Demnächst ist die Trainerfrage ein weiterer Schwerpunkt
Jedes Talent optimal entwickeln – Senat, LSB, Vereine, OSP, Schulen und Unis müssen vernetzt arbeiten – Professor Dr. Jochen Zinner in „Sport in Berlin“
Im Winter haben Katrin Mattscherodt und Jenny Wolf olympisches Gold und Silber geholt, im Sommer danach die Leichtathleten, die Wasserspringer, die Ruderer … überzeugt. Darüber darf man sich freuen. Aber: Ist damit alles paletti oder könnte der, der sich zu lange freut, „vom Leben bestraft werden“? Wo also liegen Reserven?
Kurzfristig geht es darum, die trainingsälteren Athleten bei der Stange auf hohem Niveau zu halten und die trainingsjüngeren schnell an Spitzenleistungen heranzuführen. Das Mittel dazu ist eine möglichst ganzheitliche Betreuung, wobei die Trainingsbelastungen – wie neue Erkenntnisse der Sportwissenschaft lehren – noch viel passgenauer zu setzen sind. Das von Charité und Humboldt-Uni neugebildete Centrum für Sportwissenschaft und Sportmedizin Berlin wird dabei helfen.
Langfristig gesehen liegen die Reserven ganz klar im Bereich der Nachwuchsentwicklung. Es gilt, Talente zu finden, behutsam aufzubauen, zu motivieren und in der schwierigen Multiherausforderung von Sport, Schule, Berufsausbildung oder Studium maximal zu unterstützen. Verstärkt sind dabei künftig insbesondere die Übergänge zwischen den Etappen in den Blickpunkt zu rücken. Ganzheitliches Denken und vernetztes Arbeiten mit dem Ziel integrierender Lösungen – das muss das Motto sein!
Hilfreich ist der nach den Olympischen Spielen in Peking von Staatssekretär Thomas Härtel initiierte „Runde Tisch Leistungssport“, wo Vertreter der Senatsverwaltungen (Sport, Bildung), des LSB, von Verbänden und Vereinen, von Eliteschulen und Universitäten, vom OSP u. a. genau diesen Anspruch künftig verwirklichen wollen.
Bisherige Diskussionsschwerpunkte waren z.B. die Talentproblematik und die Verbindung von Studium und Spitzensport. Demnächst ist die Trainerfrage ein weiterer Schwerpunkt. Gut ist – wir können auf hohem Niveau, auf Basis einer schon gut strukturierten Berliner Sportlandschaft nach Reserven suchen:
560 000 Sportler in mehr als 2000 Vereinen hat der LSB. Es gibt über hundert Talentenester, 28 Landesleistungszentren und 19 Bundesstützpunkte in der Hauptstadt. 3 Eliteschulen des Sports (mit 1900 Schülern), 9 kooperierende Universitäten (mit ca.180 studierenden Spitzensportlern), einen Eliteausbilder bbw (mit jährlich ca. 20 spitzensportgerechten Ausbildungsplätzen), den VBKI als Mittler zwischen Spitzensport und Wirtschaft, Partner und Sponsoren. Diese Strukturen sind ziemlich optimal! Ziel ist aber nicht die optimale Struktur, sondern die optimale Leistungsentwicklung jedes einzelnen Sportlers.
Bei der Talentarbeit – so der Runde Tisch – liegen Reserven z.B. darin, dass in Berlin nur etwa jedes siebente Kind auf jemanden trifft, der seine sportlichen Veranlagungen kompetent einschätzen kann. Noch zu wenig werden Kids mit Migrationshintergrund einbezogen und noch zu sehr ist unsere Suche auf das Umfeld der Eliteschulen eingegrenzt.
Erschließen lassen sich diese Reserven dadurch, dass wir vermehrt in die Schulen gehen, dort „müssen alle Kinder durch!“. Und für die Schulen muß gelten: so wie man schreiben, rechnen und lesen lernt, so muss man auch sich bewegen lernen! Es reicht nicht, den Ball nur ins Tor zu bugsieren oder sich beim Schwimmen irgendwie über Wasser zu halten. Die Motorik ist Schritt für Schritt zu begreifen und das geht nicht von allein.
Die Festlegung: In den 3. Klassen soll künftig berlinweit ein sportmotorischer Test durchgeführt und dabei drei Gruppen identifiziert werden (die natürlich alle gleichermaßen Aufmerksamkeit verdienen) – die Begabten, die „Durchschnittlichen“ und diejenigen mit Defiziten. Die Begabten, die Talente sollen dann nicht zu schnell an spezifische Sportarten gebunden, sondern in Partnerschaften zwischen Sport und Schule behutsam sportartübergreifend weitergeführt werden. Bis deutlicher erkennbar ist, welches Talent wo am besten aufgehoben ist. Durch zu einseitige und frühe Festlegung ist dem Sport manches an Potenzial entgangen; wer nur einen Hammer hat, macht alles zum Nagel.
Auch bei der Verbindung von Studium und Sport liegen die künftigen Probleme vor allem in der Gestaltung der Übergänge, des „Ein- und Ausstiegs“. Unser vor Jahren geprägtes Ziel, nicht „Studium light, sondern Studium à la carte“ hat die Probleme während des Studiums deutlich reduziert. Nun gilt es, z.B. die Hochschulzulassung (den Einstieg) für Spitzensportler etwa über eine sogenannte „Profilquote“ zu sichern.
Andererseits könnten „Bildungspatenschaften“ zwischen Spitzensportlern und Wirtschaft bereits während des Studiums einen späteren Berufseinstieg vorbereiten. Die Firmen sichern sich auf diese Weise – wenn wir alles richtig gemacht haben – Mitarbeiter mit Teamgeist, mit Zielstrebigkeit und Professionalität, mit Lust auf ein Leben lang Sport, eine gesunde Lebensweise und deshalb einer hohen multiplen Belastbarkeit.
Professor Dr. Jochen Zinner in "Sport in Berlin"
LSB-Vizepräsident Leistungssport
PS: Professor Dr. Jochen Zinner war jahrelang Leiter des erfolgreichen Olympiastützpunktes Berlin (OSP).