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30
03
2011

Verena Sailer, Carolin Nytra: Trainer Rüdiger Harksen macht Mannheim zur deutschen Sprinthochburg. Praktisch sind ihm drei Titel der Europameisterschaft von Barcelona und der Hallen-Europameisterschaft von Paris zuzurechnen.

Rüdiger Harksen Praktikant und Meistermacher – Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

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„Weitsprung-Praktikant“ musste sich Rüdiger Harksen bei der Hallen-Europameisterschaft in Paris nennen lassen. Er nimmt es gelassen. „Wer Europameister wird, darf das“, sagt der Bundestrainer. Was er nicht sagt: Er ist der große Gewinner des vergangenen halben Jahres. Praktisch sind ihm drei Titel der Europameisterschaft von Barcelona und der Hallen-Europameisterschaft von Paris zuzurechnen.

Denn Harksen hat Mannheim zur Hochburg des Sprints in Deutschland gemacht. Neben den Goldmedaillen von Verena Sailer über 100 Meter und von Carolin Nytra über die Hürden ist ihm auch noch die im Weitsprung zugeflogen. Sebastian Bayer, der vor zwei Jahren 8,71 Meter weit sprang und nun sein Comeback mit dem Wort vom Praktikanten Harksen garniert hat, ist für den Trainer ein „sprintender Weitspringer“. So passt er ins Profil.

Das Geheimnis Mannheims ist persönliche Anziehungskraft. Verena Sailer realisierte mit ihrem Sieg in Barcelona, was man bei der Weltmeisterschaft von Berlin ein Jahr zuvor noch an der Zeit von 11,25 Sekunden ablesen musste, als sie im Halbfinale ausschied: dass sie die schnellste weiße Sprinterin der Welt und die schnellste Frau Europas ist. Sie gewann den Endlauf in 11,10 Sekunden und hörte kaum auf, ihren Trainer Valerij Bauer zu loben. Ihn begleitete sie, als er von Fürth nach Mannheim wechselte, und er ging, weil Rüdiger Harksen ihm eine attraktive Stelle bot: seine eigene.

„Das muss man sich alles hart erarbeiten – Rüdiger Harksen: Der große Gewinner des vergangenen halben Jahres

Carolin Nytra zog es direkt zu Harksen. Sie bringt seine Anziehungskraft auf einen Begriff: die harte Hand. Bremen wurde ihr zu harmonisch für eine Leistungssteigerung, wie sie sie anstrebt. In Paris holte sie sich Anfang März die Bestätigung, dass sie den richtigen Schritt getan hat. Aus der ängstlichen Bronzemedaillengewinnerin von Barcelona ist eine Athletin geworden, die wie selbstverständlich das tut, was eine Favoritin soll: siegen.

Ihre Goldmedaille ist das Versprechen, dass das Beste noch kommt. Um neun Hundertstelsekunden hat sie sich von Winter zu Winter über 60 Meter Hürden verbessert. In Fahrt komme sie bei den 100 Meter Hürden erst bei etwa der Hälfte. „Hoffen wir, dass ich heil durchkomme“, sagt sie, „dann bin ich mal auf Daegu gespannt.“ Dort, in Südkorea, finden Ende August die Weltmeisterschaften statt.

Harksen rechnet ihre Sieges- und Bestzeit von 7,80 über 60 Meter Hürden auf 12,50 Sekunden über 100 Meter Hürden hoch. Schon mit ihrer Bestzeit von 12,57 Sekunden wurde sie 2010 die Nummer eins in Europa und die Nummer drei der Welt. Würde sie sieben Hundertstel schneller, wäre sie die schnellste deutsche Hürdensprinterin seit der Ära der DDR-Läuferinnen Bettine Jahn (12,42), Gloria Siebert (12,44) und Cornelia Oschkenat (12,45). Bei drei der vergangenen fünf Weltmeisterschaften hätten 12,50 Sekunden zum Sieg gereicht, ebenso bei zwei der vergangenen drei Olympischen Spiele. „Man kann natürlich träumen“, sagt Harksen. „Aber das muss man sich alles hart erarbeiten.“

Balance zwischen Tempo und Ausfall

Seit 1980, da war er 24 Jahre alt, ist Harksen Trainer. Als sein erster Athlet, der Zehnkämpfer Andreas Rizzi, zwar die Nummer sieben der Welt, als Nummer vier in Deutschland aber nicht qualifiziert war für die Weltmeisterschaften 1983 in Helsinki, machte Harksen ihn zum Sprinter. Bei der WM war Rizzi Schlussläufer der Staffel, die mit dem (west-)deutschen Rekord von 38,56 fünf Hundertstelsekunden hinter der DDR Fünfte wurde.

1985 gab Harksen seine Stelle als Oberstudienrat für Sport und Deutsch zugunsten der Anstellung als Bundestrainer auf. Claudia Zaczkiewicz belohnte sich und ihn 1988 in Seoul mit der olympischen Bronzemedaille im Hürdensprint (12,75 Sekunden), hinter Gloria Sievert. Kirsten Bolm, auch sie war wegen Harksen nach Mannheim gezogen, kam auf 12,57 Sekunden und wurde 2006 in Göteborg Zweite der Europameisterschaft. Wie solche Erfolge entstehen? Manche Trainingseinheit sei so hart gewesen, erzählt Carolin Nytra, dass ihr die Tränen kamen.

Die Balance zwischen Tempo und Ausfall ist fragil. „Die Nachziehbeinbewegung hat der liebe Gott nicht erfunden“, sagt Harksen. „Das ist eine krankhafte Bewegung, die man aus seiner Hüfte machen muss.“ Im Januar fiel Carolin Nytra für drei Wochen aus. „Da lodern“, sagt der Trainer über die Verletzungsgefahr, „mehrere Feuer.“

Rochade vollendet

Nach dem Tief bei den Olympischen Spielen in Peking und vor der WM in Berlin machte der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) Harksen zum Chef-Bundestrainer für die Laufdisziplinen. Seine Mannheimer Trainingsgruppe um Anne Möllinger – mit Verena Sailer bei der WM dann Dritte in der Staffel – übernahm Valerij Bauer. Der Entdecker von Verena Sailer war nur gemeinsam zu haben mit seiner besten Athletin und deren Physiotherapeutin, Ella Bauer. DLV, Landesverband Baden-Württemberg, Olympiastützpunkt Rhein-Neckar, Verein und Energieversorger MVV holten die Gruppe nach Mannheim.

Zwei Jahre darauf vollendete Harksen seine Rochade: Er kehrte zurück als Bundestrainer für den Hürdensprint. Hat er die Chefrolle für Carolin Nytra aufgegeben? „Indirekt ja“, sagt Harksen. „Ich wollte wieder in die Praxis. Die Arbeit mit einer solchen Top-Athletin bestätigt mich, dass es der richtige Schritt war.“

Verena Sailer und die Bauers blieben, mit Carolin Nytra kam darüber hinaus der Weitspringer Bayer. Das hat zwar mehr mit der Attraktivität der Läuferin zu tun als mit der ihres Trainers. Doch da Bayers Coach Joachim Schwarzmüller in Aachen lebt und auch in Holland engagiert ist, hilft Harksen gern dabei aus, den Anlauf als Sprint zu definieren.

Von wegen Praktikant: In diesem Genre macht Harksen Meister.

Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 30. März 2011
 

author: GRR

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