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21
04
2011

Echte Vorbeugung sieht anders aus: Abnehmen, gesunde Ernährung mit reichlich Ballaststoffen, viel Bewegung

Dr. Hartmut Wewetzer vom Tagesspiegel fahndet nach guten Nachrichten in der Medizin. Heute: Wie man Diabetes verhütet – Eine Pille gegen den Zucker

By GRR 0

Bundesweit sind an Alterszucker, Typ-2-Diabetes, mehr als sechs Millionen Menschen erkrankt. Da kommt eine Pressemitteilung zu einer amerikanischen Studie gerade recht, nach der eine Pille am Morgen genügt, um den Alterszucker bei 72 Prozent der Diabetes-Gefährdeten zu verhüten. Das habe direkte Folgen für 40 Millionen Amerikaner, denen Diabetes drohe, heißt es. Größer geht’s nimmer.

Typ-2-Diabetes entsteht langsam. Veranlagung und Übergewicht spielen eine Rolle. Zunächst spricht der Körper schlechter auf das blutzuckersenkende Hormon Insulin an. Daraufhin wird von der Bauchspeicheldrüse mehr Insulin gebildet, bis diese erschöpft ist.
 
So steigt allmählich der Blutzuckerspiegel in den Gefäßen, was ihnen auf Dauer schadet.

In der Studie testeten Mediziner der Universität von Texas in San Antonio und anderer Kliniken den Wirkstoff Pioglitazon, unter dem Namen „Actos“ auf dem Markt. Er macht das Gewebe wieder empfänglicher für Insulin. Erprobt wurde der Wirkstoff im Vergleich mit einem Scheinmedikament bei rund 600 Patienten über eine Zeit von im Mittel 2,4 Jahren. Dabei wurde nicht nur der Blutzucker gesenkt, sondern auch der untere (diastolische) Blutdruckwert.

Zudem wurde das „gute“ HDL-Cholesterin erhöht und die Halsschlagader verdickte sich weniger, was für ein geringeres Risiko an Herz- und Gefäßleiden spricht.

18 Teilnehmer mussten ein Jahr lang das Medikament einnehmen, damit ein Fall von Diabetes verhütet wurde, ergab die im Fachblatt „New England Journal of Medicine“ veröffentlichte Studie. „Herausragende Ergebnisse“, lobte Robert Henry, Präsident der Amerikanischen Diabetiker-Vereinigung. „Die wirksamste Methode, um Typ-2-Diabetes hinauszuzögern oder vorzubeugen.“

Klingt gut, stimmt aber nicht so ganz. Da sind zum einen die Nebenwirkungen des Mittels, Wasseransammlungen im Gewebe und eine saftige Gewichtszunahme von durchschnittlich fast vier Kilo. Pioglitazon hat bisher so wenig überzeugt, dass es von den Krankenkassen nicht mehr erstattet wird. Gleiches gilt für die ganz ähnliche Substanz Rosiglitazon, die zudem das Risiko für Herzinfarkte erhöht.

Der Charité-Diabetesexperte Andreas Pfeiffer kritisiert die Behauptung, dass Pioglitazon Diabetes hinauszögert oder ihm gar vorbeugt. „In Wirklichkeit wird der Diabetes behandelt“, sagt Pfeiffer. Echte Vorbeugung sieht anders aus: Abnehmen, gesunde Ernährung mit reichlich Ballaststoffen, viel Bewegung. Damit kann es gelingen, den Blutzucker wieder zu normalisieren – ganz ohne schädliche Nebenwirkungen.

Und wenn schon Medikamente sein müssen, um den Zucker in die Schranken zu weisen, bevorzugt Pfeiffer Wirkstoffe wie das seit Jahrzehnten eingesetzte, preiswerte Metformin. Dessen Nutzen ist klar belegt. So senkt Metformin nachweislich das Risiko von Herz- und Gefäßleiden und offenbar sogar das Krebsrisiko.

Und die Moral? Neu ist nicht immer besser. In diesem Fall ist das bewährte Mittel klar überlegen, allen euphorischen Pressemitteilungen zum Trotz.

Dr. Hartmut Wewetzer leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegel. Sonntag, dem 27. März 2011

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