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10
02
2010

Selbstverständlich gibt es innerhalb einer bestimmten Gruppe unterschiedlich talentierte Athleten. Jeder hat Schwächen und Stärken

Dieter Hogen über Talent Sichtung und -Erkennung sowie die zentrale Rolle im Prozess der Entwicklung von Spitzenathleten – Teil II

By GRR 0

Talente Erkennung
In der Vergangenheit aber mitunter auch heute noch wird oft die Frage diskutiert: "Was ist Wichtiger, um in die Weltspitze vorzudringen, Talent oder harte Arbeit?" Manche fragen sogar, wieviel % Talent und wieviel % sind Training?

Für meine Begriffe inszeniert jeder, der es sich zum Ziel setzt exakte Zahlen zu finden, für sich selbst einen riskanten Drahtseilakt mit sehr ungewissem Ausgang. Vieleicht sollte man überhaupt nicht versuchen, diese beiden Erfolgsvoraussetzungen auf derartige Weise in Relation zu setzen. Es ist durchaus möglich eine zufriedenstellende Antwort zu geben, ohne mit fragwürdigen Prozenten jonglieren zu müssen.

Natürlich sind beide Dinge, Talent und Training, untrennbar miteinander verbunden. Es beginnt schon damit, dass man erstens Talente nur erkennt, wenn sie sich auch betätigen und zweitens Entwicklungen bis hin zur Weltspitze selbst für hoch veranlagte Athleten nur durch kluge, jahrelange harte Arbeit möglich sind.

Wenn ich darüber nachdenke, fallen mir auch oft Beispiele aus anderen Bereichen des Lebens ein, z.B. der Musik. Viele der grossen Meister sind bereits als Kinder aufgefallen. Sie haben sich als 5-Jährige ans Klavier gesetzt und waren in der Lage in nur kurzer Zeit etwas nachzuspielen ohne jemals eine Note gesehen zu haben; niemand hatte sie darauf getrimmt. Ihre Veranlagung liess sie die Musik besser hören, fühlen, tief empfinden und die Finger folgten.

 

Im Sport ist es nicht anders. Talente zeichnen sich durch überragende genetische Voraussetzungen aus und lernen schnell.

 

Beim Laufen müssen von der physischen Seite her Herz und Lunge bestens funktionieren, die Sauerstoffaufnahme, der anschliessende Transport und die Verwertung in der Muskelzelle zur Energiegewinnung. Die Menge der Enzyme und Mitochondrien, deren Produktion und Leistungsfähigkeit sind von enormer Bedeutung, die Hormonproduktion, Eiweiss-Synthesen und vieles mehr das ihr in der Fachliteratur nachlesen könnt.

Bestimmte psychische- und Charaktereigenschaften sind nicht minder bedeutend.  Alles ist in einem vorgegebenen Rahmen entwickelbar, für jeden, aber Talente haben eine bessere Ausgangsposition und können sich ausserdem mit entsprechender Arbeit an den für Menschen möglichen oberen Bereich dieses Rahmens hin entwickeln.

Selbstverständlich gibt es innerhalb einer bestimmten Gruppe unterschiedlich talentierte Athleten. Jeder hat Schwächen und Stärken. Diejenigen, die eine fast makellose Weste haben, bezeichnen wir oft als Supertalente. Wie uns aber die Erfahrung lehrt, erreichen auch sie erst Leistungen im Bereich der bestehenden Weltrekorde, wenn sie "super" trainieren, da macht weder Usain Bolt noch Haile Gebrselassie eine Ausnahme.

Ausserdem gibt es da noch etwas, das nicht immer so leicht zu erklären ist. Wer nicht nur schnell laufen sondern auch gewinnen will, muss manchmal noch “zaubern” können, u.a. in der Endphase eines Wettkampfes. Vielen kommen hier sicher die Begriffe Wettkampftyp und “Killerinstinkt” in den Sinn. Wer will da immer sagen wo genau das herkommt oder welche Prozente in Bezug zu was da eine Rolle spielen.

Noch mal – wer kein Ausnahmetalent ist, d. h. von seiner genetischen Struktur hochgradig veranlagt, nicht gleichzeitig durch entsprechendes Training an seine Leistungsgrenzen geht, nicht seinen Charakter entsprechend den Anforderungen seiner Sportart bzw. Disziplin geformt hat und nicht über die spezifischen psychischen Merkmale verfügt die Training und Wettkampf  auf  höhstem Niveau möglich machen, wird keine Ausnahmeleistungen mehr erreichen. Für mich wäre dies eine völlig ausreichende Antwort auf die oben diskutierte Frage, da ich nicht glaube, dass mit den heutigen Methoden der Wissenschaft genaue prozentuale Verhältnisse errechenbar sind

Je weiter man allerdings in der Geschichte des Sports zurückgeht, umso mehr bestand die Möglichkeit, mangelndes Talent durch härtere oder auch klügere Arbeit auszugleichen und dadurch trotzdem in die Spitzenbereiche vorzudringen – dem würde ich zustimmen. Ich würde dann aber auch gern hinzufügen, dass nach meiner Auffassung viele der Top-Athleten der Vergangenheit auch heute die "Bestimmer" wären. Unter den damaligen sozialen und materiellen Bedingungen, dem Stand der Trainingswissenschaft, Ernährung oder der Materialentwicklung hatten sie sich durchgesetzt und waren die Besten, genauso wie sie mit Hilfe der heutigen Bedingungen auf höherem Niveau ebenso die Besten wären. Unsere Gene sind immer noch die gleichen.

Mit kluger Aufbauarbeit als Voraussetzung halte ich es im Ausdauerbereich durchaus für möglich, hohe Leistungen über einen Zeitraum von mindestens 15 Jahren zu erzielen.

 

Ich würde nun gern zu einigen Punkten kommen, die Anzeichen dafür sind ob und in welchem Masse jemand talentiert ist.

 

Man könnte natürlich ganz einfach sagen, Talente lernen schneller schnell zu laufen und sind am Ende die Schnellsten.
Die Gesamtheit der Umweltbedingungen formt ein Talent und bringt die gegebene genetische Struktur zur vollen Entwicklung, oder eben nicht. Welche der Voraussetzungen in genau welchem Masse bereits genetisch vorgegeben sind, physisch, charakterlich, etc. und wie sehr sich jedes einzelne Merkmal, das ein Talent zum späteren "Sieger" macht, entwickeln lässt, kann ich nicht sagen. Ebenso ist es unmöglich, die Gesamtentwicklung eines Kindes oder Jugendlichen genau einzuschätzen, woraus die Notwendigkeit resultiert, in der Auswahl grosszügig zu sein; je jünger die Sportler, umso grosszügiger.

Dies ist ausserdem der Grund, weshalb auch ein sehr junger Sportler, der hochgradig veranlagt zu sein scheint, mit altersgerecht hartem, diszipliniertem, systematischem Training konfrontiert werden muss, wobei das emotional positive und motivierende Erleben des Gesamtprozesses durch den Sportler entscheidend ist für seine Perspektive. Disziplin ist auf keinen Fall mit Drill gleichzusetzen. Wer diesen Prozess nicht versteht, wird mit seinen Supertalenten scheitern.

Nichts ist gefährlicher als zu glauben, dass man mit geringerem Aufwand trotzdem auf Dauer besser sein kann als andere. Nichts ist gefährlicher, als in zu engem Rahmen zu denken, weil es einige in der Welt gibt, die genauso talentiert sind aber möglicherweise nicht nur besser trainiert sondern dadurch auch die notwendigen Charaktereigenschaften besser geformt haben und diese Athleten, nicht meiner, werden dann die internationale Szene bestimmen.

In den ersten zehn Jahren meiner Trainertätigkeit, von 1977 – 1986, hatte ich ausschliesslich junge, erst 13 – 15 und dann 16 – 19-jährige männliche Mittel – und später Langstreckler betreut. Der gesamte Prozess begann natürlich mit der Talentesichtung, eine der Hauptaufgaben für einen Jugendtrainer. Innerhalb von wenigen Jahren hatten die von mir ausgewählten Jugendlichen mehr als 50 Landesmeistertitel bei Hallen-, Cross- und Freiluftveranstaltungen sowie einige Medaillen bei internationalen Jugendwettkämpfen gewonnen.

Man kann also davon ausgehen, dass nicht nur das Trainingsprogramm sondern auch die Talente- Trefferquote nicht schlecht war. Im Laufe dieser Zeit hatte ich viele hundert Kinder und Jugendliche gesehen, die aus den Trainingszentren im Rahmen des Sichtungsprozesses bei den Sportclubs vorgestellt worden waren, heutzutage nicht mehr als ein Traum.

Der Sichtungsprozess als auch die anschliessende jahrelange Arbeit mit den Ausgesuchten haben mich folgende Erfahrungen gelehrt (ich beschränke mich in diesem Artikel auf Dinge, die am schnellsten und deutlichsten auffallen):

Talente erreichen bessere Leistungen als ihre Mitstreiter, im Jugendbereich sind sie besser als die meisten biologisch gleich entwickelten, ohne mehr Training dafür absolvieren zu müssen, oft im Gegenteil.  Sie erzielen schnell grosse Fortschritte und erreichen das nationale Niveau in 2-3 Jahren, gezieltes Training vorausgesetzt. In der Jugend ist absolutes Alterklassen – Spitzen – Niveau nicht unbedingt Voraussetzung für spätere Spitzenleistungen, da es viele Faktoren gibt, physisch, psychisch und charakterlich, die im Einzelfall mitunter relative lange brauchen um sich zu entwickeln, am Ende aber, entsprechende Geduld vorausgesetzt, zum Durchbruch kommen.

Natürlich zeigen sich im jahrelangen Prozess immer positive Entwicklungen. Man sieht etwas in diesen Athleten, das man manchmal nicht so richtig oder nur mit Schwierigkeiten beschreiben kann (als Trainer hat man so ein gewisses Gefühl, entwickelt ein ”Auge” für’s Talent, was auch Ausdruck des Talentes des Trainers ist).

 

Mehr Lockerheit

 

Talente sind oft in der Lage, vergleichbare Leistungen, wie z.B. hohe Trainingsbelastungen in intensiven Bereichen, mit mehr Lockerheit und scheinbarer Leichtigkeit im Gesamtbewegungsablauf zu absolvieren als ihre Kontrahenten. Sie können während des Laufens in jedem einzelnen Schritt besser entspannen und sehen dadurch flüssiger aus, haben einen guten Laufrhythmus. Sie laufen bis ans Ende eines bestimmten Streckenabschnitts, z.B. während eines Intervalltrainings, anstatt dahin sichtbar kämpfen zu müssen. Das hat nichts damit zu tun, dass man ab und zu an seine Leistungsgrenzen gehen muss, da es ja im Wettkampf nicht selten gefordert wird.

Talente entwickeln den natürlichen Drang sich ab und zu im Training mit ihren Partnern zu messen, haben Spass daran den Gewinner des letzten Streckenabschnitts zu ermitteln.
Es ist ganz wichtig zu beachten, dass falsche Inhalte und Zielsetzungen im Kinder- und Jugendtraining diese so dringend notwendige Eigenschaft des lockeren, entspannten Laufens, auch bei hohen Geschwindigkeiten, verhindern könnten.

Sie haben grössere Reserven in dem was sie machen, neigen seltener zum Übertraining und können im Wettkampf besser mobilisieren. Das entsprechende Feingefühl für die Bewegung und darüber hinaus das individuelle Mass der Belastung, was auch bei den vorhergehenden Punkten eine Rolle spielt, hilft ihnen dabei.
Talente können sich gut auf ihre Aufgaben konzentrieren und sind in der Lage im entscheidenden Moment “über sich hinaus zu wachsen”.

Aus anatomischem Blickwinkel haben wir es im Lauf mit den verschiedensten "Staturen" zu tun, die alle erfolgreich sein können, grössere, kleinere, mit Super- oder nicht so optimale Hebelverhältnissen, dies u.a. auf längeren Strecken. Was man nicht finden wird sind Athleten, die zu schwer sind für ihre Körpergrösse, weil gerade ein hervorragendes Last- Kraftverhältnis eine entscheidende Leistungsvoraussetzung ist.

Ohne starkes Immunsystem und gute Binde- und Stützgewebsverträglichkeit wird kein Talent “gross”.
Viele der Merkmale, u.a. auch psychische  und charakterliche, müssten im Weiteren natürlich ausführlicher diskutiert werden.

© Dieter Hogen

White Men can’t run – Weiße können nicht laufen? Dieter Hogen über das Training in Kenia und zur Situation der Laufszene in Kenia und Deutschland – Teil I

author: GRR

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