen oder Hafer auf den Speisezettel setzten. Pfeiffer würde sich wünschen, dass mehr Brot mit höherem Anteil an pflanzlichen Proteinen auf den Markt käme. Neben Soja und Erbsenmehl könnte man etwa Lupinenmehl einbacken. „Solche Produkte könnte man durchaus herstellen, und sie wären nicht allein für Diabetiker gesund.“

Auch wenn sie keine eigenen Lebensmittel brauchen: „Diabetiker profitieren natürlich davon, wenn sie einige spezielle Ernährungsregeln beachten“, sagt Pfeiffer. Wie viele Kohlenhydrate sie essen, darüber sollten besonders Typ-I-Diabetiker, die auf Insulin angewiesen sind, gut Bescheid wissen.

Aber auch für Typ-II-Diabetiker ist das nicht gleichgültig. „Wenn sie wenig Kohlenhydrate zu sich nehmen, kommen sie mit dem vorhandenen Insulin besser zurecht", sagt Pfeiffer. Schlecht wäre es allerdings, wenn bei einer „Low-Carb-Diät“ dann Zucker und Mehl durch Fett ersetzt würden.

Eine gute, deutlich lesbare Kennzeichnung von Lebensmitteln, aus denen sich ihr Gehalt an verschiedenen Bestandteilen, unter anderem auch die genaue Kohlenhydratmenge, entnehmen lässt, ist folglich für Menschen mit Diabetes noch wichtiger als für alle anderen Konsumenten. Um gut einzukaufen, müssen sie ein bisschen mehr Zeit aufwenden und etwas mehr ernährungswissenschaftliche Grundbildung mitbringen.

Zucker dürfen Zuckerkranke übrigens trotz ihrer Krankheit zu sich nehmen. „Als Geschenk kann man durchaus auch mal ganz normale Schokolade mitbringen, aber lieber nur wenig von etwas Edlem“, sagt die Diabetesexpertin Töller. Denn es tut Diabetikern nicht gut, Süßigkeiten in großen Mengen zu essen.

Allerdings ist sehr die Frage, ob das überhaupt jemandem gut tut, von den Herstellern einmal abgesehen.

Dr. Adelheid Müller-Lissner im Tagesspiegel, Donnerstag, dem 9. Juli 2009 

author: GRR

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