Aber nur, wenn das Spektakel ein sportliches bleibt. Die Eventisierung und Technisierung der Winterdisziplinen muss ihre menschlichen Grenzen finden – die Spiele in Vancouver haben das so deutlich gezeigt wie kein Sportereignis zuvor.
Olympia – Spektakulär sportlich Erfrischend kamen sie daher, die Winterspiele aus dem frühlingshaften Vancouver. Und mit dem Bild der übers Eis rutschenden Anni Friesinger auf dem Weg ins Halbfinale haben sie ein Schlussbild gefunden, das zu ihnen passt: eine sportliche Show mit einem überraschenden Sieg. Robert Ide im Tagesspiegel
Welch ein Spektakel: Eisschnellläuferin Anni Friesinger- Postma stürzt in ihrem letzten olympischen Wettbewerb auf das Eis, sie robbt und rutscht auf dem Bauch über die Bahn; alles scheint verloren, als sie mit letzter Kraft ihren Schlittschuh über die Ziellinie reißt.
Kurz darauf ist klar: Das deutsche Eisschnelllaufteam hat Gold gewonnen in der Teamverfolgung – einer Art Sechstagerennen auf Kufen. Und die Olympischen Winterspiele von Vancouver haben ein Schlussbild gefunden, das zu ihnen passt: eine sportliche Show mit einem überraschenden Sieg.
Erfrischend kamen sie daher, die Winterspiele aus dem frühlingshaften Vancouver. Mit jungen Wettbewerben in der Snowboard-Halfpipe und auf der Skicross-Achterbahn. Mit jungen, in ihren Landesfarben kostümierten Fans auf der Partymeile von Vancouver. Mit jungen Siegerinnen in einer erfolgreichen deutschen Mannschaft: Maria Riesch brachte die lange vermisste alpine Stärke zurück; Biathletin Magdalena Neuner zeigte Siegeswillen und Teamgeist, als sie nach zwei Goldmedaillen auf den Staffelstart verzichtete – und Viktoria Rebensburg, eine 20 Jahre junge Zollwachtmeister-Anwärterin, wuchs im Riesenslalom über sich hinaus.
Aufregende Geschichten, die das Leben schreibt mit Hilfe des Sports – Nacht für Nacht konnte man sie erleben. Der olympische Sport ist nach den von Dopingskandalen bestimmten Winterspielen von Turin und den von der Politik gelenkten Sommerspielen von Peking wieder ein wenig zu sich selbst gekommen. Kanada, zur rechten Zeit erfolgreichstes Wintersportland, feierte ausgelassen und gastfreundlich.
Und die Welt durfte staunen: Kann Leistungssport noch so locker begeistern?
Manchmal ja. Aber nur, wenn das Spektakel ein sportliches bleibt. Die Eventisierung und Technisierung der Winterdisziplinen muss ihre menschlichen Grenzen finden – die Spiele in Vancouver haben das so deutlich gezeigt wie kein Sportereignis zuvor. Der Tod des jungen Rodlers Nodar Kumaritaschwili im bewusst gefährlich konstruierten Eiskanal hinterlässt nicht nur für das Internationale Olympische Komitee einen Grund zum Nachdenken: Wie findet die technisch stimulierte Rekordhatz ihr Ende? Wieso muss ein Schlitten immer waghalsiger die Rinne herunterrasen, weshalb müssen steile Skihänge zusätzlich vereist werden, warum muss das Eis im Kufenoval künstlich auf Höchstgeschwindigkeit temperiert werden?
Für die Zuschauer in den Skistadien und an den Fernsehschirmen macht die Jagd auf um Sekundenbruchteile unterbotene Rekorde keinen erkennbaren Sinn. Und für die Sportler treibt sie das Risiko ins Unkontrollierbare. So kann sich ein Spektakel schnell selbst kaputtmachen.
Den Sport als Ereignis zu schützen, das müssen Olympische Spiele der Neuzeit leisten. Dass Dopingfälle inzwischen eher vor der Eröffnungs- oder nach der Schlussfeier bekannt gemacht werden, mag die Veranstaltung schöner aussehen lassen. Am für die Athleten und den Sport gleichermaßen lebensbedrohlichen Medikamentenmissbrauch ändert es nichts. Scharfe Nachkontrollen sind deshalb ebenso vonnöten wie ein geschärfter Blick auf die kommenden Ereignisse.
Der Größenwahn von Sotschi, wo die Winterspiele 2014 mit aller Macht in einen Sommerbadeort gepresst werden, ist schon jetzt ein Rückschritt. Es braucht nachhaltige Spiele, die den Sportlern und ihren Geschichten Raum lassen, sich zu entfalten. Das sollte Münchens Bewerbung für 2018 von Vancouver lernen.
Olympia kann am besten mit sich selbst begeistern. Sport ist Spektakel genug.
Robert Ide im Tagesspiegel, dem 01.März 2010