Immerhin: „Frauen, die an wissenschaftlichen Studien teilnehmen, bekommen einen genetischen Prognosetest erstattet“, sagt die Gynäkologin Nikola Bangemann von der Berliner Uniklinik Charité.
Dr. Hartmut WEWETZER im Tagesspiegel fahndet nach guten Nachrichten in der Medizin – Heute: Brustkrebs-Therapie ohne Chemo – Entwarnung aus dem Genom –
Das erste Gesetz der Technik besagt, dass die Folgen großer technischer Fortschritte zu Beginn überschätzt und langfristig unterschätzt werden. Genau das trifft auch auf die Entzifferung des menschlichen Erbguts zu. Vor zehn Jahren als Jahrhundertereignis gefeiert, verschwand unser Genom wieder aus den Medien.
Zu Unrecht, denn die Medizin hat begonnen, sich des Wissens aus dem Erbgut zu bedienen. Bestes Beispiel dafür ist die Behandlung von Brustkrebs.
Wir Menschen besitzen mehr als 20 000 Gene, aber in unseren Zellen sind nur jeweils drei bis fünf Prozent dieser Erbanlagen aktiv. Welche, das hängt vom Organ ab. Jedes Gewebe besitzt also ein typisches genetisches Profil. Das gilt in gewissem Maße auch für Krebs. Denn bei dieser Krankheit kommt es zu auffälligen genetischen Veränderungen. Deshalb ist es möglich, ein charakteristisches „Täterprofil“ einer Tumorzelle zu entwerfen.
Eben das haben die Entwickler des „Oncotype“-Tests getan. Auf der Basis des Wissens vom menschlichen Erbgut (Genom-Projekt!) filterten sie aus Brustkrebszellen 21 Gene heraus. Anhand der Aktivität dieser Erbanlagen sagt „Oncotype“ voraus, wie wahrscheinlich es ist, dass ein neu entdeckter und behandelter Brustkrebs „wiederkommt“. Und gibt damit Frauen größere Sicherheit.
Mehr noch: Mithilfe des Tests kann man Patientinnen nach einer Brustkrebs-Operation eine zusätzliche Chemotherapie ersparen. Die „ Chemo“ bewahrt zwar viele Patientinnen vor einer Rückkehr des Tumors. Das Problem besteht aber darin, dass man bisher viele Frauen mit den Zellgiften behandelt, denen diese belastende und nicht ungefährliche Rosskur gar nichts nützt. Etwa, weil der Krebs nach der Operation bereits besiegt ist und eine weitere Therapie nicht mehr erforderlich ist.
„Oncotype“ – und ähnliche Tests wie „Mammaprint“ – erlauben einen Blick hinter die genetischen Kulissen des Brustkrebses. Frauen, die ein geringes Rückfallrisiko haben, können demnach ohne schlechtes Gewissen auf eine Chemo verzichten. Und Frauen mit einem hohen Risiko haben einen umso besseren Grund, sich auf die Therapie einzulassen. Nicht ganz so einfach sind jene Testergebnisse zu beurteilen, die zwischen beiden Kategorien liegen, also ein mittleres Risiko in sich bergen.
Der Gentest kostet bislang mehr als 2000 Euro. Das ist happig, aber man darf nicht vergessen, dass eine Chemotherapie sich rasch auf 18 000 Euro summieren kann. Unterm Strich spart der Test also vermutlich sogar eine Menge Geld ein. Trotzdem wird er bislang von den Krankenkassen nicht bezahlt, denn es fehlt der endgültige Wirksamkeitsnachweis. Den soll die „Tailorx“-Studie erbringen. Endgültige Ergebnisse sind aber erst in zwei, drei Jahren zu erwarten.
Immerhin: „Frauen, die an wissenschaftlichen Studien teilnehmen, bekommen einen genetischen Prognosetest erstattet“, sagt die Gynäkologin Nikola Bangemann von der Berliner Uniklinik Charité.
Nicht der schlechteste Grund, um an einer solchen Untersuchung teilzunehmen.
Dr. Hartmut WEWETZER leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegels. Sonntag, dem 17. Oktober 2010