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24
08
2009

Weiße Jungs und Mädchen laufen nicht per se langsamer als schwarze? Man könnte zwar den Eindruck haben, dass das doch so ist, weil in den Finals aller großen Meisterschaften fast nur dunkelhäutige Athleten am Start sind. Aber in Jamaika und Amerika hat der Sprint eine ganz andere Kultur als bei uns; da sprinten einfach sehr viel mehr Menschen als in Deutschland.

Trainingswissenschaftler Mester – „Die Gene machen fünfzig Prozent aus“ – Michael Reinsch in der Frankfuter Allgemeinen Zeitung

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24. August 2009 Trainingswissenschaftler Joachim Mester im Gespräch über die Grenzbereiche von Leistungssportlern.

Es heißt, die Überlegenheit von Jamaikanern wie Usain Bolt und schwarzen Amerikanern, von Kenianern und Äthiopiern habe genetische Gründe. Stimmt das?
 
Wissenschaftlich ist das nicht sauber belegt. Es gibt zwar eine Reihe von Studien, die zum Beispiel auch die Muskelfaserstruktur untersucht haben. Aber der wissenschaftliche Beweis, dass die Erfolge überwiegend genetischen Faktoren in den genannten Bevölkerungsgruppen zuzuordnen sind, wurde noch nicht geführt. Generell weiß man jedoch, dass genetische Voraussetzungen zu etwa fünfzig Prozent Leistungen erklären können, nicht nur im Sport, auch im Lernverhalten.

Weiße Jungs und Mädchen laufen nicht per se langsamer als schwarze?

Man könnte zwar den Eindruck haben, dass das doch so ist, weil in den Finals aller großen Meisterschaften fast nur dunkelhäutige Athleten am Start sind. Aber in Jamaika und Amerika hat der Sprint eine ganz andere Kultur als bei uns; da sprinten einfach sehr viel mehr Menschen als in Deutschland. Genauso ist es mit dem Langstreckenlauf in Kenia und Äthiopien. Bei uns spielen eben viel mehr junge Menschen Fußball.

Sie sehen mehr soziale Gründe?

 
Unter anderem; es geht aber offensichtlich auch in Deutschland. Wir können ja hier in unsere eigene Vergangenheit blicken, ins Jahr 1960. Da ist ein weißer Sprinter aus einer Bergarbeiterfamilie im Saarland 10,0 Sekunden gesprintet …

Armin Hary.

Richtig, das war zwar mit einer Handstoppung, das heißt, man schlägt in der Regel 0,2 Sekunden gegenüber einer elektronischen Zeitnahme auf. Andererseits müssen wir ihm aber zugutehalten, dass er auf Asche gelaufen ist, und das in Spikes, die sicher schlechter waren als die von heute. Auch die Startblöcke waren andere. Man muss ihm dafür etwa zwei Zehntel wieder abziehen, womit er nach heutigen Maßstäben bei 10,0 Sekunden oder vielleicht sogar etwas darunter steht.

Was müsste passieren, um solche Weltklasseleistungen heute zu erreichen?

Das ist so einfach, dass ich mich kaum traue, es zu sagen. Es gibt zehn Gründe plus einen weiteren für Spitzenleistungen, und keiner ist unbekannt: Talent, hohe und höchste Leistungsmotivation, Unterstützung durch Eltern, Schule und Umfeld, eine frühzeitige, nicht nur eine koordinative, sondern auch konditionelle Vorbereitung im Kindes- und Jugendalter, langfristige und gesunde Steigerung der Belastung, permanente Kontrolle des Belastungszustandes und der Belastbarkeit, hochkompetente Trainer, optimale wissenschaftliche Unterstützung für Mensch und Material, finanzielle Absicherung während des Leistungssports mit Vorbereitung der beruflichen Karriere danach und schließlich Zeit für Leistungssport. Der elfte Grund ist Doping. Die ersten zehn Gründe reichen aus, wenn wir sie besser organisieren.

Wird das denn nicht überall auf der Welt praktiziert, einschließlich Dopings?

Ich weigere mich zu glauben, alle Topleistungen seien durch Doping erreicht worden. Ich bin absolut überzeugt: Spitzenleistung ist ohne Doping möglich. Wir haben in Deutschland ein wissenschaftlich hochentwickeltes System zwischen der wissenschaftlichen Grundlagenforschung, der Anwendungs- und Praxisforschung. Allerdings brauchen wir deutlich mehr Grundlagenforschung in Deutschland. Wir haben hervorragende Trainingsstätten. Es ist uns aber noch nicht hinreichend gelungen, die Erkenntnisse zeitnah für die Anwendung in Beratung und Betreuung auch vernünftig zusammenzulegen.

Die Doper und Dealer sind extrem einfallsreich und arbeiten mit ausgefeilten Methoden in der Entwicklung und Anwendung von Doping-Substanzen.

Auf der anderen Seite wird aber bei uns in der Praxis oft versucht, mit einfachen und unzureichenden Kenngrößen Spitzenleistungen verlässlich zu steuern: Krafttests, Schnelligkeitstests, Laktattests, Herzfrequenzmessung und – wenn es hoch- kommt – Sauerstoffaufnahme! Das reicht heute für einen Platz in der internationalen Spitze nicht mehr aus.

Der Schwimmer Michael Phelps hat eine ganze Schar von Trainern und wissenschaftlichen Beratern um sich.

Was immer man über die Leistungen von Phelps denkt: Wissenschaftlich sind in dem Team sehr gute Leute (zum Beispiel aus der Biomechanik). Ich kenne einige von ihnen. Phelps ist ein Beispiel dafür, dass man Menschen, die gezielt in Grenzbereiche der eigenen Leistungsfähigkeit gehen, dies nicht mit veraltetem Wissen tun lassen darf. Man kann auch nicht erwarten, dass sie sich auf einen einzigen Kenntnisträger verlassen. Es sind eben hochkompetente Teams erforderlich.

Das Gespräch führte Michael Reinsch. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Montag, dem 24. August 2009

 

author: GRR

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