Zwischen Quote und Regelstarre: Viele Verbände sehen das Gleichgewicht zwischen Fußball und anderen Sportarten bei der Präsenz im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht gewährleistet.
Offener Brief der Leichtathleten – Zum Beine-Ausreißen – Die Bob-Show – Markus Ehrenberg im Tagesspiegel
Listen sind verräterisch. Fußball, Ski WM, Wintersport, Formel 1, DTM, Handball undundund, ganz unten dann der Breitensport – so die Auflistung der thematisierten Sportarten und der damit verbundenen Wertschätzung auf der Website der ARD-„Sportschau“. Kaum ein Mensch wird bestreiten, dass Fußball oder Formel 1 die meisten Zuschauer anzieht, die meisten Menschen interessiert.
Die Frage ist nur, ob ein gebührenfinanzierter, öffentlich-rechtlicher Sender in Sachen Fußball-Berichte nicht zu viel des Guten tut und dafür andere Sportarten vernachlässigt. Diese Diskussion kommt wieder auf, nachdem deutsche Leichtathleten Anfang der Woche in einer beispiellosen Aktion massiv gegen den Verzicht von ARD und ZDF auf die Live-Übertragung der Leichtathletik-Weltmeisterschaften im August im südkoreanischen Daegu protestiert haben.
Die öffentlich-rechtlichen Sender hatten bereits im Vorfeld erklärt, dass die finanziellen Forderungen für die TV-Rechte der WM zu hoch seien. ARD und ZDF zeigen sich nun, gelinde gesagt, erstaunt über das mediale Vorpreschen der Sport-Asse, deren Ruhm sich – neben den eigenen Leistungen – auch der bisherigen Bildschirmpräsenz verdankt.
„Den Weg, den die Athleten gewählt haben, finde ich äußerst bedauerlich“, sagte ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky. „Ich hätte mir gewünscht, dass die Aktiven das Gespräch mit ARD und ZDF suchen, bevor sie in die Öffentlichkeit gehen und Vorwürfe äußern, ohne weitere Hintergründe über die Vertragsverhandlungen zu kennen.“ Schade sei es auch, dass in der Diskussion vergessen werde, dass zu Verhandlungen zwei Seiten gehören. Bedauerlicherweise werde die Handlungsweise des Leichtathletik-Weltverbandes und des Rechte-Vermarkters nie kritisch hinterfragt.
„Die Öffentlichkeit verlangt stets von den öffentlich-rechtlichen Sendern, dass gespart wird“, sagte Balkausky. „Nun wird gespart, indem ARD und ZDF nicht bereit sind, übersteigerte Lizenzforderungen zu erfüllen, doch anscheinend werden bei unterschiedlichen Sportarten verschiedene Maßstäbe angesetzt.“ Angeblich sollen die Rechte für das ferne Daegu mit zwölf Millionen Euro doppelt so teuer sein wie die für die Leichtathletik-WM in Berlin.
Ähnlich hört sich das beim ZDF an. „Wir respektieren das Anliegen und den eingeschlagenen Weg der Athleten, sind allerdings auch in manchen Punkten irritiert“, sagte Sportchef Dieter Gruschwitz zum Tagesspiegel. ARD und ZDF hätten gerne vorher in einem Gespräch mit den Athleten ihre Position dargelegt und dabei auch über die Konsequenzen eines solchen Briefes gesprochen.
Die Leichtathleten haben mit ihrem offenen Brief einen Nerv getroffen. Viele Sportverbände sehen das Gleichgewicht zwischen Fußball und anderen Sportarten bei der Präsenz im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht gewährleistet. Sie fragen sich, was sie alles Buntes anstellen müssen, um ins Fernsehen zu kommen. Eine Rodel-Meisterschaft ist schließlich keine Wok-WM mit Stefan Raab.
Warum eigentlich nicht. Der Präsident des Bob- und Skeleton-Weltverband FIBT, Ivo Ferriani will nun den Bobsport mit Action, Emotionen und cleverer Fernsehproduktion nach vorne bringen. „Die öffentlich-rechtlichen Sender dürfen sich nicht allein nach der Einschaltquote richten“, sagte zu dem Komplex Oliver Palme, TV-Koordinator des Deutschen Ruderverbandes (DRV), der dpa. ARD und ZDF seien von einem Gleichgewicht zwischen populären Sportarten wie Fußball und anderen Sportarten weit entfernt.
Dahinter steht die Forderung der Leichtathleten, die für den Sport bestimmten Gebühreneinnahmen „in einem angemessenen Verhältnis für die Vielfalt des Sports zu verwenden“ und nicht auf eine Sportart zu konzentrieren. Man wolle aber, so Palme, dem Wunsch der TV-Anstalten nachkommen und andere Formate anbieten. Außerdem will der DRV informelle Gespräche mit anderen Sommersport-Verbänden führen, um – wie von ARD und ZDF offenbar gewünscht – die Wettkampftermine „besser zu synchronisieren“, wie im Wintersport, bei Biathlon und Skispringen.
Für Thomas Weikert, den Präsidenten des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB), ist das Wintersport-Modell ein Vorbild. Kritik äußerte Weikert an der ARD-„Sportschau“ am Samstag. „Wir wissen, dass Fußball die Nummer eins ist. Wir akzeptieren das, sehen aber dort die anderen Ballspiele viel zu wenig abgebildet.“ Das Begehr der Fernsehsender nach Regel-Reformen in Sportarten, um die Attraktivität zu steigern und sie fernseh-kompatibler zu machen, sieht Weikert zwiespältig. Tischtennis hat schon Regeln geändert, eine neue Zählweise oder größere Bälle, ohne dass es mehr Fernsehzeit dafür gab.
Ähnlich ist es bei den Volleyballern. Um die Spielzeit abschätzbarer zu machen, werden bei jedem Ballwechsel und nicht wie zuvor nur beim Aufschlag Punkte vergeben. „Lange Live-Strecken sind momentan unrealistisch“, sagte Thilo Hagen, Sprecher des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV). Vernachlässigt von ARD und ZDF fühlt sich auch der Deutsche Basketball-Bund (DBB). „Der DBB kann mit der Situation nicht zufrieden sein“, klagte Verbandssprecher Christoph Büker. Seit Jahren spiele nicht einmal die Nationalmannschaft eine Rolle. Einfach haben es auch die Schwimmer nicht, ins Fernsehen zu kommen. Bei den deutschen Meisterschaften 2010 fanden die Finals in einer Stunde am Samstag- und Sonntagnachmittag statt. Die TV-Quoten waren gut, die Athleten nicht zufrieden: Mehrfachstarter hatten kaum Pause zwischen den Rennen.
Regeländerungen, Show-Event oder Bildschirmabstinenz – eine zufriedenstellende Lösung scheint es für Verbände und Sender angesichts der telegenen Fußballdominanz nicht zu geben. Alles halb so schlimm, beeilte sich die ARD in dieser Woche zu sagen. Der Anteil der Fußballberichte hat sich bei der ARD/ZDF in den vergangenen Jahren kaum erhöht. Die Live-Übertragungen von Fußballspielen betrugen nach Angaben der ARD im Jahr 2009 rund 13,7 Prozent an der gesamten Sportberichterstattung. 2010 lag der Anteil wie in allen Jahren mit Fußball-Weltmeisterschaften höher.
Ähnlich verhält es sich beim ZDF, bei dem sich der Anteil nach Senderangaben zwischen fünf und acht Prozent in Jahren mit EM oder WM bewegt. Beim Zweiten lag der Anteil des Sports am Gesamtprogramm 2009 bei 5,4 Prozent und stieg im folgenden Jahr mit Fußball-WM und Olympischen Winterspielen auf 6,7. Tendenziell nehme der Anteil des Sports am Gesamtprogramm des Ersten seit Jahren eher ab als zu.
Ohne Leichtathletik-WM in Daegu bei ARD und ZDF wird das sicher auch 2011 so sein.
Markus Ehrenberg im Tagesspiegel, Donnerstag, dem 24. Februar 2011