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10
06
2010

Früher sollten sich Patienten mit Herzschwäche möglichst schonen. Doch heute gilt: Sport in Maßen ist für sie gesund

Immer in Bewegung – auch mit Herzschwäche – Björn Rosen im Tagesspiegel

By GRR 0

Einfach mal ins Hallenbad schwimmen gehen, das kann und darf sie nicht. Es wäre zu gefährlich. Karin Engelhardt könnte sich leicht überlasten. Die 72-Jährige mit den kurzen grauen Haaren leidet seit Jahren an chronischer Herzschwäche.

Und trotzdem sitzt sie an diesem Mittwoch, mit T-Shirt, schwarzer Jogginghose und roten Sportschuhen bekleidet, auf einem Fahrradtrainer und tritt eine halbe Stunde in die Pedale. „Das tut mir gut“, sagt sie und lächelt.

Engelhardt ist eine von an diesem Mittwoch sechs Teilnehmern der wöchentlichen Herzschwäche-Sportgruppe im Rehazentrum Rankestraße, gleich um die Ecke von der Gedächtniskirche. Seit Ende 2008 ist die Rentnerin aus Wilmersdorf, die früher für eine Versicherung arbeitete, dabei. Ihre Krankenkasse beteiligt sich an den Kosten. Dafür, dass sie und die anderen genau das Training bekommen, das sie brauchen, sorgt die Betreuerin der Gruppe: Brigitte Hartges.

Die blonde Physiotherapeutin weiß, wie viel sie ihren Schützlingen zumuten kann – und hat den Widerstand der Fahrradtrainer, gegen den die Teilnehmer jetzt anradeln müssen, entsprechend eingestellt. Die Belastung wechselt zwischen schwächer und stärker, am Ende klingt sie langsam aus. So ist es besonders gesund.

Bevor es mit dem Fahren losgeht, kleben sich Karin Engelhardt und die anderen drei Elektroden auf den Oberkörper. Diese sind mit einem Computer verbunden, der gleich neben den Fahrrädern auf Brigitte Hartges’ Schreibtisch steht. Hartges kann auf dem Monitor dann etwa die Herzfrequenz jedes Einzelnen überwachen, zwischendurch misst sie ihren Patienten den Blutdruck. „Ich gebe in den Computer für jeden eine maximale Herzfrequenz ein. Wenn die erreicht werden sollte, geht der Widerstand beim Treten automatisch zurück“, erklärt sie, während sie Blutdruckwerte in einen Schnellhefter einträgt. So kann nichts Schlimmes passieren, und für den absoluten Notfall ist ein Arzt im Haus. „Unsere Teilnehmer können abgesichert und ohne Angst Sport treiben“, sagt Hartges.

Sportgruppen wie die in der Rankestraße sind eine ziemlich neue Sache. Bis vor ein paar Jahren gaben Ärzte Patienten mit chronischer Herzschwäche noch den Rat, vollständig auf körperliche Anstrengung zu verzichten. Für Studien in den 70er Jahren verordnete man einigen sogar mehrmonatige Bettruhe. Heute scheint klar: Übermäßige Schonung verschlimmert die Situation bloß, die Patienten verlieren Muskelmasse und sind immer weniger belastbar. Bewegung kann dagegen helfen – auch psychisch.

Leider verbreite sich das Wissen über die Herzschwäche, ihre Ursachen und die Therapiemöglichkeiten nur langsam, heißt es bei der Deutschen Herzstiftung, die ihre jährliche „Herzwochen“-Kampagne im vergangenen November deshalb ganz ins Zeichen des schwachen Herzens stellte. Eine Infobroschüre, die ausführlich und verständlich über das Thema informiert, kann man für fünf Euro online (www.herzstiftung.de) oder unter Tel. 069/955 12 80 bestellen.

In Deutschland sind wohl 1,8 Millionen Menschen von Herzschwäche betroffen, jedes Jahr sterben 50 000 daran. Zu den Ursachen gehören hoher Blutdruck und Arterienverkalkung. Bei Herzschwäche nimmt die Kraft des Herzens ab: Es kann nicht mehr genug Blut und damit nicht genug Sauerstoff zu den Organen pumpen. Das Blut staut sich im Gewebe und der Lunge.

Die Folgen: Abgeschlagenheit, mangelnde Leistungsfähigkeit, Atemnot. Die Erkrankung entwickelt sich schleichend über Jahre, verschlimmert sich – und kann bis zum Tod führen. Doch viele der meist älteren Betroffenen denken nicht weiter darüber nach, wenn ihnen beim Treppensteigen die Luft fehlt oder die Beine geschwollen sind. Sie halten das für ein Zeichen des Alters. Dabei lässt sich Herzschwäche viel besser in den Griff bekommen, wenn man sie rechtzeitig behandelt.

Karin Engelhardt hatte bereits einen Herzinfarkt. Treppensteigen und Laufen längerer Strecken fällt ihr schwer. Aber dank des wöchentlichen Trainings komme sie heute weniger aus der Puste als früher, erzählt sie. „Wenn ich mit dem Sport aussetze, merke ich, dass ich schwächer werde.“ Untersuchungen zeigen, worauf der positive Effekt der Bewegung zurückzuführen ist: Das Herz arbeitet energiesparender und die Funktion der Blutgefäße verbessert sich. Patienten, die (richtig dosiert) Sport treiben, leben länger. Wichtig ist jedoch, nichts auf eigene Faust zu unternehmen und alles mit dem Arzt abzustimmen.

Die Sportgruppe ist mittlerweile in einen Raum mit Sprossenwand und Basketballkorb gewechselt. Nach dem Ausdauer- gibt es nun Krafttraining. Die Teilnehmer sitzen im Kreis und heben unter Anweisung von Brigitte Hartges leichte Hanteln. Vorher hatten sie bei Tee eine kurze Pause im Aufenthaltsraum eingelegt, in dem auch die Weihnachtsfeier stattfindet.

„Der soziale Aspekt ist wichtig“, sagt Hartges, „denn hier muss sich, anders als im Alltag oder in anderen Sportgruppen, keiner schämen, wenn er mal schlappmacht.“

Rehazentrum Rankestraße 33, Tel. 23 63 40 30, www.reha-ranke.de

Björn Rosen im Tagesspiegel, Montag, dem 12. April 2010

author: GRR

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