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03
2010

Deutschlands Läufer/Innen sind nicht so schlecht, wie sie derzeit auftreten, können wesentlich mehr, als sie sich derzeit zutrauen und sind durchaus bereit, einiges zu opfern, wenn man ihnen gezielt hilft.

International erfolgreich laufen heißt professionell trainieren – Ein immerwährendes Klagen über das Sorgenkind „deutscher Lauf“ hilft nicht weiter – Kurt Ring bezieht Stellung

By GRR 0

Regensburg, 8. März 2010 (ring) –  Die Deutschen Crosslaufmeisterschaften 2010 sind Geschichte, die immerwährenden Klagen über die einstmals so erfolgreiche Sparte der deutschen Leichtathletik aber keineswegs. Während man sich im Bereich Sprint inzwischen wieder beruhigt zurücklehnt, im Mehrkampf und in der Sprungabteilung ein deutlicher Aufwärtstrend unverkennbar ist und der Bereich der Werfer und Stoßer vor Selbstbewusstsein nur so strotzt, scheint der deutsche Lauf in den unendlichen Weiten der internationalen Leichtathletik bis auf einige wenige Sternschnuppen total zu verglühen.

Die Ansätze zur Abwendung der Misere waren auch wieder am Rande des Stockacher Parcours zu hören – vielfältig, durchaus konstruktiv und allemal besser als jener Zustand des Nichtstuns in Sachen Neustrukturierung. Die Dinge beim Schopf zu packen, ist aber gar nicht so einfach angesichts des Problems, wo man denn zuerst anfangen sollte.

 

Das Termindurcheinander muss verbessert werden

Anfangen könnte man sicher beim Termindurcheinander des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, der den wenigen Aspiranten für internationale Aufgaben eine Fülle von Möglichkeiten, innerhalb des Verbandskalenders dazu noch schlecht abgestimmt, bietet. Eine Cross-EM im Dezember, eine Hallen-DM im Februar, eine Hallen-WM im März und eine Cross-WM Ende März ist mit Zielsetzung Europameisterschaften in Barcelona einfach nicht unter einen Hut zu bringen.

Abgesehen vom schlecht beeinflussbaren internationalen Kalender, der für Deutschlands Läufer/Innen aber mit Ausnahme der Cross-EM mangels Klasse eh schon (fast) keine Rolle mehr spielt, könnte man sowohl in Richtung Hallenperiodisierung und Crossperiodisierung schon eine konsequentere Richtung einschlagen. Vor allem die Sache Cross läuft bei weitem nicht so, dass sie den eigentlichen Sommerhöhepunkten gerecht werden könnte. Eine Doppelperiodisierung lohnt nicht, wenn der eigentliche Höhepunkt, die Cross-EM, im Dezember vorweg genommen wird. Eine mit Mannschaften besetzte Cross-WM wird bei derzeitigem Leistungsstand auch in den nächsten fünf Jahren nicht zu verwirklichen sein.

Deshalb hier eine gewagte Hypothese: Warum nützt man nicht den Herbst der nächsten fünf Jahre, um den quantitativen Ausbau der neu zu formierenden deutschen Langstreckenelite über erhebliche Umfangsverbesserungen voranzutreiben, um dann in einer altbewährten Einfachperiodiserung ab Januar die Dinge in Richtung Sommer voranzutreiben. Die Konsequenz daraus wäre, die nationalen Crosstitelkämpfe wieder wie in früheren Jahren Richtung Ende März zu schieben, um auch jenen Nachwuchskönnern,die im lauffeindlichen Winter nicht gen Süden reisen können, die Möglichkeit zu geben, den ersten Saisonhöhepunkt unter vernünftigen Boden- und Temperaturvoraussetzungen – zumindest innerhalb der letzten vier Wochen – vorbereiten zu können.

Das Thema Straßenlauf kann man getrost in den Herbst verlagern, die Sache 10.000 m Meisterschaften wieder dorthin, wo sie hingehört, nämlich in den Frühsommer, Mitte bis Ende Juni. EM’s und WM’s über die längste Bahnstrecke werden schließlich auch im Hochsommer entschieden und eine Frühform Anfang Mai (jetziger Zeitpunkt der Deutschen Meisterschaften) gibt überhaupt keine Garantie für eine erfolgreiche EM/WM-Teilnahme im August.

Qualitätstraining ist nicht überall möglich

Was würden Sie sagen, wenn Deutschlands erfolgreiche Skilangläufer sich im September in Deutschland über zu wenig Schnee um diese Jahreszeit und zu hohe Temperaturen beschweren würden? „Na, die haben doch eine Meise“, würde wie aus der Pistole geschossen kommen. Richtig, Deutschlands Skilanglaufelite ist ja nicht blöd und fährt zu diesem Zeitpunkt bei Bedarf auf den Gletscher. Betrachten wir nun mal die Sache umgekehrt. Am Rande der Stockacher Piste beklagten sich die Verantwortlichen des deutschen Laufs über winterlichen Verhältnisse, die ein Laufen in freier Natur nun schon seit sechs Wochen unmöglich macht, zumindest jenes Laufen qualitativ guter Ausführung.

Da ist er nun – der berühmte Aha-Moment: Was die Skilangläufer im Sommer machen, könnten wir Langstreckler doch umgekehrt im Winter machen, nicht nur um Körper und Seele bei 15 Grad über Null und garantiert schneefreien Wegen baumeln zu lassen, sondern um endlich einmal wieder qualitativ gut trainieren zu können. Dazu braucht es Trainingslagerketten, die helfen, die garstigen Verhältnisse im deutschen Januar und Februar zu überbrücken.

Bei einer Kooperation zwischen Vereinen, Landesverbänden uns DLV auf Augenhöhe sollte doch eine Kette von Trainingslagern mit den Einzelteilen Ende Weihnachtsferien (14-tägig – Anfang-Mitte Januar), Beginn der Semesterferien (14-tägig – Mitte Februar bis Anfang März) und Frühjahr (3 Wochen Mitte März bis Anfang April) möglich werden, vorausgesetzt, dem Verband gelingt es, die Universitäten der Kaderathleten/Innen davon zu überzeugen, dass jene Zeiträume von Prüfungsterminen frei gehalten werden. Die Zwischenwochen könnten gut für Regeneration, die vom Deutschen Cross-Vizemeister Steffen Justus empfohlene Verstärkung des semispezifische Trainings oder Hallen- bzw. Crosswettkämpfe genutzt werden.

Konzentration der Kräfte unter Federführung des DLV

Nicht nur Olympiasieger Dieter Baumann, im Nebenjob auch Trainer vom derzeitigen Spitzenlangstreckler Arne Gabius, fordert ein stärkeres Einbringen des DLV in die Sache Lauf, auch der zuständige Cheftrainer Rüdiger Harksen mahnt Taten an: „Wir müssen ein effektives Scouting-System entwickeln um Talente zu entdecken und für’s Laufen zu gewinnen. Dazu müssen wir uns enger mit Heimtrainern und Landesverbänden verzahnen, um den Laufbereich Richtung 2016 nach vorne zu bringen.“

Alles das sind lobenswerte Absichtserklärungen, gut gemeint, aber noch immer nicht umgesetzt. Taten müssen folgen. Jenes hochgefährliche Konkurrenzdenken zwischen Heim-, Landes- und Bundestrainern, freilich selbst erzeugt, weil viele der hauptamtlichen Verbandstrainer eben auch noch in der Individualbetreuung eines oder mehrerer Heimathleten beschäftigt sind, muss in eine sinnvolle Arbeitsverteilung aufgedröselt werden.

Eine Vertrauensebene kann erst dann geschaffen werden, wenn die Augenhöhe stimmt und die jeweiligen Heimtrainer nicht Angst haben müssen, dass ihre Athleten im Gegensatz zu den jeweiligen Bundes(heim)trainerathleten nur eine B-Betreuung erhalten, vielleicht sogar zum Bundestrainer-Club abgeworben werden.

Wer von Athleten Professionalität fordert, sollte dies auch für sich selbst fordern. Bundestrainer sein, heißt hundert Prozent Bundestrainer sein, bei voller Bezahlung und voller Verantwortung. Genauso ist mit den Landestrainern zu verfahren.

Die Trainierbarkeit erhöhen als nächstes Ziel

Wer das Heft Nummer 10 des Leichtathletik Magazins genau durchliest wird schnell auf Diskrepanzen stoßen, was ein Triathlet mal so eben trainiert und was ein 1500 m Läufer aufwendet, um an die internationale Klasse anzuschließen. Der Deutsche Vizemeister Steffen Justus spricht hier von zweimaligem Laufen pro Tag, 120 Wochenkilometern im Schnitt plus sechs Schwimmeinheiten bzw. fünf Radeinheiten pro Woche. Das sind zusammen 25 Einheiten die Woche. Unser einziger Läufer bei der Hallen-WM, Christian Klein absolviert laut Leichtathletik Magazin (Nr. 10 – Seite 7) in der selben Zeit ganze sieben Einheiten. 

Damit erreicht er zahlenmäßig nicht einmal die Hälfte des Laufsplits eines Steffen Justus. Und – beide Athleten sind trainingstechnisch keineswegs eine Ausnahme, ganz im Gegenteil repräsentieren so die Mehrheit in ihrer Sportart. Rein ketzerisch könnte man fragen: Trainieren Deutschlands Läufer zu wenig oder vielleicht sogar falsch? Zu all dem kommt eine hohe Verletzungsanfälligkeit der deutschen Läufer/Innen noch dazu. Man muss sich sogar die Frage stellen: „Warum haben die Kaderathleten der 70er und 80er Jahre des letzten Jahrhunderts ganz andere Quantitäten und Qualitäten trainieren können und warum können dies Triathleten heutzutage auch?

Außergewöhnliche Talente brauchen auch außergewöhnliche Herausforderungen

Eine kleine Antwort liegt sicher in dem Teufelskreis „Je weniger an Auswahl, desto schonender geht man damit um“. Nicht umsonst spricht Laufteamleiter Adi Zaar in dem Zusammenhang: „Die vorhandenen Talente müssen wir hegen und pflegen.“ Um das tun zu können, sollte man sich bei den Verantwortlichen klar sein, dass in Richtung „Internationalität“ jener Begriff „Talent“ neu definiert werden muss. Nehmen wir das Beispiel Nachwuchskader weiblich 1500 m.

Die Deutschen Jugendhallenmeisterschaften der 18- bis 19-Jährigen gingen zwischen 4:32 und 4:35 für die Medaillen weg, die Kadermädchen bewegten sich in der Regel in den letzten Jahren zwischen 4:20 und 4:30. Dafür wurden die Mädchen laut Aussage vieler Heimtrainer zwischen 5 und 7x pro Woche trainiert und wer mehr von seinem Schützling forderte, war bald misstrauischen Blicken seiner Kollegen ausgesetzt. Die Weltspitze der 18- bis 21-Jährigen bewegt sich inzwischen bei 4:05 und schneller. Die Anforderungsprofile der Weltspitze schon mit 21 oder 22 Jahren sind auch bekannt. Bungei und co. sind dann Vollprofis mit 12-14 Trainingseinheiten pro Woche.

Dieser Bogen von der deutschen Nachwuchsrealität bis hin zur internationalen Wirklichkeit ist innerhalb von zwei bis drei Jahren nicht zu schaffen. Das heißt im Klartext: Außergewöhliche Talent brauchen auch in Deutschland ein außergewöhnliches Training, d.h. Anpassungen an die Weltspitze müssen frühzeitig, aber langfristig in die Wege geleitet werden. Notfalls sollte man jene wenigen Edelsteine gleich ausgliedern in die jetzigen B-Kader, um sie gezielt fördern zu können. Ein Beispiel möchte ich gleich mitliefern. Mädels, die bei einer Junioren-WM unter die besten Fünf laufen wollen, sollten eine 4:15 bis 4:10 anbieten können.

Um jene Zeit erzielen zu können, braucht jenes Talent zumindest eine vL3 (aerob-anaerober Übergang) von um die 4,65 m/sec oder aber es ist pfeilschnell und rennt die 400 m so nebenbei in 53,0 sec. Gemeinsame Trainingslager mit ihrer C-Kaderathletinnen werden bei einer Ausgangslage von einer 4:25 im Schnitt zu wenig Gemeinsamkeiten führen, weil bei entsprechender Belastungsnotwendigkeit keine Gemeinsamkeiten mehr möglich sind. Zum besseren Verständnis möchte ich noch eine Stufe höher und zwei Strecken länger gehen: Was nützt einer Sabrina Mockenhaupt ein Trainingslager mit ihren Langstrecken-Kaderkolleginnen, die in der Regel über 5000 m zwischen 16 und 16:30 ins Ziel kommen? Über all diese Dinge darf nicht mehr nur geredet werden, es muss so schnell wie möglich gehandelt werden.

Auch viele kleine Schritte führen zum Ziel

Allein jene jetzt von mir durchgeführte Teilbetrachtung wirft einige, vielleicht sogar mit etwas gutem Willen leicht zu beseitigende Probleme des deutschen Laufbereichs auf. Daran etwas ändern kann man nur, wenn man auch zu Änderungen bereit ist. Schritt für Schritt, auch wenn’s am Anfang nur kleine sind und der vom DLV angedachte „round table“ mit allen Kaderathleten/Innen, deren Heimtrainer und der dafür verantwortlichen Leute im DLV ist überfällig.

Deutschlands Läufer/Innen sind nicht so schlecht, wie sie derzeit auftreten, können wesentlich mehr, als sie sich derzeit zutrauen und sind durchaus bereit, einiges zu opfern, wenn man ihnen gezielt hilft.
 
Kurt Ring

Quelle: lgr-Telis Regensburg

LG Telis Regensburg

author: GRR

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