Dem Trinken kommt während des Swissalpine die grösste Bedeutung zu. Die Menge ganz allgemein zu beziffern, ist allerdings schwierig; sie hängt stark vom Wetter ab
Swiss Alpine Marathon – „Jeder Läufer kann seinen Bedarf selber ausrechnen“
Vorgängig ein persönliches Verpflegungskonzept zurechtlegen: Dies empfiehlt der Ernährungswissenschafter Samuel Mettler sämtlichen Läufern, die am Swissalpine vom 30. Juli in Davos die 78 Kilometer lange Hauptdistanz bestreiten.
Mit Samuel Mettler sprach Anita Fuchs
Wie präsentiert sich die optimale Ernährung für einen K78-Teilnehmer in der Vorwettkampfphase, am Rennen selber und in der Regenerationszeit?
Samuel Mettler: Um die Speicher in der Muskulatur aufzufüllen, ist es wichtig, dass die Läufer in den letzten zwei Tagen vor dem Rennen Kohlenhydratereiche Nahrungsmittel zu sich nehmen. Am Wettkampf geht die Ernährung dann mit dem Trinken einher…
… Das heisst?
Dem Trinken kommt während des Swissalpine die grösste Bedeutung zu. Die Menge ganz allgemein zu beziffern, ist allerdings schwierig; sie hängt stark vom Wetter ab. Die generelle Empfehlung liegt bei vier bis acht Deziliter pro Stunde. Idealerweise testet ein Läufer seinen Bedarf in längeren Trainingsläufen und bei verschiedenen äusseren Bedingungen aus.
Wie geht das?
Er steht vor und nach der Laufeinheit auf die Waage und kann so seinen Flüssigkeitsverlust abschätzen.
Was passiert, wenn jemand den angegebenen Maximalwert überschreitet?
Selbstverständlich soll man genügend trinken – aber ja nicht übertreiben und mehr als die verbrauchte Menge zu sich nehmen. Zuviel Flüssigkeit im Magen kann ein Problem darstellen. Verschiedene Untersuchungen an Anlässen führten übrigens zu Tage, dass ein bedeutender Anteil der Teilnehmer – speziell jene, die etwas langsamer unterwegs waren – zu viel Flüssigkeit zu sich nahm. Schwerer zu sein als nötig ist speziell am Berg nicht von Vorteil.
Die Flüssigkeitszufuhr stellt den einen, die feste Nahrung den anderen Aspekt dar. Wie ist diesbezüglich auf den 78 Kilometern vorzugehen?
Je nach Verträglichkeit kann sie jemand sehr gut aufnehmen. Schnellere Läufer setzen – inklusive Kohlenhydrate-Gels, die sie mit genügend Flüssigkeit konsumieren – eher auf den flüssigen Bereich. Langsamere können durchaus einmal marschieren oder inne halten und Bananen, Alpinbrötli oder Balisto-Riegel essen. Bei Bananen ist darauf zu achten, dass sie genügend reif sind. Als für den Sport ideal gelten sie, wenn sie gelb sind und allenfalls schwarze Punkte aufweisen. Grüne Bananen sind wohl gegen den Hunger, liefern aber nur wenig Energie.
Auf wie viele Gramm beläuft sich die empfohlene Menge?
60 Gramm Kohlenhydrate – egal ob in flüssiger, fester oder kombinierter Form – pro Wettkampfstunde sind perfekt. Auch diesbezüglich kann jeder Läufer seinen Bedarf selber ausrechnen. Dies an Hand seines Lauftempos und mit Hilfe des Verpflegungsplanes. In diesem Zusammenhang gleich ein paar Angaben: Ein Deziliter Sportgetränk enthält sechs Gramm Kohlenhydrate, eine Banane 20 bis 25 Gramm, eine Portion Gel 25 Gramm und ein Riegel zirka 20 Gramm.
Tönt einfach.
Ist es auch. Der Läufer muss nur ausrechnen, wie viele Verpflegungsposten er in einer Stunde erreicht und wie viel er dabei jeweils trinken respektive essen muss. Aus diesem Grund erachte ich es als überaus wichtig, dass man sich vorgängig und nicht erst bei Erreichen des Postens ein Verpflegungskonzept zurechtlegt. Und: Mann oder Frau sollte die am Wettkampf angebotenen Produkte unbedingt in Trainingsläufen ausprobieren. Nur so kann einer allfälligen Unverträglichkeit vorgebeugt werden.
Sie sprechen Magenprobleme an. Was sollte ein Läufer in einem solchen Zustand unternehmen?
Es geht dann darum, den Magen möglichst wenig zu belasten. Wichtig ist dafür, das Essen und Trinken auf möglichst viele Portionen aufzuteilen; das heisst, die stündliche Menge sollte nicht auf einmal eingenommen werden. Es kann an einem Verpflegungsposten zum Beispiel auch mal etwas Kleines eingesteckt und dann eine Viertelstunde später gegessen beziehungsweise getrunken werden. Flüssiges ist im Übrigen meistens besser verträglich als feste Nahrung. Soweit wie möglich sollte die angestrebte Menge aber gegessen und getrunken werden, zumal sich ein Energiedefizit spätestens gegen Ende sträflich bemerkbar machen wird. Notfalls muss eventuell das Lauftempo kurzfristig reduziert werden. Das Wichtigste ist aber auf jeden Fall, die geplante Wettkampfverpflegung im Training ausgetestet zu haben, so dass man genau weiss, was man meiden sollte und was gut geht.
Hat vielleicht der Faktor Höhe – beim K78 führen 21 Kilometer durch hochalpines Gelände – einen Einfluss auf die Verträglichkeit?
Eigentlich nicht, da müsste man sich in noch höheren Lagen bewegen. Zusammen mit der grossen Anstrengung dort hoch zu kommen, kann die Höhe aber allenfalls eine Rolle spielen.
Wie sieht denn die perfekte Ernährung in der Regenerationsphase aus?
Wichtig ist, dass ein Läufer bald einmal nach dem Zieleinlauf etwas Kohlenhydrate-Reiches isst. Dies, um dem Körper Energie zuzuführen, damit er nicht auf Notstrom laufen muss. Mit dieser Massnahme kann im Übrigen das Infektionsrisiko in Grenzen gehalten werden. Wenn innert weniger Tage ein weiterer Wettkampf folgen würde, könnte man schon über optimierte Regenerationsmassnahmen reden, aber bei einem K78 folgen nachher ohnehin mehrere Tage bis Wochen Erholung, so dass es eigentlich nicht so relevant ist, was ein Teilnehmer anschliessend zu sich nimmt. Er soll sich nach Lust und Laune ernähren, wobei das Wohlbefinden und die Freude am Essen im Vordergrund stehen.
In welchem jeweiligen Verhältnis stehen die Energielieferanten Kohlenhydrate, Fett und Eiweiss?
Dies kommt auf den gesamten Energiebedarf des einzelnen Läufers an. Generell kann man aber sagen, dass der Anteil an Kohlenhydraten in der Vorwettkampfphase bei über 50 Prozent liegt. Am Rennen fällt er noch höher aus, zumal fetthaltige Nahrungsmittel weniger gut vertragbar und eiweissreiche Produkte schwieriger verdaubar sind. Nach dem Rennen ist das Verhältnis nicht mehr so entscheidend. Weil der Körper ohnehin viel Energie benötigt, essen die Sportler automatisch genügend. Vorteilhaft aus Erholungsgründen ist, dass sie etwas Eiweiss-betonter essen.
Wie sieht die Situation bei einem Starter am K42, bei dem es zwischen Bergün und Davos bemerkenswerte 1810 Steigungs- und 1630 Gefällemetern zu bewältigen gilt, aus?
Sehr ähnlich, zumindest was die Trink- und Kohlenhydrate-Menge anbelangt. Weil die Distanz kürzer und die Intensität dadurch höher ist, steht ganz klar die Flüssigkeitszufuhr im Vordergrund. Ein K42-Läufer benötigt, was die Ernährung betrifft, tendenziell auch weniger Abwechslung.
Welche Gefahren birgt eine falsche Ernährung auf den 78 Kilometern?
Wer es verpasst hat, in den letzten zwei Tagen vor dem Wettkampf viele Kohlenhydrate zu essen, wird früher müde sein als jemand, der mit gefüllten Speichern startete. Zuwenig trinken und essen rächt sich spätestens auf der zweiten Streckenhälfte. Zuviel trinken und essen ist – sofern keine Unverträglichkeit besteht – insofern ein Nachteil, als ein Läufer mehr Gewicht mit sich herumschleppen muss.
Viele Spitzen-, aber auch zahlreiche Hobbysportler nehmen Zusatzpräparate in Form von Vitaminen zu sich. Erachten Sie diese Supplemente im Hinblick auf die Königsdistanz am Swissalpine als notwendig?
Grundsätzlich nein. Wenn sich jemand sinnvoll ernährt, sehe ich keine Notwendigkeit für ein Zusatzpräparat. Sollte sich ein Läufer absichern und einem Defizit vorbeugen wollen, darf er hingegen ein Multivitamin-Präparat verwenden. Zu Monosubstanzen, speziell zu Eisen, sollte man jedoch nur bei einem ärztlich nachgewiesenen Mangel greifen. Dies, weil man sich überladen könnte. Wir sehen immer wieder Überdosierungen, auch bei Spitzenathleten, weil zu viele Zusatzpräparate eingenommen werden.
Stets in engem Kontakt mit der Sporternährung
Samuel Mettler studierte an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich Bewegungs- und Sportwissenschaften und absolvierte ein Nachdiplomstudium in Humanernährung. Anschliessend begann er mit seinem Doktorat und arbeitet seit 2008 als Ernährungswissenschafter an der ETH Zürich. Im Frühjahr 2009 übernahm der Zürcher zusätzlich eine Teilzeitstelle als Ernährungswissenschafter am Bundesamt für Sport in Magglingen.
Überdies engagiert er sich in verschiedenen Funktionen in der Kommunikation und Vermittlung von Sporternährung für Ernährungsberater, Trainer und Sportler. Der 31-Jährige ist (Mit-)Verfasser von einem Dutzend Publikationen und schreibt unter anderem Beiträge für das Swiss Forum for Sport Nutrition (eine unabhängige Organisation, die sich als Bindeglied zwischen Forschung und Anwendung versteht und sich primär dem Wissenstransfer widmet). Samuel Mettler betrieb über zehn Jahre Leichtathletik als Leistungssport (erst Zehnkampf, danach 400 Meter Hürden) und stand selber immer in engem Kontakt mit Spitzenathleten und der angewandten Sporternährung. (af)